Bratislava/Berlin. Vor der Partie am Sonntag gegen Schweden spricht Nationalspieler Paul Drux über die verrückteste Handball-EM seiner Karriere.
Paul Drux sitzt in seinem Hotelzimmer – einen Salat vom Mittagsbuffet vor sich, im Hintergrund läuft Wintersport. So oder so ähnlich verbringt der deutsche Handball-Nationalspieler die meiste Zeit bei dieser Europameisterschaft. Bloß nicht zu viele Kontakte, bloß keine Infektion riskieren. Der 26-jährige Profi der Füchse Berlin ist einer von elf Nachnominierten, die der Deutsche Handballbund nach 13 Corona-Fällen nach Bratislava geholt hat. Dort will die deutsche Auswahl am Sonntag (18 Uhr, ARD) wieder den Fokus aufs Sportliche lenken. Im dritten Hauptrundenspiel gegen Schweden braucht es nach zwei Niederlagen gegen Spanien (23:29) und Norwegen (23:28) dringend einen Sieg, um vom Halbfinale träumen zu dürfen.
Ist diese Europameisterschaft das absurdeste Turnier, das Sie je gespielt haben, Herr Drux?
Paul Drux: Das verrückteste auf jeden Fall. In Ägypten war es schon seltsam. Dann kam Tokio, da hatte man sich bereits ein wenig an die Umstände gewöhnt. Diese EM ist aber noch einmal ganz anders, weil es so viele positive Fälle bei keinem Turnier in den letzten beiden Jahren gab.
Wie verrückt es ist, zeigt ja die Tatsache, dass Sie in einem EM-Spiel fast im Tor gestanden hätten.
Drux: (lacht) Ja, zum Glück nicht. Ich hatte mich gegen Spanien angeboten, falls irgendwas passiert wäre, aber Jogi (Bitter; war der einzige einsatzbereite Torhüter, Anm. d. Red.) ist ja heil geblieben.
Es gab unglaublich viel Kritik an den Corona-Maßnahmen des europäischen Verbandes, auch von Seiten des DHB. Am Sonnabend kamen mit Christoph Steinert und Sebastian Firnhaber zwei neue Fälle hinzu, davor war aber drei Tage lang Ruhe. Was hat sich geändert, wie wurde vielleicht auch intern nachgesteuert?
Drux: Irgendwann war das Virus schwer aufzuhalten, als es einmal in der Mannschaft war. Aber wir haben natürlich versucht, das Ganze mit Maßnahmen einzugrenzen. Wir hatten eh schon alle Einzelzimmer, jetzt essen wir auch auf unseren Zimmern, wir haben kaum Kontakt, außer beim Spiel. Da tragen wir die ganze Zeit Maske, in der Kabine, beim Umziehen, wir duschen im Hotel.
Und tragen auch auf der Bank die Maske…
Drux: Genau, das haben wir für uns entschieden, weil wir nicht wussten, ob noch weitere Fälle hinzukommen. Da haben wir uns ein Beispiel an den amerikanischen Profiligen genommen, wo das auch schon etabliert ist.
Das alles klingt vor allem nach viel Zeit allein im Hotelzimmer. Wie verbringen Sie die?
Drux: Ich muss noch eine Arbeit für die Uni fertig schreiben, damit kann ich mich ganz gut ablenken. Da habe ich jetzt Zeit für Korrekturen und den letzten Feinschliff.
Dadurch, dass alle in ihren Kämmerchen sitzen, ist das Teambuilding etwas schwierig. Kapitän Johannes Golla hat schon gesagt, dass der Zusammenhalt trotzdem so gut wie noch nie ist. Debütant Daniel Rebmann wiederum hat erzählt, dass er kaum jemanden kennen lernen kann. Wie stärkt die Mannschaft das Kollektiv?
Drux: Das ist natürlich sehr schwer. Ich habe aber von den Jungs gehört, dass die Stimmung schon extrem gut war, bevor Corona ausgebrochen ist. Was Johannes damit aber vor allem meint, ist die Unterstützung für die Spieler, die jetzt seit mehreren Tagen isoliert sind und gar nicht rausdürfen. Da bringt man mal einen Kaffee vorbei, stellt was Nettes vors Zimmer oder hört mal, wie es geht. Das hilft allen Beteiligten.
Wie schwer ist es, sich bei all diesen Nebengeräuschen aufs Sportliche zu konzentrieren?
Drux: Wenn ein Tag normal abläuft, geht das schon. Aber das Seltsame ist dann, wenn Steini (Christoph Steinert, Anm. d. Red.) kurz vor Anpfiff auf die Platte kommt und man damit so gar nicht gerechnet hat – wie gegen Spanien, weil er kurz vorher freigetestet wurde. Das sind Störgeräusche, die nicht einfach so an einem vorbeigehen. Nichtsdestotrotz sind wir alle Profis und versuchen uns, so gut es geht, auf die Spiele vorzubereiten, weil wir die Partien unbedingt gewinnen wollen. Aber ich glaube, man hat schon gesehen, dass diese Uneingespieltheit dazu beigetragen hat, dass wir viele Abstimmungsfehler hatten.
Zwischendurch war auch ein Rückzug der deutschen Auswahl nicht unwahrscheinlich. Es war zu hören, dass sich die Mannschaft komplett dagegengestellt hat. Herrscht eine „Jetzt erst recht“-Stimmung?
Drux: Dadurch, dass die ersten drei Spiele gewonnen wurden, war sportlich ein gutes Gefühl da. Wir wollten zeigen, dass wir weiterhin so gute Leistungen zeigen können. Auf der anderen Seite wurde die Debatte aber nicht nur vom Team geführt, auch DHB und Liga waren beteiligt.
Gegen Schweden am Sonntag müssen Sie gewinnen, um die Chance aufs Halbfinale zu wahren. Was ist drin?
Drux: Die Stimmung ist noch gut, den Druck macht man sich trotzdem selbst. Wir wollen unbedingt gewinnen, das wollten wir in den ersten beiden Hauptrundenpartien auch. Was aber auch Teil der Wahrheit ist: Mit uns rechnet kaum noch jemand. Das kann eine Chance für uns sein.
Zuletzt wirkte es so, als würde der Mannschaft nach einer starken ersten Hälfte in der zweiten Halbzeit die Luft ausgehen. Sind das die Folgen der merkwürdigen Umstände? Wenig Training, wenig Bewegung…
Drux: Klar, man kann mal draußen Spazieren gehen, aber das Wetter ist auch hier nicht das Beste. Der komplette Rhythmus fehlt. Woran es liegt, dass wir in den letzten beiden Spielen nicht gut aus der Halbzeit gekommen sind und uns das Leben da selbst schwer machen, ist wirklich schwer zu sagen.
Sie wollten eigentlich auf das Turnier verzichten, Ihrem Körper eine Pause gönnen, hatten im Dezember selbst noch Corona. Jetzt sind Sie aber mittendrin. Wie viel Zeit lag zwischen dem Anruf von DHB-Sportdirektor Axel Kromer und Ihrer Abreise nach Bratislava?
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Drux: Axel hatte am Montagabend angerufen. Am nächsten Morgen um kurz vor sieben bin ich zum Flughafen gefahren.
Koffer packen im Schnelldurchlauf – haben Sie was vergessen?
Drux: Zahnpasta. (lacht) Die habe ich hier aber noch bekommen.
War Ihre Nachnominierung bei Personalengpässen abgesprochen oder kam das alles völlig überraschend?
Drux: In dem Moment war ich schon überrascht, weil ich das nicht unbedingt erwartet hatte. Aber in dem Gespräch mit Alfred Gislason und Axel Kromer, als ich erklärt hatte, dass ich auf die EM verzichten würde, habe ich auch meine Bereitschaft gemeldet, immer zu helfen, wenn Not am Mann ist. Ich habe auch nicht lang überlegt, als Axel dann anrief.
Stichwort Überraschung: Wie wird dieses Turnier für die deutsche Mannschaft ausgehen?
Drux: Ich hoffe, dass wir jetzt noch einmal zwei richtig gute Spiele hinlegen können. Wir wissen genau, dass das gegen die Schweden schwer wird. Das ist eine Top-Mannschaft, die auch die Möglichkeit aufs Halbfinale hat. Da müssen wir uns nichts vormachen. Aber ich glaube, wir tun gut daran, einfach mit Spaß ranzugehen und uns nicht zu viele Gedanken zu machen. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, mit uns rechnet kaum jemand, das kann unsere Chance sein.