Tokio. Nach Bronze über 1500 Meter wollte Sarah Köhler auch über 800 Meter eine Medaille - doch die Schwimmerin verpasste diese deutlich.
Als Sarah Köhler ihr letztes Rennen bei den olympischen Schwimm-Wettbewerben noch einmal durchging und erklärte, lagen hinter ihr auf zwei Tischen im Tokio Aquatics Centre Plastikbeutel. Darin verstaut: Rucksäcke und persönlichen Sachen der acht Finalistinnen über 800 Meter, für jede mit der vorherigen Startbahn gekennzeichnet. Eine gute Viertelstunde nach dem Anschlagen am Beckenrand lagen dort nur bei der Vier und der Sechs die Beutel, alle anderen Schwimmerinnen waren schon auf dem Weg in die Umkleide.
Auf der Bahn vier war Katie Ledecky zu ihrem zweiten Gold bei den Olympischen Spielen nach dem über 1500 Meter geschwommen. Die US-Amerikanerin holte damit noch das Mindeste aus ihrem angedachten Freistil-Durchmarsch heraus, nachdem sie auf den beiden kürzeren Distanzen über 200 und 400 Metern der Australierin Ariarne Titmus unterlegen war. Klar, dass Ledecky am längsten vor Fernsehkameras und Mikrofonen ihren insgesamt siebten Olympiasieg erklären musste. Im Umkehrschluss bedeutete es jedoch nicht, dass Sarah Köhler, der der Beutel unter der 6 gehörte, ebenfalls zu den Medaillengewinnerinnen zählte.
Sarah Köhler: "Habe nicht gemerkt, dass ich so langsam bin"
„Gerade ist die Enttäuschung groß“, sagte die 27-Jährige nach ihrem siebten Platz. Drei Tage zuvor hatte sie mit Bronze beim olympischen 1500-Meter-Premierenrennen noch die erste Medaille für deutsche Schwimmerinnen und Schwimmer seit Britta Steffens Doppel-Gold in Peking 2008 geholt. Aber am Montag „fahre ich zu 90 Prozent mit einem Lachen aus Tokio nach Hause“. Mit dem dritten Platz am vergangenen Mittwoch war ein „Kindheitstraum in Erfüllung gegangen“, sagte Köhler, nur: „Das jetzt ist ein Wehmutstropfen, weil es eine geschenkte Medaille gewesen wäre.“
Keine besonders verwegene Einschätzung. Köhler war mit einer Zeit von 8:17,33 Minuten in den Endlauf eingezogen, das war nur eine Sekunde langsamer als bei ihrem Deutschen Rekord. „Als ich gesehen habe, dass Bronze sogar mit einer 8:18er Zeit weggegangen ist, war ich noch enttäuschter als ohnehin schon.“ Die letzte verbliebene Medaille hinter Ledecky und Titmus hatte sich die Italienerin Simona Quadarella in 8:18,35 Minuten gesichert. Köhler: „Ich habe nicht gemerkt, dass ich tatsächlich so langsam bin.“
Ein unerwarteter Leistungseinbruch bei Sarah Köhler, die stellvertretend für den Deutschen Schwimm-Verband nach zwei medaillenlosen Olympischen Spielen in London und Rio nun aber mit der Bronzemedaille in Tokio ein Zeichen des Aufbruchs gesendet hatte. 2018 fand sie mit ihrem Wechsel von Heidelberg nach Magdeburg ihr persönliches Rundumglück: Unter ihrem Bundes- und neuen Heimtrainer Bernd Berkhahn wurde sie immer schneller, gewann 2019 bei der WM in Gwangju (Südkorea) Silber über 1500 Meter und Gold mit der Freiwasser-Staffel. Trainingskollege Florian Wellbrock, der in der Nacht zu Sonntag das erste deutsche Schwimm-Olympiagold seit 33 Jahren holen wollte, wurde zum Lebenspartner und Verlobten. Köhler studiert in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts Jura, ihre meinungsstarke Stimme wird als Athletensprecherin der deutschen Schwimmer gehört.
Sarah Köhler will bei Olympia in Paris erneut angreifen
An diesem Samstagvormittag in Tokio rätselte Sarah Köhler nun aber, was auf den 16 Bahnen schiefgelaufen war. Das Einschwimmen sei nicht so vielsprechend, aber auch nicht ausschlaggebend gewesen, sagte sie. Trotzdem war das Vertrauen in eine gute Zeit da, „ich war ja im Finale über 1500 Meter auch schneller als im Vorlauf. Das Ziel war, eine Bestzeit zu schwimmen und den Deutschen Rekord zu brechen.“ Doch davon war sie weit entfernt.
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Der Start fühlte sich bereits gebraucht an, „ich bin von Anfang an nicht mitgekommen“, sagte Köhler. Die neben ihr befindlichen Konkurrentinnen zogen davon, „Simonas Füße habe ich noch bis zur 200-Meter-Marke gesehen, dann aber nicht mehr.“ Die Hoffnungen darauf, dass links und rechts neben ihr das Rennen zu schnell angegangen wurde, zerschlugen sich recht schnell. „Spätestens ab 600 Metern habe ich gemerkt: Da komme ich nicht mehr heran.“ Köhler fehlte der Druck auf der Hand, um sich am Wasser noch nach vorne zu ziehen.
Bernd Berkhahn hatte bereits vor den Spielen erkannt, dass Sarah Köhler ein bisschen Muskelmasse mehr helfen würde, noch bessere Zeiten zu schwimmen. „Aus meiner Sicht ist Sarah längst nicht am Ende. Sie hat noch so viele Reserven“, sagte er nun in Tokio. „Ja, da ist noch mehr drin“, bestätigte die Athletin ihren Bundestrainer in dessen Glauben. Ob im Becken oder im Freiwasser – bei einer olympischen Medaille soll es nicht bleiben. Die nächste Chance bietet sich Sarah Köhler bereits in drei Jahren in Paris. „Das werde ich auf jeden Fall in Angriff nehmen“, sagte sie, nahm ihre Sachen vom Tisch und ließ nur noch den Plastikbeutel mit der Nummer vier liegen.