Düsseldorf. Ilkay Gündogan war oft verletzt und hatte Ärger wegen eines Erdogan-Fotos. Inzwischen führt er das DFB-Team an.
Die Karriere von Ilkay Gündogan rauschte schon häufig auf eine Sackgasse zu. Heute aber, wenn Deutschland im dritten WM-Qualifikationsspiel Nordmazedonien empfängt (20.45 Uhr/RTL), wird der gebürtige Gelsenkirchener die Nationalelf als Kapitän auf den Rasen führen. Weil Torhüter Manuel Neuer durch Marc-André ter Stegen ersetzt werden soll.
Lange konnte es niemand ahnen, dass Gündogan sich einmal DFB-Kapitän nennen darf. Denn immer begleitete ihn auch Tragik. Verletzungen schwächten ihn, ließen ihn verzweifeln. Im vergangenen Jahr erkrankte er zudem an Corona. Schon 2018 schleuderte sein Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan den Deutschen Fußball-Bund in eine große Krise. Gündogan wurde von den eigenen Fans ausgepfiffen. Mesut Özil, ebenfalls auf dem Bild, trat nach dem WM-Aus mit einem großen Knall ab. Gündogan aber blieb, versuchte sich zu erklären, manövrierte sich aus der Sackgasse.
Ilkay Gündogan ragt bei Manchester City heraus
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Und jetzt, im Alter von 30 Jahren, erfüllt Gündogan all die Erwartungen, die in ihn gesteckt wurden. In der Premier League gelingt es ihm im Trikot von Manchester City, selbst aus dem luxuriösen Kader des Spitzenklubs noch herauszuragen. Bei der Nationalmannschaft nährt er die Hoffnung, dass die Europameisterschaft vielleicht doch eine erfolgreiche werden könnte. Mitspieler Antonio Rüdiger huldigte ihn bereits als „derzeit besten deutschen Spieler“. 2021 könnte das Jahr des Ilkay Gündogan werden.
In der Form seines Lebens sei er trotzdem nicht, berichtet er am Dienstag im Düsseldorfer Mannschaftshotel, schließlich habe er auch schon vorher gut gespielt. Etwa bei Borussia Dortmund. Dort entwickelte er sich zum Nationalspieler. Dort fiel er fast ein Jahr lang aus (die Tragik). Ehe ihn Pep Guardiola 2016 zu Manchester City lockte. Wieder verletzte er sich, jetzt aber beglückt er selbst die kritische englische Presse. In dieser Spielzeit seien es vor allem die Tore (zwölf in der Liga), durch die er mehr Aufmerksamkeit bekomme, erklärt Gündogan. Während er alleine vor dem Monitor sitzt, der die Fragen der Journalisten aus dem Homeoffice zu ihm transportiert. Selbst der Pressesprecher des DFB darf ihn nicht zu der Fragerunde begleiten. Genauso wie die vier anderen Profis aus dem Mutationsgebiet England wurde Gündogan von den übrigen Mitspielern größtenteils isoliert.
Anders als auf dem Rasen, dort versucht der Mittelfeldspieler im Zentrum, ein Taktgeber der Mannschaft zu sein. Bei der Nationalelf sei er freier als im Verein, berichtet Gündogan. In Manchester solle er meistens in der Offensive lauern. „Hier kann ich mich auch mal zurückfallen lassen.“ An guten Tagen – und von denen erlebt er gerade viele – zaubert Gündogan Pässe aus dem Fußgelenk, zieht er mit dem Ball an Gegenspielern vorbei, erspürt er freie Räume, überwindet er Torhüter. „Ich bin selbstbewusst genug, dass ich die Qualität habe und spielen sollte“, sagt er. Dies habe er 2018 aber auch schon gefühlt, dennoch durfte er sich nach einer Einwechslung nur in einer Vorrundenpartie gegen das blamable WM-Aus stemmen. „Trotzdem hatte ich keinen Grund, sauer zu sein. Ich habe einfach versucht, es zu akzeptieren und weiter mein Ding zu machen.“
Ilkay Gündogan empfängt mit Manchester City den BVB
Vieles deutet darauf hin, dass Gündogan beim Großereignis in diesem Sommer mehr Einsatzzeiten sammeln wird. Trotz der großen Konkurrenz im Mittelfeld, das nur Platz für drei Spieler im Zentrum bietet. Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Toni Kroos erheben neben Gündogan den Anspruch, das Aufbauspiel bei der EM zu gestalten. Einen von den vieren muss Bundestrainer Löw enttäuschen. „Am Ende ist es nur gut für uns, dass wir gerade in so einer zentralen Position mit vielen Topspielern bestückt sind“, sagt Gündogan.
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Erst mal wird er sich heute in Duisburg die Kapitänbinde überstülpen. Kurz danach werden die Scheinwerfer wieder etwas greller auf ihn leuchten. In der kommenden Woche empfängt Ilkay Gündogan mit Manchester City seinen ehemaligen Klub Borussia Dortmund im Champions-League-Viertelfinale. Der Fußball beschert ihm derzeit einige Höhepunkte. Neben dem Platz versuche er sich hingegen, irgendwie die Zeit zu vertreiben. Durch die Corona-Krise bleibt Gündogan viel zu Hause. Im deutschen Mannschaftshotel musste er wie die übrigen England-Profis größtenteils auf dem Zimmer müßiggehen. „Ich bin nicht stolz drauf, aber ich habe meistens Fußballmanager gespielt“, gibt er zu.
Während Gündogan auf dem Rasen viel Außergewöhnliches vollbringt, kommt sein Leben nach dem Abpfiff derzeit so unspektakulär wie ein Besuch beim Bürgeramt daher. Nach all den Rückschlägen wird er gegen diese Verteilung nichts einzuwenden haben.