Düsseldorf. Bis Anfang Juni muss Bundestrainer Joachim Löw seinen EM-Kader nominieren. Ein Überblick, wer dabei ist – und wer sich Sorgen machen muss.

Zeit zum Probieren und Experimentieren ist jetzt nicht mehr: Die drei WM-Qualifikationsspiele gegen Island (3:0), Rumänien (1:0) und Nordmazedonien (1:2) waren für Bundestrainer Joachim Löw die letzte Möglichkeit, noch einmal seine Kandidaten um sich zu versammeln, bevor er den Kader für die Europameisterschaft nominieren muss. Am 18. oder 19. Mai die will er sein Aufgebot bekanntgeben, am 1. Juni muss er sein Aufgebot der Uefa melden. 20 Feldspieler und drei Torhüter sieht das Regelwerk vor, derzeit aber wird diskutiert, ob die Kader nicht in Corona-Zeiten um zwei bis drei Spieler erweitert werden.

Knapp zwei Monate vor Ende der Nominierungsfrist zeichnet sich ein Großteil des Kaders schon ab. Sollten keine schweren Verletzungen dazwischenfunken, sind 16 Spieler sicher dabei. Es gibt aber auch zahlreiche prominente Wackelkandidaten. Ein Überblick.

Sicher dabei:

Manuel Neuer: Dass vor und nach der verkorksten Weltmeisterschaft heftig über den Torhüter und Kapitän diskutiert wurde, scheint wie eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten. Neuer hält beim FC Bayern wie in besten Zeiten und ist bei der Nationalmannschaft unumstritten. Für die EM ist er klar als Nummer 1 eingeplant.

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Marc-André ter Stegen: Wer beim FC Barcelona seit Jahren Leistungsträger im Tor ist, wäre wohl in den meisten Nationalmannschaften Stammtorwart. Ter Stegen hat das Pech, dass es da noch einen Neuer gibt. Obwohl er manchen unglücklichen Länderspiel-Auftritt hatte, wird er sicher bei der EM dabei sein – spielen aber ziemlich sicher nicht.

Antonio Rüdiger: Beim 1:2 gegen Nordmazedonien lieferte er zwar einen konfusen Auftritt ab, insgesamt aber hat sich der Innenverteidiger beim FC Chelsea unter dem neuen Trainer Thomas Tuchel deutlich stabilisiert.

Matthias Ginter: Man sah ihm in den vergangenen Tagen an, dass bei Borussia Mönchengladbach ein gutes Stück Selbstbewusstsein abhandengekommen ist. Aber Löw schätzt Ginter als verlässliche Lösung, die für einen Innenverteidiger eine gute Spieleröffnung hat und zur Not auch als Rechtsverteidiger aushelfen kann.

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Niklas Süle: Seit seinem Kreuzbandriss tut sich der Abwehr-Koloss schwer, die alte Form zu erreichen, die jüngsten Länderspiele verpasste er verletzt. Löw hält dennoch große Stücke auf Tempo und Zweikampfstärke des Innenverteidigers, der beim FC Bayern zuletzt auch rechts eine gute Figur machte.

Lukas Klostermann: Deutschland fehlen gute Außenverteidiger, der Leipziger ist einer – und kann dazu noch Innenverteidiger in einer Dreierkette spielen. Genügend Argumente für einen Platz im Kader.

Emre Can: Defensives Mittelfeld, Rechtsverteidiger, Innenverteidiger, Linksverteidiger – all diese Positionen hat der Dortmunder schon im Klub und der Nationalmannschaft ausgefüllt. Dank seiner Vielseitigkeit in der Defensive hat er eine Nominierung sicher – weil er Löw so die Möglichkeit eröffnet, einen Offensivspieler mehr mitzunehmen.

Joshua Kimmich: Der Bayern-Akteur bringt zusätzlich zu den Fähigkeiten am Ball eine gute Portion defensive Galligkeit ein – und ist deswegen unverzichtbar.

Leon Goretzka: Dank seiner Dynamik als kongenialer Kimmich-Partner nicht mehr wegzudenken.

In der Form seines Lebens: Ilkay Gündogan.
In der Form seines Lebens: Ilkay Gündogan. © Getty

Ilkay Gündogan: Der Mittelfeldspieler ist in der Form seines Lebens. Fühlt sich auch auf engstem Raum wohl, zudem torgefährlicher denn je.

Toni Kroos: Fehlte in den jüngsten Partien verletzt, wegen seiner Ballsicherheit, Erfahrung und Ausstrahlung dennoch gesetzt. Ihn bringt einfach nichts aus der Ruhe – das ist für ein Turnier nicht die schlechteste Eigenschaft.

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Florian Neuhaus: Bekam in den vergangenen Tagen nicht allzu viel Spielzeit, hat gegen die Weltklassespieler im Zentrum auch keine Startelf-Chancen - ist bei Löw allerdings als deren erster Vertreter fest eingeplant.

Leroy Sané: Der Bayern-Profi ist manchmal noch zu ballverliebt und bremst das deutsche Spiel damit. Dass Löw ihn aber wie 2018 vor der Nominierung streicht, ist ausgeschlossen – auch der Bundestrainer weiß ja inzwischen, wie wichtig Spieler sind, die in Dribblings gehen und sich in diesen auch durchsetzen können.

Serge Gnabry: Tempo, Technik, Torgefahr – dieser Dreiklang macht den Bayern-Angreifer unverzichtbar.

Kai Havertz: Der Offensiv-Allrounder hatte keinen leichten Start bei seinem neuen Klub FC Chelsea. Dank seiner Vielseitigkeit, seines überragenden Spielverständnisses und seiner Technik hat er seinen Platz im Kader dennoch sicher.

Vergab gegen Nordmazedonien eine Großchance: Timo Werner.
Vergab gegen Nordmazedonien eine Großchance: Timo Werner. © DPA

Timo Werner: Der Chelsea-Profi ist weit von seiner Bestform entfernt, gegen Nordmazedonien vergab er eine herausragende Chance auf den Siegtreffer kläglich. Aber er ist Mittelstürmer, die sind in Deutschland auf höchstem Niveau ähnlich selten wie Außenverteidiger – und deswegen ist er bei der EM dabei.

Gute Chancen:

Thomas Müller: Es ist eine der größten Fragen, die Löw klären muss: Nimmt er einen oder mehrere der aussortierten Weltmeister von 2014 wieder ins Aufgebot? Müller wäre erster Kandidat. Das 1:2 gegen Nordmazedonien hat gezeigt, dass die Mannschaft einen brauchen kann, der schnörkellos den Abschluss sucht und die Mitspieler puscht. Jetzt muss der Bundestrainer nur noch über seinen Schatten springen.

Mats Hummels: Auch seine Chancen sind gewachsen durch das Debakel gegen Nordmazedonien, er könnte die Abwehr stabilisieren. Ansonsten gilt, was auch für Müller gilt.

Kevin Trapp: Der Torhüter spielt eine gute Rolle bei Eintracht Frankfurt und hat 2018 schon bewiesen, dass er sich klaglos als Nummer drei unterordnet – das ist wichtig für die Stimmung im Team.

Marcel Halstenberg: Verpasste die jüngsten Länderspiele, weil er in Quarantäne musste. Ansonsten wohl erster Anwärter auf die Linksverteidigerposition – aber nicht konkurrenzlos.

Robin Gosens: Machte gegen Nordmazedonien kein gutes Spiel, womit er allerdings nicht allein war. Sein Vorteil: Er kann nicht nur Linksverteidiger, sondern auch weiter vorne auf dem Flügel spielen.

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Robin Koch: Der Innenverteidiger hat bei Leeds Utd einen großen Schritt nach vorne gemacht – fehlte aber lange wegen einer Knieverletzung. Sollte er zur alten Form finden, sind die Chancen gut, denn Löw ist ein Fan des 24-Jährigen, der mit seinen geschmeidigen Bewegungen und der guten Spieleröffnung ein Prototyp des modernen Innenverteidigers ist – und auch im Mittelfeld aushelfen kann.

Marco Reus: Bundestrainer Löw hat klar gesagt: Der Kapitän von Borussia Dortmund hat nur dann eine Chance, wenn er körperlich vollkommen fit ist – und das ist ja oft das Problem. Dann aber stünden seine Chancen gut, weil er neben Erfahrung und Spielintelligenz auch Abschlussstärke mitbringt.

Jonas Hofmann: Musste wegen einer Corona-Infektion abreisen. Kann sich dennoch einen Platz im Kader ausrechnen, weil er fast überall im Mittelfeld und auf den offensiven Außenbahnen einsetzbar ist.

Als Offensiv-Alternative interessant: Amin Younes.
Als Offensiv-Alternative interessant: Amin Younes. © AFP

Amin Younes: Der Frankfurter verkörpert jenen Typ Straßenfußballer, den man sich beim DFB wieder wünscht. Unbekümmert, unkonventionell, mit der Fähigkeit zum schnellen Dribbling – das macht ihn als Offensiv-Alternative interessant.

Julian Draxler: Lange Löws Lieblingsschüler, bei den aktuellen Spielen dann nicht berücksichtigt – ein deutlicher Warnschuss. Sollte Draxler allerdings in den kommenden Wochen in Paris regelmäßig spielen, sind seine Chancen dennoch gut – denn Löw schätzt seine grundsätzlichen Fähigkeiten weiter sehr, den Antritt, das Dribbling, die Schussstärke. Das alles aber muss er zwingend öfter zeigen.

Luca Waldschmidt: Wer bei Benfica Lissabon um den Stammplatz kämpfen muss, kann eigentlich kein Kandidat für die Nationalmannschafts ein. Aber Waldschmidt ist Mittelstürmer und weiß grundsätzlich, wo das Tor steht – das ist ein dicker Pluspunkt.

Außenseiterchancen

Bernd Leno: Rein sportlich steht er Kevin Trapp in nichts nach. In der Vergangenheit gab es aber so manche Spannung mit ter Stegen – das könnte den Arsenal-Profi den dritten Torhüter-Platz kosten. Denn atmosphärische Störungen bei einem Turnier will kein Trainer riskieren.

Jonathan Tah: Bei der Nationalmannschaft zunehmend an den Rand gedrängt. Gegen Nordmazedonien spielte statt ihm der fachfremde Can in der Innenverteidigung. Sollte Hummels dabei sein, ist Tah höchstwahrscheinlich raus.

Jamal Musiala: Der 18-Jährige gefällt mit seiner unbekümmerten Spielweise, für die EM aber reicht es wohl noch nicht. Danach wird seine Zeit kommen.

Julian Brandt: Wie Draxler erstmals seit langer Zeit nicht nominiert. Er wird es schwerhaben, seinen Platz zurück zu erkämpfen, denn in Dortmund läuft er seiner Form seit Monaten hinterer – und die Aussichten auf Spielzeit sind nicht allzu rosig.

Aus dem Rennen

Jerome Boateng, Ridle Baku, Thilo Kehrer, Philipp Max, Florian Wirtz, Mahmoud Dahoud, Niklas Stark, Nadiem Amiri, Nico Schulz, Benjamin Henrichs, Suat Serdar