Essen. Frankreichs Kraft entsteht im Zentrum. Dies soll Ungarn spüren. Dabei sind Paul Pogba, N´Golo Kante und Adrien Rabiot unterschiedliche Typen.
Ein kleiner Zeitsprung, vor vier Jahren zieht die kalte Luft der Nacht langsam in die Tiefen des Stockholmer Stadions. Die Journalisten verharren trotzdem. Sie warten auf den Star, der gerade mit Manchester United die Europa League errungen hat. Als Paul Pogba schließlich erscheint, schimmern seine weißen Zähne, die Ohrringe glänzen, während er an jeder Kamera anhält, jede Frage beantwortet, scherzt, sogar tanzt. Pogba weiß, was von ihm erwartet wird.
Nach dem 1:0-Erfolg der Franzosen über Deutschland am Dienstag bei der EM 2021 filmten die Kameras schon wieder vor allem Pogda, weil der 28-Jährige im ersten EM-Spiel einen zauberhaften Auftritt hinlegte. Ohne die Mannschaft sei dies allerdings nicht möglich gewesen, merkte er an, „sie haben mir geholfen“. Im Fußball loben Hauptdarsteller zwar meist automatisch die Nebenmänner, in diesem Fall steckte in den Worten jedoch viel Wahrheit. Denn Frankreich funktioniert im Kollektiv – und gerade im Zentrum kann Pogba nur durch die Unterstützung seiner beiden Kollegen strahlen, mit denen er das derzeit beste Mittelfeld der Welt formt. Und die ganz anders in der Öffentlichkeit auftreten.
Frankreichs Mittelfeld bildet bei der EM 2021 eine verschiebbare Wand
N`Golo Kante duckt sich möglichst unter jeder Kamera weg. Adrien Rabiot wird hingegen viel seltener von den Kameras eingefangen. Pogba sei der Startänzer gewesen, schrieb die französische Zeitung Le Monde nach dem Spiel in München. Kante und Rabiot tanzten im Hintergrund, für den Erfolg bedeuteten sie genauso viel. Heute in Budapest gegen Ungarn können die drei dem nächsten Gegner den Weg durchs Zentrum versperren (15 Uhr/ARD).
Gerade weil der Weltmeister unter Trainer Didier Deschamps gerne den Ball abgibt, kommt dem Mittelfeld eine große Bedeutung zu. Pogba, Kante und Rabiot bilden eine verschiebbare Wand vor dem eigenen Sechzehnmeterraum, um dann, sobald ein Zweikampf gewonnen wird, möglichst schnell die rasante Offensive um Kylian Mbappe einzusetzen. Die deutsche Zentrale verfügt selbst über Weltklasse, doch an Frankreichs Zentrum prallte sie ab. Zu synchron arbeiten die drei französischen Mittelfeldspieler, obwohl sie so verschieden sind.
Paul Pogba zählt zu den Berühmtheiten der Branche, tritt auf wie Popstar. 2016 wechselte er für die damalige Rekordsumme von 105 Millionen Euro von Juventus Turin zu Manchester United. Doch auch wenn er 2017 als Europa-League-Sieger durch das Stockholmer Stadion tänzelte, konnte er die Erwartungen in England nie erfüllen. Anscheinend benötigt der nach außen extrovertierte Fußballer intern das Vertrauen für große Leistungen, jedenfalls schwärmte er zuletzt vom französischen Trainer Didier Deschamps. „Er hat immer zu mir gehalten, aber mich trotzdem nicht verschont. Er hat mir geholfen, ein Anführer in dieser Mannschaft zu sein“, meinte Pogba.
N´Golo Kante: Der Gegenentwurf bei der EM 2021 zum Weltstar
N`Golo Kante (30) tritt stattdessen auf wie der Gegenentwurf zu Pogba, obwohl er selbst im Klub Herausragendes vollbringt. Beim Champions-League-Erfolg des FC Chelsea Ende Mai bezeichneten ihn die meisten als besten Profi im Finale gegen Manchester City (1:0). Bemerkenswert, weil er sich erst im Alter von 23 Jahren in den bezahlten Top-Fußball wühlte. 2015 führte ihn sein Weg nach England zu Leicester City, ein Jahr später kaufte ihn Chelsea. Seitdem arbeitete er sich zum Kreis der weltbesten Spieler, ohne dabei eine große öffentliche Strahlkraft wie Pogba zu entwickeln. Trainer Deschamps adelt Kante mit den Worten: „Er ist sehr gut in der Balleroberungsphase, er ist sehr gut in der Phase des Übergangs, und er ist imstande, sich vorn einzuschalten und den Abschluss zu suchen.“ Sprich: Er kann alles.
Adrien Rabiot (26) lebt damit, dass es in seinen Mannschaften Profis gibt, die gefragter sind. Bis 2019 ordnete er das Zentrum des französischen Erstligisten Paris Saint-Germain, bei dem die Stars Mbappe und Neymar die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Seitdem verdient er sein Geld bei Juventus Turin mit Cristiano Ronaldo. 2018 setzte Deschamps Rabiot nur auf die Nachrückliste für die Weltmeisterschaft in Russland. Dieser reagierte brüskiert, sagte dem Trainer per E-Mail ab. Doch der Ärger ist beigelegt, diesmal darf Rabiot mitmischen.
„Wir wissen, dass wir unserem Anspruch als Weltmeister gerecht werden und mit Demut auf den Platz gehen müssen“, sagte Paul Pogba in München. Er weiß, dass es noch ein weiter Weg ist, um in diesem Sommer bei der EM 2021 wieder eine Show nach dem Finale abliefern zu können.