Zhangjiakou. Wahnsinn im Lauflauf: Katharina Hennig und Victoria Carl gewinnen Olympia-Gold im Teamsprint. Dabei beginnt der Tag mit einem Schock.
„Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn“ – Skilangläuferin Katharina Hennig wollte im Zielraum von Zhangjiakou gar nicht mehr aufhören zu schreien. Kurz hinter der Ziellinie erwartete sie ihre Teamkollegin Victoria Carl, die mit einer unglaublichen Energieleistung im Zielsprint für die wohl größte Sensation dieser Winterspiele gesorgt hatte. Dann fielen sich die beiden als Olympiasiegerinnen im Teamsprint in die Arme und anschließend völlig fassungslos in den Schnee. Es war die erste Olympia-Goldmedaille für die deutschen Loipen-Spezialisten seit zwölf Jahren.
Victoria Carl zieht an Jonna Sundling vorbei
„Ich stand an der Ziellinie und dachte: Das ist völlig verrückt“, erklärte Katharina Hennig: „Wir sind momentan emotional völlig überfordert mit dem, was uns da geglückt ist.“ Mit winzigen 0,17 Sekunden Vorsprung gewann Victoria Carl einen unglaublich dramatisches Krimi um Gold gegen die Schwedin Jonna Sundling, die sich zuvor Olympiagold im Einzelsprint geholt hatte. Wie die in letzter Sekunde als Ersatzläuferin nominierte Thüringerin dieses Kunststück gegen die beste Langlauf-Sprinterin der Welt vollbracht hatte, wusste sie später selbst nicht mehr so recht: „Ich dachte nur: Schieb, Schieb, Schieb! Ich hatte den Kopf völlig ausgeschaltet, da haben nur noch die Arme funktioniert.“
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Ihre für eine Langläuferin sonst oft nachteilige Größe von 1,78 Metern und ihre vom Krafttraining gestärkten Oberarme wurden in diesem Moment zum Vorteil. So schob sie sich auf der langen Zielgerade noch an den am Ende drittplatzierten Russinnen und Schweden vorbei. Bronze wäre schon eine riesige Überraschung für das deutsche Duo gewesen, doch Gold war im Kampf gegen die sonst so überlegenen Langlauf-Nationen dieser Welt eine Sensation. Der Rest war grenzenloser Jubel im ganzen Team, Lachen und Hüpfen für die beiden Olympiasiegerinnen auf dem Siegerpodest und ganz vielen Tränen bei Teamchef Peter Schlickenrieder an seinem 52. Geburtstag.
Teamchef Peter Schlickenrieder als Mastermind
„Das ist ein brutaler Traum. Ich könnte den ganzen Tag heulen. Ein schöneres Geburtstagsgeschenk kann man sich nicht wünschen“, kommentierte der deutsche Skilanglauf-Teamchef Peter Schlickenrieder. Vor vier Jahren hatte er als „Mastermind“ seine Aufbauarbeit im damals darniederliegenden deutschen Skilanglauf begonnen. Im Ausdauersport ist es ein besonders beschwerlicher Weg, den Rückstand zu den Topnationen wie Norwegen, Russland oder Schweden aufzuholen. Medaillen eingeplant waren deshalb eigentlich erst bei Olympia 2026.
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Der Bayer setzte bei der Aufholjagd auf eine Kombination aus einem starken Teamspirit und ganz viel Eigenverantwortung bei den Athleten. Vor Olympia hatten sich seine Topathleten sogar an den Kosten für Trainingslager beteiligt: „Sie sind finanziell ins Risiko gegangen.“ Die Investition hat sich an diesem historischen Mittwoch in Olympia-Gold ausgezahlt: Schon nach dem überraschenden Silbergewinn für die Frauen-Staffel am vergangenen Samstag mit Hennig und Carl hatte sein Team bereits alle Erwartungen übertroffen. Doch es sollte an diesem Sonnentag bei eisigen minus 10 Grad noch besser kommen.
Katherine Sauerbrey sagt kurzfristig ab
Dabei hatte der Tag mit einem Schock begonnen. Die eigentlich für den Teamsprint vorgesehene Katherine Sauerbrey sagte ihren Start ab, weil sie sich nach den Belastungen an den ersten Olympia-Tagen nicht topfit fühlte. Die Thüringerin Carl wurde als Ersatz auserkoren. „Ich war erst meganervös, schließlich war das mein erstes klassisches Rennen hier“, berichtete die 26-Jährige danach. Schließlich ist sie eigentlich in der freien Skating-Technik stärker einzuschätzen. Doch Schlickenrieder und ganz besonders Damen-Bundestrainer Erik Schneider rieten ihr, sich auf ihre Stärke im Armschub zu konzentrieren.
Das glückte im Teamsprint-Halbfinale mit einem Sieg unerwartet gut. Im Finale, in der die zwei Läuferinnen jedes Teams jeweils dreimal im Wechsel die Sprintrunde durchlaufen mussten, wirkte Carl in ihren ersten Umläufen geschwächt. Katharina Hennig („Ich bin in der Form meines Lebens“) musste jeweils ein kleines Loch zulaufen. Aber das war blanke Taktik, wie sie danach verriet: „Ich musste die Arbeit machen, damit Vicki sich für den Zielsprint schonen kann.“ Der Plan ging perfekt auf: Beim Zielsprint stürmte Chefcoach Schneider im Betreuerbereich parallel zu Carl mit und brüllte sie zum Sieg.
„Chapeau! Wie Victoria das auch taktisch in Weltklassemanier hinbekommen hat, war unglaublich“, meinte Schlickenrieder: „Das zeigt, was das ganze Team für eine unglaubliche Entwicklung genommen hat. Dieser Olympiasieg ist eine Teamleistung, die ohne Trainer, Physios, Ärzte oder Wachser nie möglich gewesen wäre“. Das Gold-Duo hatte wie schon zuvor schon in der Staffel Raketen-Ski unter den Füßen. „Was wir heute geleistet haben, werden wir erst in 10, 20 Jahren realisieren“, sagte Schlickenrieder. Er weiß, über was er redet: Vor 20 Jahren hatte der Teamchef selbst Olympiasilber im Sprint gewonnen.
Erinnerungen an Sachenbacher-Stehle und Nystad
Zwölf Jahre ist der letzte deutsche Olympiasieg im Skilanglauf her. Damals hatten Evi Sachenbacher-Stehle und Claudia Nystad ebenfalls sensationell Gold im Teamsprint vor Schweden gewonnen. Nun reisen Katharina Hennig (25) und Victoria Carl (26) als Sensations-Olympiasiegerinnen nach Hause. Hennig freut sich besonders auf die Rückkehr in ihre Wahlheimat Oberstdorf. „Ich habe mit meinen Eltern telefoniert. Sie besuchen mich im Allgäu. Vielleicht werde ich dann begreifen, was hier passiert ist.“