Yanqing/Essen. Auf der Rodelbahn regnet es für das deutsche Team Medaillen. Uwe Deyle hat sie konzipiert. Wie die Bahn der Superlative entstand.

In seiner langen, langen Karriere als Bob-Trainer hat Gerd Leopold schon einige Bahnen gesehen. Als Heimtrainer von Olympiasieger Francesco Friedrich ist er es gewohnt, auf jedes Detail zu achten. Beim Yanqing Sliding Center hat auch er nichts mehr zu beanstanden. Der Eiskanal sei die imposanteste, die er je gesehen habe. „Es ist die Endstufe des Bob-Sports überhaupt“, sagte der 63-Jährige der „Süddeutschen Zeitung“. „Das wird es nie wieder auf dieser Welt geben.“ Sein Athlet kann diesen Eindruck bestätigen. „Eine Bahn der Superlative, absolut beeindruckend“, sagt Friedrich.

Die Super-Bahn entspringt deutschen Köpfen. Uwe Deyle betreibt ein Planungsbüro in Stuttgart und hat schon die Bahnen in Sarajewo, Salt Lake City, Turin und Pyeongchang konzipiert. In Zusammenarbeit mit Thomas Schwab, Vorstand-Chef des deutschen Bob- und Schlittenverbandes, entwickelte er, was für Deutschland bei den Olympischen Winterspielen Gold wert ist: Sieben Siege sind es bisher im Eiskanal, und das Ende ist noch nicht in Sicht.

Architektonisches Meisterwerk in den Bergen

Ein elegantes Monster, entwickelt von Deutschen – aber nicht für Deutsche. „Ich freue mich sehr über die deutschen Erfolge. Aber die haben sich die Athleten ganz alleine verdient, denn bei der Planung einer Bahn bin ich ganz alleine dem Sport verpflichtet“, sagt Deyle im Gespräch mit dieser Zeitung. Und eben diesem Sport schenkte er eine besondere Bahn: Sechs Jahre, von der Grundstückssuche 2016 bis zur Fertigstellung 2021, dauerte der Bau. Herausgekommen ist ein architektonisches Meisterwerk. Die rund 1900 Meter lange Bahn schlängelt sich drachengleich am Berg entlang. Wobei sie eher ein Tausendfüßler ist: Sie steht auf 1000 Betonpfählen, die 17 Meter in die Tiefe gehen. Oben rauschen die besten Schlitten-Fahrer der Welt durch eine einzigartige 360-Grad-Kurve, erleben beinahe Schwerelosigkeit. „Die Bahn zeichnet sich dadurch aus, dass der Start relativiert wird. Das Fahren auf der Strecke hat maximalen Einfluss und fordert den Athleten alles ab“, erklärt der 61-jährige Ingenieur. „Die Bahn kommt meiner Ideal-Vorstellung sehr nahe. Die Zeitunterschiede sind sehr groß, es wurde kein Meter gebaut, der nicht nötig wäre.“ Fragt man ihn nach seiner Lieblingskurve, sausen seine Worte wie Friedrich im Eiskanal dahin. Stolz ist er auf den Abschnitt zwischen Kurve 13 und 16. Es sei ein Experiment gewesen. Eines, das funktionierte.

Strecken-Architekt Uwe Deyle aus Stuttgart
Strecken-Architekt Uwe Deyle aus Stuttgart © HO

Entwickelt am Computer

Es klingt fast wie in einem Computerspiel, und tatsächlich hat der chinesische Prestigebau auch viel damit zu tun. Nach der Grundstücksfindung – sechs standen zur Auswahl – begann die Arbeit am PC. „Wir wussten recht schnell, welche fünf nicht geeignet sind“; sagt Deyle. „Danach erstellt man ein digitales Geländemodell, legt die Kurven- und Streckenfolgen fest und prüft, welche Geschwindigkeiten sich ergeben. Die Strecke wird danach digital so lange geknetet, bis sie dem entspricht, was wir wollen.“

Als das eiskalte Kunstwerk fertig war, reiste der Strecken-Architekt nach Yanqing. „Der aufregendste Moment ist für mich der, wenn die Ersten runterfahren“, sagt Deyle. „Ich war persönlich vor Ort. Die Spannung ist kaum zu überbieten.“

Bahn in Winterberg aus der Feder von Uwe Deyle

Dabei hat Uwe Deyle wie Gerd Leopold schon viele Bahnen gesehen – und entworfen. Sein Vater Werner konzipierte 1968 den ersten künstlichen Eiskanal der Welt am Königssee. Sein Sohn folgte seinen Fußstapfen und erschuf die Bahnen in Oberhof, Innsbruck und Winterberg. Für die 1977 eröffnete Bahn im Sauerland wurden seinerzeit Kosten von zehn Millionen Mark veranschlagt. Der Unterschied zwischen Winterberg und Yanqing ist demnach der zwischen einem VW Golf und einem Lamborghini. In den Medien werden Kosten von 2,5 Milliarden Dollar genannt. Das ist wohl übertrieben, teuer war die Bahn dennoch: „Diese Zahl ist völlig aus der Luft gegriffen. Ich weiß nicht, wo sie herkommt. Mit der Realität hat sie jedenfalls nichts zu tun. Nicht einmal ich weiß, wie viel diese Bahn genau gekostet hat. Die Bahn in Korea lag bei 65 Millionen Euro“, sagt Deyle.

Francesco Friedrich und Thorsten Margis rasen im Eiskanal zu Gold.
Francesco Friedrich und Thorsten Margis rasen im Eiskanal zu Gold. © DPA | DPA

Ausrichter China steht aber nicht wegen der hohen Kosten in der Kritik, sondern wegen einer ganzen Kette von Menschenrechtsverletzungen. Uwe Deyle hat seine eigene Herangehensweise an solche Projekte: „Das Schöne in meinem Beruf ist, dass ich mit Menschen aus aller Welt zusammenkomme. Jeder gibt sein Herz für das Projekt, und das ist sehr bereichernd. Man darf Menschen nicht verdammen, weil sie in einem bestimmten politischen System aufgewachsen sind.“

Uwe Deyle hofft auf lange Zukunft der Bahn

Für die Menschen hofft Uwe Deyle auch, dass die Bahn noch eine lange Zukunft haben wird. Er sei zuversichtlich, dass die deutsche Gold-Bahn aus deutscher Hand bestehen bleibt: „Das National Sliding Center wurde schon in der Namensgebung als sportliches Erbe geplant. Außerdem sind aufgrund der Nähe zu Peking und der Infrastruktur alle Möglichkeiten für eine touristische Nutzung gegeben. Was nicht passieren darf: Dass Kommunen mit Bahnen alleingelassen werden und einige wenige tausend Einwohner die Kosten tragen müssen. Das ist in China nicht der Fall.“ In Deutschland wird das Yanqing Sliding Center jedenfalls nicht so schnell in Vergessenheit geraten.

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