Wolfsburg. Die Quarantäne-Anordnungen für Nationalspieler entfachen Diskussionen. Der Fußball muss jetzt über härtere Maßnahmen nachdenken. Eine Analyse.
Die erste Hälfte der Länderspielwoche ist geschafft. Deutschland hat am Donnerstagabend gegen Liechtenstein gespielt. In Wolfsburg. Im November. Und klar mit 9:0 gewonnen Trotz der Löw-Verabschiedung u wird von dieser Partie wahrscheinlich nicht vielmehr als das Ergebnis im kollektiven Gedächtnis der Fußball-Nation übrigbleiben. Ähnliches darf man vom letzten WM-Qualifikationsspiel in Armenien am kommenden Sonntag bereits vor dem Anpfiff annehmen. Und dennoch wird diese Länderspielwoche bei allen Fußballfans lange nachhallen.
Der Grund hierfür ist weniger der Impfdurchbruch des doppelt gepiksten Niklas Süle, der nach seinem positiven PCR-Test am Tag nach der Ankunft wieder umkehren musste. Der Hauptgrund ist natürlich viel mehr die Quarantäne-Anordnung für den nicht geimpften Joshua Kimmich und die mutmaßlich ebenso ungeschützten Bayern-Kollegen Serge Gnabry, Jamal Musiala und Eric Maxim Choupo-Moting, sowie den Salzburger Karim Adeyemi. Und vor allem: die sich daran anschließenden Diskussionen.
Schnell wurde gefragt, warum Zuschauer in Wolfsburg einen 2G-Nachweis bräuchten, die Gladiatoren in der Arena aber nicht. Genauso schnell wurde geantwortet, dass das eine durch das Infektionsschutzgesetzt gedeckt sei, das andere aber die grundrechtlich geschützte Berufsausübung betreffe.
Trotzdem machte sich FC St. Paulis Präsident Oke Göttlich für ein 1G-Modell (eine Impfpflicht im Profifußball) stark, DFB-Mannschaftsarzt Tim Meyer widersprach. Bundestrainer Hansi Flick konnte (oder wollte) die Frage nicht so recht beantworten, ob er den Impfstatus seiner Spieler bei zukünftigen Länderspielen berücksichtigen werde, DFB-Direktor Oliver Bierhoff versuchte sich im Slalom zwischen Unterstützung für Kimmich und Co und Impf-Appell.
Als Branche privilegiert
Am Ende dieser Woche bleibt das Gefühl, dass der Fußball, der zu Beginn der Pandemie wie kaum eine andere Branche privilegiert wurde, seiner Vorbildrolle in dieser Pandemiephase nicht ausreichend nachkommt. So ehrt es Flick und Bierhoff zwar, dass sie auch ungeimpften Spielern den Rücken stärken. Andererseits verpassten es die Fußballchefs, mitten in der vierten Welle einen grundsätzlichen Punkt zu machen. Das Zeichen, das vom Fußball ausgeht, wird wahrgenommen! Immerhin: Die DFB-Strategie, auch geimpfte Fußballer testen zu lassen, ging in Wolfsburg voll auf.
Flick hat auch recht, wenn er ein weiteres Mal betont, dass es in Deutschland keine Impfpflicht gebe. Und ja, man muss die Ängste derjenigen weiter ernst nehmen (obwohl es zunehmend schwer fällt), die sich trotz eindeutiger Empfehlungen aller ernstzunehmenden Wissenschaftler einer Impfung verweigern. Unwissenheit mag bei manch einem ein Grund sein. Fehlende Informationsmöglichkeit ein anderer. Doch beides kann bei Kimmich und Co, die einen einfachen Zugang zu Informationen und den besten Ärzten des Landes haben, nicht mehr angeführt werden.
Kein Anspruch auf Verdienstausfall
Doch weil im turbo-kapitalistischen Fußball der Appell an die Egoisten, bitteschön an die Allgemeinheit zu denken, nicht zieht, muss nun auch der Fußball über härte Maßnahmen nachdenken. Zum Beispiel über die seit dem 1. November bestehende Regelung für Normalbürger, dass Ungeimpfte keinen Anspruch mehr auf Verdienstausfall während einer Quarantäne haben. Im Fall von Kimmich, so rechnete es die „Bild“ aus, würde es aktuell um 384.000 Euro gehen.
Ins Grübeln würde es die kickenden Impfskeptiker aber wohl eher bringen, wenn sich tatsächlich Göttlich und Co. durchsetzen; wenn nur dribbeln kann, wer sich auch piksen lässt. In der US-amerikanischen Basketballliga NBA klappt es doch auch: Weil nur noch Geimpfte bezahlt auf Korbjagd gehen dürfen, ging unter den Athleten die Impfquote rasant nach oben.
Es wird die größte Herausforderung der Wintermonate sein, die Geduld aufzubringen, renitente Impfverweigerer weiterhin mit Argumenten auszukontern. Und es bleibt die Hoffnung, dass auch ein sehr spätes Tor in der Nachspielzeit zum Sieg reichen kann.