Tokio. Die Spiele sollten Japan diverser machen. Am Ende überlagern Kontroversen und Infektionen die Erkenntnisse.
groß waren die Paralympischen Spiele noch nie. Mindestens 4,25 Milliarden Menschen in rund 150 Ländern haben die größte Behindertensportveranstaltung der Welt im TV gesehen. Auch mit den 4400 Sportlerinnen und Sportlern, die nach Tokio reisten, wurde ein Rekord erreicht. Trotz Pandemie haben die Paralympics ihren jahrelangen Wachstumskurs fortgesetzt.
Und das in Japan, das bisher nicht als Hochburg des Parasports bekannt war. Dort sollten die Paralympics nicht zuletzt für mehr Wertschätzung von Diversität sorgen. Die Barrierefreiheit sollte verbessert, die Sichtbarkeit von Menschen mit einer Behinderung erhöht werden. Bevor die Pandemie die Welt eroberte und bald der Ausschluss von Zuschauern verkündet wurde, hatte Tokio barrierefreie Hotels gebaut, in Aufzüge in U-Bahnstationen investiert. Japans öffentlicher Rundfunksender NHK übertrug 600 Stunden Livesport – Rekord.
Kritik an Art der Übertragung
Ein großer Erfolg also? Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) sowie das lokale Organisationskomitee haben das immer wieder betont. Kritiker der Spiele von Tokio sehen es anders. „So, wie die Spiele im TV präsentiert wurden, war es in großen Teilen emotionale Pornographie“, sagt etwa Hiroki Ogasawara, Soziologieprofessor an der Universität Kobe. „Die Athleten wurden mit ihren persönlichen Geschichten angereichert. Das war zu viel Storytelling, der Sport stand oft nicht im Mittelpunkt.“
Tatsächlich wurden auch vom IPC immer wieder persönliche Tragödien der Athleten betont, die Berichterstattung in Japan betonte wiederum das „Trotzdem“ in diesen Geschichten. Ogasawara erkannte eine unmissverständliche Botschaft ans Publikum: „ ,Sieh hin, sogar die können das! Dann kannst du das auch!’ Aber natürlich können die Athleten das besser als wir Zuschauer. Sie sind Athleten.“
Diese vermeintliche Reinheit, die die Paralympics auszeichnet, sollte in diesem Sommer auch dem angekratzten Image der Olympischen Spiele helfen. Die Opposition gegen die Austragung inmitten der Pandemie war vor den Olympischen Spielen groß. An den Paralympics gab es anfangs weniger Kritik. Aber das änderte sich bald. Denn die Infektionsquote unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Paralympics war schon zur Halbzeit in etwa so hoch wie bei Olympischen Spielen zum Ende. Wie dicht die Blasen gewesen sind, ist umstritten. Jedenfalls hat sich die Pandemielage in Japan verschärft. Die Sieben-Tage-Inzidenz hat sich in den letzten Wochen auf 116 mehr als vervierfacht.
Sapporo in den Startlöchern
Nach den Olympischen und Paralympischen Spielen von Tokio, für deren Austragung ein wirtschaftliches Defizit in Höhe von rund 18 Milliarden Euro erwartet wird, will sich nun Sapporo um die Winterspiele 2030 bemühen. Das IOC hat vor zwei Jahren eine Volksabstimmung für Bewerbungen zur Pflicht gemacht. Sofern sich IOC und IPC an diese Ankündigungen halten, ist ungewiss, ob die japanische Bevölkerung so bald nach „Tokyo 2020“ schon ein „Sapporo 2030“ will.