Tokio. Christin Hussong hat das Speerwurf-Finale von Tokio verpasst. Nun richten sich die Augen auf Johannes Vetter: Er gilt als Topfavorit.
Das war nichts. Christin Hussong schlägt sich die Hände vors Gesicht, dann blickt sie ratlos in den Nachthimmel über dem Tokioter Olympiastadion. Die Speerwerferin aus Zweibrücken ahnt nach ihrem dritten Versuch bereits, dass es keinen weiteren für sie geben wird.
Wieder nur 59 Meter und ein paar Zerquetschte, zehn Meter unter ihrer Bestleistung aus diesem Jahr, das ist zu wenig. Die 27-jährige Europameisterin, als zweitbeste Werferin des Jahres nach Japan gereist, muss ihre Medaillenhoffnungen abhaken, bevor es im Finale der Speerwerferinnen überhaupt richtig zur Sache geht.
Christin Hussong mit dem schlechtesten Wettbewerb
So ist das in den Wurfdisziplinen: Wer nach den ersten drei Durchgängen nicht zu den Top acht gehört, muss seine Tasche packen. Alle anderen dürfen noch dreimal ran. Hussong lag nach ihrem dritten Wurf auf Rang acht. Aber direkt nach ihr war die Türkin Eda Tugsuz an der Reihe. Und sie zeigte nach zwei ungültigen Versuchen keine Nerven: 62,13 Meter. Die Türkin war drin. Und Hussong war raus. „Ich mache den schlechtesten Wettkampf der Saison ausgerechnet im Olympiafinale, das ist natürlich enttäuschend“, sagt sie später.
Woran es gelegen hat? „Technisch war ich schlecht, ich war richtig schlecht.“ Dabei habe sich beim Einwerfen noch alles gut angefühlt, körperlich sei sie fit, erklärt Hussong. Sie steht in den Katakomben des Stadions, oben fliegen die Speere der Besten noch über die Wiese, und hier unten soll sie erklären, was sie nicht erklären kann. Sie sagt: „Es ist, wie es ist. Ich kann es nicht ändern. Das gehört auch zum Sport dazu. Man muss Niederlagen einstecken können, um vielleicht stärker da rauszukommen.“
Trampolin-Belag in Tokio beflügelt auch die Speerwerfer
Gold ging in einem Kampf um wenige Zentimeter schließlich an die Chinesin Liu Shiying (66,34 Meter), Silber gewann die Jahresbeste Maria Andrejczyk aus Polen (64,61), und Bronze holte die Amerikanerin Kelsey-Lee Barber (64,56). Drei der vier Besten dieses Finales warfen weiter denn je in dieser Saison. Womit eines wohl geklärt wäre: Der Trampolin-Belag in Tokio, der die Läufer reihenweise zu Rekorden rennen lässt, kann so schlecht auch für die Speerwerfer nicht sein. Wobei Christin Hussong mutmaßt: „Vielleicht war ich durch die Bahn zu schnell und konnte das nicht umsetzen.“
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Zu schnell für den goldenen Wurf? Eine genaue Analyse wolle sie in Ruhe vornehmen, wenn die Enttäuschung sich etwas gelegt hat, sagt Hussong noch. Zusammen mit ihrem Trainer und Vater Udo. „Wir müssen darüber reden, damit das im nächsten Jahr nicht wieder passiert. Damit das in drei Jahren nicht wieder passiert.“ In drei Jahren finden wieder Olympische Spiele statt. Dann in Paris. Und dann möchte Hussong endlich mal in den Endkampf. Es wäre ihr dritter Versuch nach Platz zwölf 2016 in Rio und nun Platz neun in Tokio.
Johannes Vetter im Männer-Finale der Topfavorit
Für Hussongs Disziplin-Kollegen Johannes Vetter steht am Samstag der zweite Versuch nach Platz vier in Rio an. Der 28 Jahre alte Offenburger gilt im Männer-Finale (13 Uhr MESZ) als absoluter Topfavorit auf Gold. Er hat in diesem Jahr 90-Meter-Würfen in Serie abgeliefert, er ist seit 18 Wettbewerben unbesiegt, und er strotzt vor Selbstbewusstsein: „Ich weiß, was ich drauf habe, ich bin der Favorit, und ich bin mir sicher, dass ich dem Druck standhalten kann.“ Das sagte Vetter im Vorfeld. Im Trainingslager der Leichtathleten in Miyazaki habe er in der unmittelbaren Olympia-Vorbereitung noch ausgezeichnete Werte im Krafttraining erzielt. Und beim Badminton- und Tischtennis-Spiel mit Coach Boris Obergföll für Lockerheit im Kopf gesorgt.
In der Qualifikation hakte es dann allerdings beim Weltmeister von London 2017 und WM-Dritten von Doha 2019. 83,50 Meter waren gefordert. Ein Kinderspiel für ihn. Eigentlich. Doch erst im dritten Durchgang katapultierte er sein Sportgerät mühsam über diese Marke hinweg auf 85,64 Meter. Finale gesichert. Zweifel gesät. Teamkamerad Julian Weber aus Mainz schaffte in der anderen Qualifikationsgruppe auf Anhieb 84,41 Meter, der Potsdamer Bernhard Seifert verpasste das Finale.
Telefonieren mit dem Sportpsychologen
„Klar hätte ich’s gerne im Ersten gemacht, ich hätte auch gerne weiter geworfen“, sagte Vetter anschließend. Aber sein Timing, sein Rhythmus seien irgendwie durcheinander geraten, seit er bei seinen letzten beiden Wettkämpfen vor Olympia nicht mehr über 90 Meter kam und mit den Belägen der Bahnen haderte. Das wolle er bis zum Finale „fixieren“. Arbeiten mit Trainer Obergföll, telefonieren mit dem Sportpsychologen Hans-Dieter Hermann. Irgendwo muss er ja sein, der Johannes Vetter, der in dieser Saison bislang unbesiegbar war.