Stuttgart. Nationalspieler Karim Adeyemi feiert ein gelungenes Debüt. Seine Karriere verlief nicht geradlinig. Beim FC Bayern fiel er einst durchs Raster.
Irgendwann kann sich Manfred Schwabl gar nicht mehr richtig auf das Spiel konzentrieren. Natürlich, auch er ist begeistert vom Auftritt der deutschen Mannschaft und dem fulminanten 6:0 (4:0)-Sieg gegen Armenien durch Tore von Serge Gnabry (6., 15.), Marco Reus (35.), Timo Werner (44.), Jonas Hofmann (52.) und Karim Adeyemi (90.+1), der die deutsche Mannschaft auf Platz 1 der WM-Qualifikationsgruppe J befördert. Aber in der zweiten Halbzeit achtet der 55-Jährige im Stuttgarter Stadion vor allem darauf, wann Adeyemi endlich eingewechselt wird.
Schwabl ist Präsident des Regionalligisten SpVgg Unterhaching, und man kann sagen, dass es ohne ihn den Nationalspieler Adeyemi wohl nicht geben würde. Aber dazu später mehr. Jetzt kommt erst einmal die 71. Minute und das Signal von Bundestrainer Hansi Flick: „Als Karim dann tatsächlich die Trainingsjacke ausgezogen hat und zur Seitenlinie ging, hatte ich Gänsehaut pur“, erzählt Schwabl tags drauf im Gespräch mit dieser Redaktion. Und Adeyemi ist ziemlich überwältigt, nicht nur, weil er für sein großes Vorbild Serge Gnabry eingewechselt wird. „Ich bin glücklich, dass ich mein Debüt erleben durfte, und durch mein Tor ist es umso schöner“, sagt er.
Förderer von Manfred Schwabl auf der Tribüne dabei
Auf dem Platz zeigt sich schnell, warum Flick ihn nominiert hat, der 19-Jährige ist schnell, trickreich und torgefährlich. Man hätte ihm nun vieles sagen können, als er nach dem Spiel zur Haupttribüne kommt, wo seine Eltern, sein Berater und sein Förderer aus Jugendtagen warten. Schwabl sagt: „Geil gemacht, aber schön am Boden bleiben, gell?“ Darüber muss er einen Tag später selbst lachen. „Er wird auch denken: Der Schwabl erzählt mir seit gefühlt 10 Jahren immer das gleiche“, sagt er. Denn der Satz passt ziemlich gut zum Verhältnis der beiden.
Das Ausnahmetalent Adeyemi, dessen Vater Nigerianer und dessen Mutter Rumänin ist, hat nämlich keinen geradlinigen Weg durchs deutsche Nachwuchsförderungssystem zurückgelegt, ganz im Gegenteil. Sein Fall ist ein Beispiel dafür, dass in den vergangenen Jahren einiges im Argen lag. „Es ist doch eigentlich unfassbar, dass ein solches Toptalent im Ausland spielt und nicht bei einem deutschen Topverein und dass deutsche Nachwuchshoffnungen in der Bundesliga generell zu wenig Chancen bekommen“, sagt Schwabl. „Wenn ich die Einsatzminuten deutscher Nachwuchsspieler in den ersten drei Ligen sehe, kann man doch nur den Kopf schütteln.“
Karim Adeyemi in der Schule "ein richtiger Lausbub"
Adeyemi hat die entscheidenden Schritte in den Profifußball beim österreichischen Bundesligisten RB Salzburg gemacht. Beim großen FC Bayern war er mit neun Jahren durchs Raster gefallen. Nicht aus sportlichen Gründen, sondern wegen Disziplinlosigkeiten. Bei der kleinen SpVgg Unterhaching fängt man ihn wieder auf, unter hohem persönlichen Aufwand. Er sei wegen seines Nachwuchsspielers öfter bei Schulterminen mit Lehrern und Rektoren gewesen als wegen der eigenen Kinder, sagt Schwabl: „Das war ein richtiger Lausbub. Er war nicht frech. Aber wenn im Schulsport nicht Fußball gespielt wurde, hat er halt zufällig den Turnbeutel zu Hause vergessen. Und im Matheunterricht hatte er den Zirkel nicht dabei.“
Schwabl trifft Abmachung mit Adeyemis Eltern
Gemeinsam mit den Eltern entscheidet Schwabl: Klappt es in der Schule nicht, darf Adeyemi nicht auch trainieren und nicht spielen. Das gefällt den Jugendtrainern wenig, die auf ihren wichtigsten Spieler verzichten müssen. Aber es wirkt. Das Talent kommt in die Spur, wird 2019 mit der Fritz-Walter-Medaille ausgezeichnet, als bester U17-Spieler des Jahres. Ein schüchterner Teenager steht damals im Besenbinderhof in Hamburg, findet nicht viele Worte – weiß aber genau, wem er das zu verdanken hat: „Ich bin froh, dass Unterhaching an mich geglaubt und mich weiterentwickelt hat.“
Karim Adeyemi schreibt noch Autogramme, wenn andere schon weg sind
In Salzburg läuft es nicht nur sportlich. Schwabl freut sich besonders, wenn er nach Spielen sieht, wie sein einstiger Schützling geduldig Autogramme schreibt, wenn die Mitspieler längst auf dem Heimweg sind. „Da geht mir das Herz auf“, sagt er. „Dass er schnell ist und Tore schießen kann, weiß ich seit zehn Jahren. Aber wichtig ist doch auch, wie sich der Charakter entwickelt.“
Am Sonntag, nach dem ersten Länderspiel, ist in Stuttgart ein zwar selbstbewussterer junger Mann zu erleben als einst in Hamburg, der vergnügt von den ersten Tagen bei der Nationalmannschaft erzählt. Den DFB-Pressesprecher, der neben ihm sitzt, siezt er dabei, das ist ungewöhnlich.
Es ist ein Zeichen, dass er noch nicht lange dabei ist. Aber auch ein Zeichen für Höflichkeit und Bodenständigkeit. Manfred Schwabl wird es gefallen haben.