Berlin. Der langjährige DHB-Vizepräsident Bob Hanning freut sich auf die Handball-EM. Im Interview spricht er über Erwartungen und übt Kritik.
Es ist das erste Turnier seit der verpassten EM 2014, bei dem Bob Hanning nicht als Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) dabei sein wird. Im vergangenen Oktober legte er sein Amt nieder. Einen entspannten Urlaub hat der 53-Jährige deshalb aber nicht, wenn die Handball-Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei läuft. Der Geschäftsführer der Füchse Berlin ist beschäftigt. Im Interview spricht der langjährige Funktionär über seine Erwartungen an die EM, Kritik an Bundestrainer Alfred Gislason und die Frage, ob er auch vor dem Fernseher seine bunten Pullover trägt.
Wie verbringen Sie den ersten freien Januar seit acht Jahren, Herr Hanning?
Bob Hanning: Es wäre schön, wenn es ein freier Januar wäre. Es gibt genügend Baustellen bei den Füchsen und genügend zu tun. Aber in der Tat ist es natürlich angenehm, die Europameisterschaft mehr von der anderen Seite zu betrachten.
Sie sind nicht mehr Vizepräsident des Deutschen Handballbundes, also auch nicht mehr verantwortlich. Wie fühlt sich das an?
Für mich fühlt sich das völlig gut an, weil ich das – wie alles – selbstbestimmt gemacht habe. Ich finde, Ämter sollte man nicht auf Lebenszeit haben. Wir haben so viel bewegt, und jetzt sind auch wirklich mal andere dran, die ganz großen Räder sind gedreht. Von daher bin ich sehr zufrieden mit meiner Entscheidung und fühle mich dabei sehr gut.
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Nach allzu viel gewonnener Freizeit klingt das trotzdem nicht. Haben Sie dennoch Zeit für neue Projekte gefunden?
Ich habe ein Stück weit mein Leben zurück. Ich habe zwei Führungskräfte-Seminare gehalten, was auch immer wieder Freude macht und einem selbst Perspektiven öffnet. Ansonsten habe ich mit dem Projekt Füchse und VfL Potsdam wirklich genug zu tun, und mein Haus am See muss in diesem Jahr auch gebaut werden.
Vor Spielen der deutschen Nationalmannschaft sind Sie immer wieder mit Ihren bunten Pullovern aufgefallen. Werden die auch angezogen, wenn Sie dem DHB-Team am Freitag beim ersten Vorrundenspiel gegen Belarus (18 Uhr, ARD) vor dem Fernseher zuschauen?
(lacht) Da ich ja immer bunte Pullover trage, habe ich nicht vor, den Pullover vor dem Spiel auszuziehen und werde genau so bunt vor dem Fernseher sitzen, wie ich es immer in der Halle getan habe.
Im Vorfeld der EM gab es viele Diskussionen, Absagen und Rücktritte. Was trauen Sie der neu zusammengewürfelten deutschen Mannschaft zu?
Ich fühle ein bisschen den Geist von 2016, wo die Erwartungshaltung auch sehr niedrig war und am Ende der Titel gefeiert wurde. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich ein Freund von klaren und hochgesteckten Zielen bin und ein Verfechter des Ergebnissports. Dieses Mal würde ich mich aber freuen, wenn das Erlebnis stimmt, wenn die Mannschaft leidenschaftlich kämpft und es ihr gelingt, uns vor dem Fernseher zu fesseln. Das steht dieses Mal im Vordergrund. Ich glaube auch fest daran, dass wir die Vorrunde positiv gestalten und uns Schritt für Schritt in dieses Turnier einarbeiten können. Ich bin da ohne Sorge und voller Freude.
Kapitän Uwe Gensheimer ist zurückgetreten, Hendrik Pekeler legt eine Pause ein, es fehlen Führungsspieler – wer kann die Rolle übernehmen?
Der zentrale Spieler wird Andi Wolff sein. Das Turnier kann nur über ihn führen. Die Konstellation im Tor mit Till Klimke bringt ein sehr positives Klima mit sich. Wenn Andi sich wohl fühlt, profitiert ganz Handball-Deutschland davon. Ansonsten glaube ich, dass sich die Verantwortung verteilen wird. Kai Häfner ist viele Jahre dabei, Timo Kastening wird den nächsten Schritt machen. Ich fand die Entscheidung, Johannes Golla zum Kapitän zu machen und ihn damit auch in die Verantwortung zu nehmen, eine hundertprozentig richtige Entscheidung.
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Der Name Andreas Wolff fiel jetzt wie aus der Pistole geschossen.
Andi ist ein ganz spezieller Typ Mensch, der dir unglaublich viel geben kann, wenn man ihn an den richtigen Punkten packt. Er kann auch viel Kraft kosten. Aber wenn er sich wertgeschätzt fühlt, kann er den Unterschied machen und gehört zu den Weltklasse-Torhütern.
Zum ersten Mal seit 13 Jahren ist kein Profi der Füchse Berlin im deutschen Aufgebot. Wie sehr schmerzt Sie das?
Das finde ich sehr schade. Ich kann die unterschiedlichen Beweggründe von Fabian Wiede und Paul Drux aber sehr gut nachvollziehen. Anders als damals die Entscheidung von Fabi, die Olympischen Spiele nicht zu spielen, ist das jetzt eine Situation, die aus persönlichen Gründen absolut nachvollziehbar war. Paul hat jedes Turnier mit Verletzungen oder ohne gespielt, und er hat es mal verdient, sich ein Turnier rauszunehmen und zu regenerieren.
Mit Lasse Andersson und Jacob Holm haben aber zwei Füchse die Chance auf den Titel. Wie weit kommen die beiden? Wer spielt um den Titel?
Die Topfavoriten sind ja im Regelfall immer die üblichen Verdächtigen, wie Weltmeister Dänemark oder Olympiasieger Frankreich – die wir in der Vorbereitung ja übrigens geschlagen haben. Das hat mir auch ein bisschen Mut gemacht. Die Spanier sind im kompletten Umbruch, deshalb habe ich die nicht auf dem Zettel. Dann muss man schauen, was Mannschaften wie Schweden und Norwegen machen. 2016 hat ja auch eine Mannschaft gewonnen, mit der keiner gerechnet hat.
Bundestrainer Alfred Gislason hat nach Platz zwölf bei der WM und der verpassten Olympiamedaille die nächste Chance, den Umbruch im deutschen Team mit Erfolg abzuschließen. Gelingt das bei der EM?
Der Umbruch war zwingend erforderlich und passt jetzt wunderbar ins Bild mit den großen Zielsetzungen bei der Heim-EM 2024 und der WM 2027 im eigenen Land. Ich habe keinen Spieler im Kader vermisst, der hätte mitfahren müssen – abgesehen von den Spielern, die verletzt sind. Von daher sind wir auf einem guten Weg, und ich bin mir sicher, dass die Jungs das erfolgreich umsetzen werden.
Ex-Nationaltorhüter und 2007-Weltmeister Henning Fritz hat jüngst die Vertragsverlängerung mit dem Bundestrainer kurz vor der EM kritisiert und die Frage aufgeworfen, ob Alfred Gislason für den Umbruch der richtige Mann ist. Wie sehr stören solche Nebengeräusche vor einem Turnier?
Das stört überhaupt nicht. Wenn das seine Meinung ist, darf er sie ja auch mal kundtun. Alle wollen immer, dass es Meinungen gibt. Und wenn dann mal einer eine andere Meinung hat, wird es gleich als Unruhe empfunden. Ich finde, ein Henning Fritz darf so etwas auch mal sagen, ohne danach direkt zerrissen zu werden. Ich konnte die Entscheidung gerade in der jetzigen Situation, Alfred als Fels in der Brandung zu nehmen, vollends nachvollziehen. Er ist auch nicht dafür verantwortlich, dass die Bundesligisten ihre Spieler zur WM 2021 nicht geschickt haben und die Verletztensituation bei Olympia so angespannt war. Das sind für mich nur Muster ohne Wert. Deshalb halte ich die Verlängerung mit Alfred für richtig.
Ein weiterer Störfaktor ist das Coronavirus. Das war schon bei der WM in Ägypten so. Jetzt strapaziert Omikron die Nerven. Welche Befürchtungen haben Sie mit Blick auf die Infektionskurve?
Ich bin mir sicher, dass die Mannschaft mit dem besten Corona-Management auch die besten Chancen hat. Bei der WM in Ägypten waren die Sicherheitsstandards hoch, das wird auch jetzt bei der EM so sein. Aber dass in der heutigen Zeit immer etwas passieren kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Das passiert in Kindergärten, das passiert bei der Arbeit, warum soll es deshalb bei der EM nicht passieren. Aber ich glaube, dass wir mit der Situation ein bisschen gelassener umgehen können. Alle Spieler sind doppelt geimpft und geboostert, damit hast du schon einen gewissen Sicherheitsstandard. Und wenn etwas passiert, wird es das Turnier nicht gleich komplett aus der Bahn werfen.
Die nächste Europameisterschaft findet 2024 in Deutschland statt? Welche Veränderungen wollen Sie bis dahin von außen gern beobachten?
Ich bin mit allem, was wir machen, extrem zufrieden. Wir brauchen keine Veränderungen, wir brauchen Weiterentwicklung. Und wir brauchen ein klares Bekenntnis zur Nationalmannschaft von allen Beteiligten.