Seefeld. Am Freitag startet für die deutsche Nationalmannschaft in Seefeld die EM-Vorbereitung. Für Bundestrainer Löw gibt es viele Fragezeichen.
Im Laufe des Tages immerhin reißt der Himmel auch mal auf über Seefeld, nachdem es lange grau war, nachdem regenschwere Wolken das beeindruckende Alpenpanorama verhüllt hatten. Wechselhaft bis trüb, das sind auch die Aussichten für die kommenden Tage, aber den Trainern und Betreuern der Nationalmannschaft, die hier im Laufe des Tages eintreffen, dürfte das eher egal sein. Sie sind ja nicht zum Urlaubmachen hier.
DFB-Direktor Bierhoff lobt das "Gesamtkonzept der kurzen Wege"
Ab Freitag, wenn auch die meisten Nationalspieler im Luxushotel Nidum eintreffen, startet in der Olympiaregion Seefeld die Vorbereitung auf die Europameisterschaft – nachdem die obligatorischen Corona-Tests absolviert sind, soll gegen 17 Uhr die erste Einheit auf den drei Kilometer entfernten Naturrasenplätzen unterhalb der Skisprungschanzen beginnen. DFB-Direktor Oliver Bierhoff lobt das „Gesamtkonzept der kurzen Wege“ mit „besten Trainingsbedingungen“ – was man eben so sagt als Verantwortlicher vor einem Trainingslager.
Auch interessant
Zehn Tage wird der DFB-Tross in Seefeld bleiben, Testspiele gegen Dänemark in Innsbruck (2. Juni) und gegen Lettland in Düsseldorf (7. Juni) bestreiten. Dann geht es weiter ins Basislager in Herzogenaurach und am 15. Juni steht in München das erste EM-Spiel gegen Frankreich an. Ein letztes Mal stehen also für den scheidenden Bundestrainer Joachim Löw die Tage an, in denen er so richtig aufgeht in seinem Amt. Der 61-Jährige ist ein Trainingslager-Trainer; er liebt es, über Tage intensiv mit seiner Mannschaft zu arbeiten. Dass er zuletzt stets drei Länderspiele in zehn Tagen bestreiten musste und kaum trainieren konnte, war ihm zuwider.
Bundestrainer Löw setzt auf Standardsituationen
Löw will tüfteln und feilen, gerne auch an den Grundlagen des Spiels. 2006 etwa wurde die Basis für das Sommermärchen auch dadurch gelegt, dass der damalige Co-Trainer den Abwehrspielern in einem Crashkurs Viererkette das richtige Verschieben beibrachte. Die aktuelle, in den Nachwuchsleistungszentren ausgebildete Generation braucht das nicht mehr, es gibt aber auch so genug zu tun: „Inhaltliche Themen sind natürlich die defensive Ordnung und die offensiven Möglichkeiten“, hat der Bundestrainer schon vor einigen Tagen erklärt.
Und dann hat er noch angefügt: „Schwerpunktmäßig werden wir sicher auch Standardsituationen trainieren, viel mehr als sonst bei Länderspielen.“ Das kommt einerseits überraschend aus dem Mund des Fußball-Ästheten Löw, der Eckbälle und Freistöße lange wie etwas Anrüchiges behandelte. Beim WM-Titel 2014 aber durfte er erleben, welche wichtige Rolle der ruhende Ball spielen kann. Spötter würden zudem ergänzen, dass auch bei der desaströsen WM 2018 die Hälfte aller deutschen Turniertore nach einer Standardsituation fiel – eins nämlich.
Im DFB-Mittelfeld fehlt fast die gesamte Stammbesetzung
Neben dem Platz ist „ein wichtiger Punkt, sich als Team zu finden“, sagt Löw. Das berühmte Teambuilding also, wobei noch gar nicht wirklich klar ist, welches Team sich da bilden soll. Viele wichtige Akteure werden erst in der kommenden Woche zur Mannschaft stoßen, im Mittelfeld fehlt fast die gesamte Stammbesetzung: Toni Kroos ist an Corona erkrankt, Leon Goretzka am Oberschenkel verletzt. Er wird nach Informationen dieser Zeitung am Dienstag in Seefeld erwartet. Ilkay Gündogan bestreitet am Samstag noch das Champions-League-Finale mit Manchester City gegen den FC Chelsea – und damit gegen Timo Werner, Kai Havertz und Antonio Rüdiger.
Auch interessant
Noch ist auch völlig unklar, wie es danach für die England-Legionäre weitergeht: In Österreich wie in Deutschland ist Großbritannien seit Dienstag als Virusvariantengebiet eingestuft, weil sich dort die sogenannte indische Variante des Coronavirus verbreitet. Einreisende aus England müssen für 14 Tage in Quarantäne, diese kann nicht durch negative Tests verkürzt werden – das gilt theoretisch auch für Profifußballer.
Praktisch allerdings hat die österreichische Nationalmannschaft für ihr Testspiel am 2. Juni in Middlesbrough eine Ausnahme bekommen. Darauf hofft nun auch der DFB, zudem will sich die Uefa des Themas annehmen und Ausnahmen für alle Mannschaften erwirken. Das würde auch Arsenal-Torhüter Bernd Leno betreffen. Robin Koch von Leeds United war für den letzten Premier-League-Spieltag bereits freigestellt und rechtzeitig ausgereist.
BVB-Mittelfeldspieler Mahmoud Dahoud soll sich auf Abruf bereithalten
Viele Fragezeichen also für Löw, der ja in den kommenden Tagen vor allem auch klären muss, wie er die Rückkehrer Mats Hummels und Thomas Müller wieder in die Startelf integriert, wen er aus dem Überangebot im Mittelfeld auswählt und wie er die defensiven Außenbahnen stabilisiert. Dazu bräuchte es möglichst viele Spieler im Training.
Für den Fall der Fälle hat der Bundestrainer vorgesorgt: In einem langen Telefonat hat er in den zurückliegenden Tagen Borussia Dortmunds Mittelfeldspieler Mahmoud Dahoud gebeten, sich auf Abruf bereitzuhalten – falls sich die Personallage ähnlich trüb bis wechselhaft wie das Wetter gestalten sollte.