Peking. Chinas Regierung hat zugesagt, für Olympia zu einer Wintersportnation zu werden. Vor Beginn der Spiele sieht die Realität anders aus.
Mitte Januar kam eine freudige Nachricht aus China. 346 Millionen Menschen, so verkündete das Nationale Statistikbüro, betrieben mittlerweile in Hallen oder unter freiem Himmel Wintersport. Die Hürde wäre damit genommen. Denn als Peking im Jahr 2015 das Austragungsrecht für die Olympischen Winterspiele 2022 erhielt, hatte die Regierung schnell vorausgesagt, dass bis zum Beginn der Spiele 300 Millionen Chinesen zu Wintersportlerinnen und Wintersportlern werden würden.
Infektionen in der Olympiablase
Eine Woche vor Beginn der Spiele von Peking überschlagen sich die vermeintlich guten Nachrichten aus Chinas Staatspresse. Die Pandemie mit der Omikron-Variante habe man dank der Olympiablase, innerhalb derer sich alle Athleten und Offiziellen bewegen müssen, problemlos im Griff. Alle Delegationen, auch jene aus dem von China politisch nicht anerkannten Taiwan, würden freundschaftlich willkommen geheißen. Und die Pekinger Spiele seien noch besonders nachhaltig: Immerhin hat dies vor kurzem auch Juan Antonio Samaranch Junior gesagt, der Chef der Koordinierungskommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).
Bei genauerem Hinsehen stecken hinter den Meldungen und Kommentaren oft weniger positive Umstände. Schon vor dem Beginn der Olympischen Spiele am 4. Februar haben sich mehr als 70 Menschen innerhalb der Olympiablase infiziert. Zu behaupten, dass dies keine weiteren Auswirkungen habe, ist nur die typische Vorgehensweise von Sportveranstaltern. Was die Athleten aus Taiwan anging, so wurden diese zugleich ermahnt, sich auf keinen Fall politisch zu äußern. Und ein Lob eines IOC-Offiziellen, der die Spiele mitverantwortet, sagt über die Nachhaltigkeit wenig aus.
Die unnachhaltigsten Spiele aller Zeiten?
Tatsächlich kommen Expertinnen zu einem gegenteiligen Urteil. Carmen de Jong, Geographieprofessorin an der Universität Straßburg, hat „Beijing 2022“ gegenüber dem Deutschlandfunk als „die unnachhaltigsten Spiele aller Zeiten“ bezeichnet. „Es ist einfach zu viel im Spiel, wie Wasser, Bodenverlust, CO2-Ausstoß“, so de Jong. Die Olympiaoffiziellen rechtfertigen die Rodungen für neue Anlagen auch damit, dass auf diese Weise ein neues Land für den Wintersport begeistert werde. Und dies wäre gewissermaßen auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit, was die Hinterlassenschaften der Peking-Spiele anginge.
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Schließlich kann China kaum auf eine Wintersporttradition zurückblicken. In den Jahrzehnten nach dem 1949 mit dem Sieg der Kommunisten geendeten Bürgerkrieg war das riesige Land zunächst mit sich selbst beschäftigt. Bei Olympischen Spielen wurde ganz China durch das subtropische Taiwan repräsentiert. Nach 1972, als sich Festlandchina durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den USA allmählich auf der politischen Bühne etablierte, entdeckte die Regierung auch den Sport: nicht zuletzt als Instrument, um mit Erfolgen für internationales Ansehen zu sorgen. Allerdings hatte Wintersport lange nicht Priorität.
Bald Weltspitze im Fußball?
Mittlerweile ändert sich das. Seit dem Jahr 2000 wurden im ganzen Land Hunderte Skigebiete gebaut. 200 Schulen allein in Peking bieten jetzt Wintersportunterricht an, 2,1 Millionen Schülerinnen und Schüler sollen mittlerweile Wintersport betreiben. Dabei schlussfolgerte ein Bericht der Wirtschaftskammer Österreich aus dem vergangenen Jahr, der sich an Unternehmen richtet, die auf den potenziell riesigen chinesischen Markt drängen wollen: „Es gibt noch viel zu tun.“
Zumal unklar ist, inwieweit das Versprechen mit der Wintersportnation wirklich eingelöst ist. Die Umfrage des Nationalen Statistikbüros ergab, dass nur 40 Prozent der vermeintlichen Wintersportler zumindest einmal im Jahr aktiv gewesen sind. Bloß elf Prozent kommen auf mehr als drei Male Wintersport im Jahr. Fast alle Personen haben den Sport demnach spontan ausprobiert. Dabei geblieben sind offenbar nicht besonders viele.
Auf dieser Grundlage von einer Wintersportnation zu sprechen, scheint fragwürdig. Doch es passt ins Bild mit anderen großen Versprechen. So hat Chinas Staatschef Xi Jinping über die letzten Jahre auch in Bezug auf den Fußball in Aussicht gestellt, China werde hier bald zur Weltspitze gehören. Zwar hat die Chinese Super League einige Jahre lang mit hochkarätigen Transfers für Aufsehen gesorgt, mittlerweile aber haben viele Topspieler die Liga wieder verlassen. „Für die nächsten 20 Jahren gibt es für China absolut keine Hoffnung“, sagt Quiang Bay, ein Spielerberater und Förderer des chinesischen Fußballs. Chinas Tradition setze schließlich Bildung an die oberste Stelle. „Wer viel Sport treibt, gilt eher als blöd“, so Quiang Bay. Daher sieht er auch für den Wintersport nur bedingt eine große Zukunft.
Auch der Blick nach Japan macht wenig Hoffnung. Die Besucherzahlen in den Skigebieten der einstigen Olympiagastgeberstädte Nagano und Sapporo sinken seit Jahren.