Peking. Im Eiskanal werden die deutschen Athletinnen und Athleten den Erwartungen gerecht. Aber es gibt auch Enttäuschungen. DOSB kündigt Analyse an.
Im Eiskanal von Yanqing, rund 70 Kilometer von Peking entfernt, vergeht kein Tag ohne Kufenverkehr. Im Rodeln und Skeleton gab es schon deutsche Festspiele, nun haben die Frauen und Männer in den Bobs Vorfahrt in der „Schneedrache“ getauften Eisrinne. Viermal noch jagen sie bis zum Ende der Olympischen Winterspiele durch diese Bahn der Superlative.
Die 1,9 Kilometer lange Eisbahn hat außerordentliche Auswirkung auf die Medaillenausbeute der deutschen Athletinnen und Athleten in China. Sechs der acht Goldmedaillen (Stand Sonntagabend) heimste das Team D auf Kufen ein – Deutschland, eine Rodel- und Skeleton-Nation, könnte man meinen. Francesco Friedrich (31) im Zweier und Vierer sowie Laura Nolte (23) vom BSC Winterberg und Mariama Jamanka (31) vom BRC Thüringen im Mono und Zweier haben weitere gute Aussichten.
Eine komfortable Lage im Medaillenspiegel
„Es waren erfolgreiche Tage mit sehr emotionalen Momenten“, sagte Thomas Weikert (60), neuer Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, bei seiner Halbzeitbilanz. Dirk Schimmelpfennig (59), Chef de Mission in Peking, nickte zustimmend und sprach von „begeisternden Leistungen“. Mit Blick auf die Erfolgsübersicht sei man „in einer komfortablen Lage“, um wie geplant im Korridor zwischen Pyeongchang 2018 (31 Medaillen, davon 14-mal Gold), der besten Bilanz seit der deutschen Wiedervereinigung, und Sotschi 2014 (19 Plaketten mit acht ersten Plätzen) zu landen. Am Ende des neunten Wettkampftages, nach 65 von 109 Entscheidungen ist Deutschland mit achtmal Gold, fünfmal Silber und einmal Bronze Zweiter im glitzernden Medaillenspiegel, nur Norwegen (9/5/7) ist noch erfolgreicher.
Bei aller Freude über den bisherigen Goldrausch gab Dirk Schimmelpfennig aber auch zu bedenken, die Ausbeute nicht überzubewerten. „Wir schauen nicht nur auf die Medaillen, sondern auch auf die Plätze eins bis acht. Und da stehen wir nicht an erster Stelle“, sagte der Chef de Mission relativierend. Nicht dass man nun gierig geworden sei. Aber auch wenn die Deutschen im Eiskanal ihrer Favoritenrolle beinahe beängstigend gerecht wurden sowie überraschendes Gold für die Biathletin Denise Herrmann (33) und für unmöglich gehaltenes Silber für die Langlauf-Staffel der Frauen hinzukamen, gab es auch Enttäuschungen. Die alpinen Speedfahrer gingen leer aus, die Snowboarder sind vereinzelt in die Reihen der Besten vorgerückt, halten aber keine Medaillen in ihren Händen. Schimmelpfennig: „Wir zählen nicht in allen Sportarten zur Weltelite. Warum nicht, analysieren wir erst nach dem Ende der Spiele.“
Deutschland fördert Rodeln, Bobfahren und Skeleton besonders
Diese Arbeit dürfte umfangreicher ausfallen als die Erklärungen, warum die Kufen-Cracks zu einer ziemlichen Monotonie im deutschen Abschneiden geführt haben. Return on Investment nennt man das in der Wirtschaft, denn kein Land der Welt fördert das Rodeln, Bobfahren und Skeleton so wie Deutschland. Dafür gab es seit Innsbruck 1964 allein 38-mal Rodel-Gold. Das Bundesinnenministerium hat 2022 insgesamt 103 Millionen Euro zur Förderung olympischer und nichtolympischer Sportfachverbände veranschlagt. Der Wintersport wird mit 17,5 Millionen berücksichtigt, fast ein Drittel (5,4 Millionen Euro) davon geht an den Bob- und Schlittenverband. „Der Erfolg wird von uns erwartet“, sagt Doppel-Olympiasieger Johannes Ludwig (35) und schiebt nach: „Das macht es nicht einfacher.
Von 18 Bahnen weltweit stehen vier in Winterberg, Oberhof, Altenberg und Königssee, wobei letztgenannte am Fuße des Watzmanns nach den schweren Hochwasserschäden im Juli 2021 zerstört und ein Wiederaufbau noch nicht gesichert ist. „Das ist ein großer Vorteil, den wir schon systemmäßig gegenüber der Konkurrenz haben“, gesteht Thomas Schwab, Vorstands-Chef und Sportdirektor des Bob- und Schlittenverbandes.
Kombinierer Vinzenz Geiger mit weiterer Chance
In Peking, wo die zweite olympische Wettkampfwoche angebrochen ist, sollte sich die deutsche Dominanz auch im Bob weiter auszahlen. „Wir haben noch die Möglichkeit, den einen oder anderen Erfolg zu landen“, sagte Dirk Schimmelpfennig. Vor allem im Eiskanal, vielleicht auch noch mal durch Kombinierer Vinzenz Geiger (24). Kira Weidle (25) in der Abfahrt und Linus Straßer (29) im Slalom wollen ein völliges alpines Ausrutschen verhindern. Im Biathlon kann es die Frauen-Staffel aufs Podest schaffen.
Die Goldausbeute von Sotschi ist schon erreicht, die 14 Olympiasiege von Pyeongchang zu wiederholen, wird schwierig sein für das deutsche Team. Da hilft auch nicht ein Sieg, den der offizielle Medaillenspiegel übergeht. Der nach seinem indiskutablen 67. Platz im Einzel für den Sprint aussortierte Biathlet Erik Lesser (33) gewann am Samstag einen Massenstart für Ersatz-Athleten – und bekam dafür einen goldenen Pin. „Es ist keine Medaille, aber es ist etwas“, sagte der Thüringer.