Yanqing. Beat Feuz hat alles gewonnen, nun auch die olympische Abfahrt. Dabei hing die Karriere des Schweizers bereits an einem seidenen Faden.

Beat Feuz ist ein Berg von einem Mann, aber für diesen Moment wollte er sich lieber zurückziehen. Das Handy klingelte, dabei war das olympische Abfahrtsrennen noch nicht beendet. Die Startnummer 30 war durch, das ist im alpinen Skisport eine magische Grenze: Bis dahin sind alle Favoriten, selbst alle Außenseiter im Ziel, die theoretisch noch für einen vorderen Platz infrage kommen.

Feuz kennt alle Höhen und Tiefen des Sports

Also nahm Feuz den Anruf entgegen, am anderen Ende der Leitung seine Freundin Katrin und die ältere der beiden Töchter, es flossen Tränen. „Da sind alle Emotionen hochgekommen“, sagte der 34 Jahre alte Schweizer, als niemand mehr ihm den Olympiasieg nehmen konnte. „Da geht mir die ganze Karriere durch den Kopf. Mit den Hochs, den Tiefs, die man durchbrechen muss.“

Die Abfahrt bietet den Stoff, aus dem Heldengeschichten geschrieben werden. Sie ist die Königsdisziplin des Wintersports, sie bringt die Größten des Schneesports hervor und lässt diese in einzelnen Momenten dann doch wieder ganz zerbrechlich erscheinen.

Mit dem Olympiasieg den letzten "Makel" beseitigt

Auf den bedeutendsten Pisten der Welt hat Beat Feuz gewonnen, er wurde 2017 in St. Moritz Abfahrts-Weltmeister, hat die Welt der Pistenraser seitdem dominiert, in 31 von 44 Rennen auf dem Podium gestanden und viermal die kleine Glaskugel für den Disziplinenweltcup gewonnen. Mit dem Sieg in Yanqing auf der „The Rock“ getauften Strecke in der Steinwüste nordöstlich von Peking hat er nun den letzten Makel seiner eindrucksvollen Karriere beseitigt.

Feuz macht keinen Hehl daraus, dass ihm Triumphe am Lauberhorn (Wengen) und auf der Streif (Kitzbühel) wichtiger sind als olympisches Gold, aber ein Olympiasieg bleibt der Traum jeden Sportlers. „Jetzt stehe ich hier mit all diesen Titeln“, sagte der Emmentaler sichtlich bewegt, „das ist für mich nicht selbstverständlich.“

Beat Feuz drohte nach einer Infektion das Karriereende

Beat Feuz kennt jede Höhe und jede Tiefe des Leistungssports. Elfmal musste er sich an seinem Knie operieren lassen, 2012 hing seine Laufbahn an einem seidenen Faden, als nach einem Infekt sogar eine Amputation seines linken Beines drohte. Der deutsche Slalom-Star Felix Neureuther überredete ihn ein Jahr später, die Karriere doch noch mal fortzusetzen, doch das Knie meldete sich immer wieder.

So auch in Yanqing. „Das Rennen war unglaublich schwierig“, sagt Feuz, der selbsternannte Kugelblitz, dem abseits seiner technischen Qualitäten ein paar Extra-Pfunde um die Hüfte in den Gleitpassagen zugute kommen, „und eines der schönsten meiner Karriere.“

Dominik Schwaiger schwer gestürzt

Der Franzose Johan Clarey als Zweiter wird im Alter von 41 Jahren und 29 Tagen ältester alpiner Medaillengewinner bei Olympischen Spielen. Matthias Mayer aus Österreich verpasst als Dritter nur knapp das Gold-Triple nach den Siegen 2014 in Sotschi (Abfahrt) und 2018 in Pyeongchang (Super-G). Den deutschen Startern blieben nur die Statistenrollen: Romed Baumann war als 13. ihr Bester, Vize-Weltmeister Andreas Sander kam auf Rang 17. Dominik Schwaiger stürzte schwer, zog sich nach ersten Angaben eine Prellung am linken Unterarm und Ellenbogen zu.

Das Gelände am Berg Xiaohaituo schien Beat Feuz wie auf den Leib geschnitten. Am Ende war er 0,10 Sekunden schneller als der zweitplatzierte Franzose Johan Clarey.
Das Gelände am Berg Xiaohaituo schien Beat Feuz wie auf den Leib geschnitten. Am Ende war er 0,10 Sekunden schneller als der zweitplatzierte Franzose Johan Clarey.

In der von Sonntag auf Montag wegen des Windes verschobenen Abfahrt besiegte Feuz nun nicht nur die in den Berg Xiaohaituo gefräste und 2950 Meter lange Piste, sondern auch seinen Entdecker. Trainerlegende Sepp Brunner ist für die Abfahrer im Team Austria zuständig, der heute 64-Jährige nahm aber 2005 als Verantwortlicher der Eidgenossen den erst 17 Jahre alten Feuz mit zu einem Trainingslehrgang nach Argentinien.

Beat Feuz ist der vierte Olympiasieger der Schweiz

Das Supertalent ließ bei den Tests gleich etablierte Fahrer hinter sich, weshalb Brunner seiner Stoppuhr nicht traute. Denn der junge Neue war noch ein Hallodri: Brunner habe die anderen Fahrer „nach den Ski-Trainings regelmäßig im Fitness-Zentrum von unserem Hotel angetroffen, Beat war dort nie gesehen. Irgendwann habe ich dann herausgefunden, dass er die meiste Zeit im Casino von Ushuaia verbrachte.“

Der Rest der sportlichen Entwicklung ist Geschichte. Feuz, der mit seiner Familie inzwischen nahe Innsbruck in Tirol lebt und 2018 in Pyeongchang noch Dritter war, ist nach Bernhard Russi (1972), Pirmin Zurbriggen (1988) und Didier Defago (2010) der vierte Schweizer Abfahrts-Olympiasieger. Das ist nicht einmal dem großen Didier Cuche gelungen, von der internationalen Konkurrenz keinem Bode Miller oder Hermann Mayer.

Auch interessant

In dem Alpenland wird ihm das Legendenstatus einbringen – dem Skizirkus tut es in seiner Vermarktung gut, wenn sein derzeit prominentester Fahrer Gold mit nach Hause nimmt. Es gab die großen Sieger wie Toni Sailer (1956), Jean-Claude Killy (1968), Russi (1972), Franz Klammer (1976) und Zurbriggen (1988) – bis zum Triumph von Aksel Lund Svindal vor vier Jahren reihten sich aber auch unbekanntere Sieger ein. Beat Feuz dagegen ist nun endgültig einer der größten Abfahrer.