Tokio. Die deutschen Männer waren angetreten, um China zu ärgern. Beim 0:3 im Olympia-Finale wurde daraus wie schon 2008 wieder nichts.

Wenn Menschen auf Außerirdische treffen, sind Überraschungen zumeist von vornherein ausgeschlossen. Im Tokio Metropolitan Gymnasium hatten die Menschen, in diesem Fall die drei deutschen Tischtennisspieler Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska, diese Hoffnung, die Außerirdischen zu besiegen, also Chinas Vorzeigeabsolventen im Platte-Leistungskurs. „Wir waren in dem festen Glauben, China heute angreifen zu können“, sagte der 32 Jahre alte Ovtcharov zu seiner zweiten Medaille nach dem Bronze im Einzel bei diesen Olympischen Spielen. „Deswegen sind wir jetzt auch so enttäuscht.“ Die chinesische Mauer hielt im Mannschafts-Finale. Schon wieder.

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0:3 hieß es wie schon vor 13 Jahren in Peking, als der Mannschaftswettbewerb aus der Taufe gehoben wurde und Deutschland Silber errang. Im Tischtennis hat die Konkurrenz gegen das Team aus dem Reich der Mitte einfach keine Schnitte. 1988 in Seoul wurde erstmals mit dem damaligen Zelluloidball um olympische Medaillen gespielt, für Chinas Schmetterkönige bedeutete nun der Triumph von Ma Long, Fan Zhendong und Xu Xin den 32. Olympiasieg im 37. Wettbewerb seitdem. Für alle anderen geht es also vornehmlich darum, die Besten der Irdischen zu sein. Wobei nicht ausgeschlossen ist, dass auch da asiatische Anlagen mit im Spiel sind: Von den 172 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Tokio haben 31 chinesische Wurzeln. Nur sechs spielten auch für ihr Heimatland.

Timo Boll unterliegt Ma Long wieder deutlich

Für Timo Boll war es der x-te Anlauf, die Vormachtstellung zu durchbrechen. Während der 40-Jährige ist noch immer der gleiche, der 2008 mit dem Mannschaftssilber seine erste olympische Medaille gewann, steht ihm auf der anderen Seite des Netzes bereits die dritte oder vierte Generation Außerirdischer gegenüber. „Man glaubt ja immer daran, dass irgendwann mal alles zusammenfallen kann“, sagte der Mann aus dem Odenwald, der seit so vielen Jahren das Aushängeschild von Borussia Düsseldorf ist. „Aber die Chinesen sind halt unglaublich gefestigt – spielerisch und mental.“

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Knapp zwei Stunden benötigten sie diesmal, um die Machtverhältnisse im Welt-Tischtennis zu manifestieren. Vor 13 Jahren, als Christian Süß anstelle von Patrick Franziska an der Seite Bolls und des damals erst 19 Jahre alten Ovtcharovs spielte, stand das 0:3 bereits nach 95 Minuten fest. Boll/Franziska hatten im Auftakt-Doppel gegen Ma/Xu mit 0:3 das Nachsehen, umkämpft war Ovtcharovs Partie gegen Fan. Mit 1:0 und 2:1 führte der Mann, der für Fakel Orenburg in Russland spielt. Zwischendurch stöhnten beide so laut, dass sich Anwesende in der Halle an Tennismatches von Monica Seles oder Maria Scharapowa erinnert fühlen mussten. Am Ende behielt Fan mit 3:2 die Oberhand. „Wenn ich da den Sieg geholt hätte, wäre Timo gegen Ma Long voll da gewesen“, sagte Ovtcharov. Boll, der 2005 gegen den damals 16 Jahre alten Ma Long sein erstes Duell verlor, kämpfte verbissen, lieferte sich Ballwechsel auf Weltklasse-Niveau mit seinem Gegner, unterlag am Ende aber doch 1:3.

Es wird immer schwieriger, die Chinesen zu ärgern

So ist das, wenn die Nummer eins, zwei und drei der Welt – Fan (24), Ma (32) und Xu (31) – auf die Nummer sieben, zehn und siebzehn – Ovtcharov (32), Boll (40) und Franziska (27) – treffen. Die Ausgangslage vor olympischen Tischtennis-Turnieren ist einfach: China gewinnt. Und wenn China mal nicht gleich von sich aus gewinnen kann, strengt sich der Gegner an, dass China gewinnt. 400 Millionen jagen im einwohnerreichsten Land der Welt (1,44 Milliarden) den Ball übers Netz, zehn Millionen von ihnen treten zu Wettkämpfen an. Der Deutsche Tischtennis-Bund zählte zuletzt 540.000 Mitglieder.

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„Die Chinesen zu schlagen, wird immer unser Ziel bleiben“, sagte Patrick Franziska mit Silbermedaille um den Hals. „Der Glaube war nie größer als heute.“ Und doch wird es von Jahr zu Jahr schwieriger. Timo Boll wird nicht jünger, Dimitrij Ovtcharov ist vielleicht gerade auf dem Höhepunkt seines Leistungsvermögens, wie das knappe 3:4-Halbfinal-Aus im Einzel gegen Ma Long bewies. Allerdings trainieren europäische Talente erst mit der Volljährigkeit professionell. Dann haben sie bereits „gegenüber den Chinesen zwölf Jahre verloren und zwei Millionen Trainingsstunden Rückstand“, sagte Ovtcharov mal. „Das wird man mit 18 nicht mehr aufholen, höchstens Anschluss finden. Aber ein Spieler wird nicht die Nummer eins werden oder die Chinesen ärgern.“

Timo Boll lässt Olympia-Teilnahme 2024 noch offen

Timo Boll indes ist das mehrmals gelungen. Erst im Frühjahr 2018 führte der achtmalige Einzel-Europameister noch mal die Weltrangliste an, zum vierten Mal in seiner beeindruckenden Laufbahn. „Immer noch vorne dabei zu sein und um Medaillen zu kämpfen, macht mir einen Riesenspaß“, sagte er nun mit einer selbstverständlichen Bodenständigkeit nach der vierten Medaille (zwischen den silbernen gab es zweimal Bronze mit dem Team) bei sechs Olympia-Teilnahmen. Und wenn es Gold geworden wäre? „Dann hätte ich sehr gerne heute aufgehört“, antwortete Boll und lachte. Für Paris 2024 wollte er noch keine Prognose abgeben, „für einen 40-Jährigen sind drei Jahre eine lange Zeit.“ Die Konzentration gilt den nächsten Höhepunkten: „In wenigen Tagen beginnt schon wieder die Bundesliga.“