Reykjavik. Der neue Bundestrainer Hansi Flick darf sich über drei Siege in der WM-Qualifikation freuen und wirbt zugleich für Bodenhaftung.
Wahrscheinlich konnte Hansi Flick am Donnerstagnachmittag, als er endlich mit Stunden Verspätung zu Hause in Bammental im Rhein-Neckar-Kreis angekommen war, über diesen Scherz schon wieder lachen: Wer immer auf dem Boden bleibt, der bekommt nun mal in der Luft seine Probleme. Denn die hatten der Bundestrainer und der gesamte DFB-Tross in der Nacht nach dem 4:0-Sieg auf Island tatsächlich. Nachdem die Boeing 737-522 um 1 Uhr (Ortszeit) aus Reykjavik in Richtung Frankfurt abgehoben war, kam es kurze Zeit später in der Luft zu einem Zwischenfall.
Ungeplante Zwischenlandung in Schottland
Der Flieger funkte den Code 7700, der für eine medizinische oder technische Notlage an Bord steht. Laut RTL soll eine „unzuverlässige Funktion eines Notstrom-Aggregats“ festgestellt worden sein. Der Flugkapitän reagierte umgehend und landete ungeplant im schottischen Edinburgh. Wenig später gab der DFB via Twitter Entwarnung: „Safety first. Sichere Zwischenlandung als Vorsichtsmaßnahme in Edinburgh. Von dort aus individuelle Weiter- und Rückreise geplant.“
Wer nun „Ende gut, alles gut“ als Fazit dieses Island-Trips zieht, der verkennt, dass man aus sportlicher Sicht schon vor dem Zwischenfall über den Wolken von einer Überflieger-Woche sprechen und schreiben konnte. Der neue Bundestrainer führte seine Mannschaft zu drei Siegen in drei Spielen mit einem Torverhältnis von 12:0 – noch nie war ein Nationaltrainer besser gestartet. „Die Mannschaft hat das hervorragend umgesetzt“, hatte Flick am Abend gesagt – war aber nach den drei Siegen gegen Liechtenstein (2:0), Armenien (6:0) und Island (4:0) vor dem Abflug um Bodenhaftung bemüht. „Da bleiben wir jetzt mal schön ruhig“, sagte der 56-Jährige im Bauch des Stadions Laugardalsvöllur, als ihm nach dem 4:0 gegen biedere Isländer die Fragen der Reporter zu einseitig wurden.
Gegen Island waren sogar noch mehr Tore möglich
Einseitig waren aber auch zuvor die 90 Minuten, die einen angemessenen Schlusspunkt hinter Flicks erste Bundestrainer-Woche setzten. Seine Mannschaft hatte zwar nicht ganz so brilliert wie drei Tage zuvor in Stuttgart gegen Armenien. Aber genauso wenig hätten sich die Isländer beschweren dürfen, wenn Deutschlands Offensivspieler sogar noch mehr Tore erzielt hätten – Timo Werner und Kai Havertz ließen beste Gelegenheiten aus. Am Ende dürfte es dem Bitte-auf-dem-Teppich-bleiben-Bundestrainer ganz recht gewesen sein, dass es „nur“ beim 4:0 geblieben war.
Lediglich die Frage, wie dieser Flick es schaffte, die noch vor wenigen Wochen fatalistische Grundstimmung ins Gegenteil zu verkehren, blieb zunächst unbeantwortet. „Wir machen einfach die Kisten“, floskelte Hobby-Philosoph Serge Gnabry, der noch bei der Euro im Sommer enttäuscht hatte und dem nun in den ersten drei Flick-Spielen drei Tore gelangen. „Es ist nicht so, dass wir davor keine Chancen gehabt haben, da haben wir sie einfach nicht gemacht.“
Flick sucht die Nähe zu den Spielern
Gnabrys Erklärungsansatz kommt – um im Duktus zu bleiben – zu einfach daher. Wer erfahren wollte, was Flick mit seinen in den vergangenen Monaten kriselnden Spielern gemacht hat, der musste nicht während der 90 Minuten in Reykjavik aufpassen. Sondern direkt nach den 90 Minuten. Denn da wartete der neue Chef an der Seitenlinie auf jeden einzelnen Spieler, er klatschte ab, umarmte, tätschelte Köpfe und sprach Mut zu. Verteidiger Antonio Rüdiger, der trotz einer tadellosen Leistung und eines Treffers mit sich zu hadern schien, bekam die volle Dosis Flick. Der Bundestrainer schien seinen Abwehr-Bären gar nicht mehr loslassen zu wollen – genauso wenig wie später Paris-Profi Thilo Kehrer, dem Flick ein Sonderlob aussprach.
Es sind in etwa die gleichen Mechanismen, mit denen Flick vor nicht allzu langer Zeit einen gewissen Fußballklub namens FC Bayern in einer schwierigen Phase übernommen hatte. Sein damaliges Erfolgsrezept: zuhören, miteinander sprechen, Stärken betonen und an den Schwächen arbeiten. So startete Flick bei den Bayern im November 2019 mit einem 2:0 in der Champions League in Piräus und einem 4:0 gegen Borussia Dortmund. Es war der Anfang einer denkwürdigen Saison, die mit sechs Titeln enden sollte. Wer aber an dieser Stelle eine Analogie herstellen wollte und auf das WM-Turnier im November 2022 im sonnigen Katar hinwies, das aller Voraussicht nach auch wieder mit den Deutschen stattfinden wird, den bat der Bundestrainer darum, die Kirche im Dorf zu lassen.
Oder mit anderen Worten: Nun bloß nicht abheben.