München. Das 4:0 gegen Atlético deutet an, dass der FC Bayern für Bestleistungen die große Bühne braucht – Trainer Flick fordert Fokus auch im Alltag.
Manchmal reichen Sekunden, um einen Gesamteindruck abzubilden. Aus dem Auftaktspiel des FC Bayern in der Champions League gegen Atlético Madrid am Mittwochabend ließen sich diese exemplarischen Sekunden kurz vor der Halbzeit herausfiltern. Es waren jene Momente, in denen die gesamte Mannschaft in den Balleroberungsmodus schaltete. Gleich drei ballnahe Münchener verdichteten den Raum und setzten die Gegenspieler unter Druck. Was dem Pressing folgte, war der Versuch der in die Enge getriebenen Gäste, sich zu befreien. Ein Pass kam noch an, den nächsten störte Corentin Tolisso so energisch, dass Héctor Herrera unabsichtlich zum Münchener Stürmer Robert Lewandowski weiterleitete. Mehrere Bayern waren in diesem Moment schon in den Vollsprint nach vorne gewechselt, und am Ende der Raserei bediente Kingsley Coman mit einem Querpass Leon Goretzka, der präzise aus zehn Metern zum 2:0 vollendete (41.).
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Es war die Vorentscheidung eines Spiels, das durch die weiteren Tore von Coman (28./72.) und Corentin Tolisso (66.) 4:0 (2:0) endete und wie eine Erinnerung an die Aufführungen der Bayern im August beim Finalturnier in Lissabon wirkte. Mit diesem Geist der gemeinschaftlichen Attacke hatte die Mannschaft von Trainer Hansi Flick dort die Champions League gewonnen und damit ihr zweites Triple nach 2013. Und dieser selbstbewusste Geist des konzentrierten und erdrückenden Power- und Pressingstils war nun so deutlich zurückgekehrt, dass Flick kaum anders konnte, als umfassend zu loben. Die sehr robuste Mannschaft von Atlético sei eine „schwere Aufgabe“ gewesen, sagte der Trainer, „aber dann das Spiel so souverän runterzuspielen, ist einfach gut.“ Er nannte den Auftritt seiner Mannschaft noch „bravourös“, „sehr überzeugend“ und den Sieg „ganz klar“. Sein Fazit: „Wir haben es sehr gut gemacht“, garniert von „vier wunderbaren Toren, eines schöner als das andere“.
Flick war glaubhaft sehr zufrieden
Dass Trainer ihre Mannschaft ausführlich loben, dient manchmal der Stärkung des Binnenklimas. Es geht dann darum, öffentlich über ein paar Defizite zu schweigen und lieber das Positive zu betonen, um nicht ohne Not für kritische Schlagzeilen zu sorgen. Wie jeder Fußballlehrer bedient sich auch Flick ab und zu dieser Methode, er lässt dann einfach die weniger guten Eindrücke aus seiner öffentlichen Analyse weg. Am Mittwochabend bestand dazu aber kaum Anlass, er war glaubhaft sehr zufrieden. Denn das, was die Bayern zur Aufführung gebracht hatten, war schon so nah am Optimum, dass von einer Rückkehr zur Triple-Form und einem deutlichen Signal an Europas Konkurrenz gesprochen werden konnte, wieder nach dem Henkelpott zu greifen. „Ihre unbändige Kraft hat heute den Unterschied gemacht“, sagte Atléticos Trainer Diego Simeone, der Kraftfußball lehrt. Dessen Mannschaft nannte Thomas Müller „die größten Rabauken im europäischen Fußball“, als er sich über seine verwunderliche Gelbe Karte beschwerte. Diese hatte er gesehen, nachdem er im Anschluss an einen Pass Kieran Trippier leicht touchiert hatte.
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Als Beleg für die Münchener Vehemenz diente auch Joshua Kimmichs Auftritt nach einer kurzen Nacht, in der er zum zweiten Mal Vater geworden war. Wieder ließen sich ein paar Sekunden destillieren, um seine Beiträge komprimiert zu veranschaulichen. Vorm 1:0 eroberte den Ball mit einer Grätsche, er stand auf und drehte sich, um sofort umzuschalten in die Rolle des Spielmachers und einen scharfen Diagonalpass zu schlagen, den Coman ebenso fein mit links annahm und mit rechts einschob. „Jo ist für uns als Sechser enorm wichtig gegen und mit dem Ball, weil er immer weiß, was zu tun ist“, sagte Flick.
"Das hat zuletzt ein bisschen gefehlt"
Es waren energische Momente mit jener Perfektion, die Flick zuletzt öfter mal vermisst hatte. Gesprochen hatte er darüber öffentlich nur bedingt. Aber jetzt, nach dem vollauf gelungenen ersten Spiel in der Champions League seit dem 1:0 im Finale von Lissabon gegen Paris Saint-Germain durch Comans Kopfballtor, ließ sich diese Kritik leichter platzieren. Flick verwies auf die besondere „körperliche Präsenz“ seiner Mannschaft und sagte: „Das war wichtig. Das hat zuletzt ein bisschen gefehlt.“ Und er verband diese Rückblende mit einer Forderung vorm Ligaspiel gegen Eintracht Frankfurt am Samstag. „Die Messlatte haben wir heute gesetzt“, sagte er, ein derart konsequentes Auftreten „erwarten wir auch im Pokal und in der Bundesliga.“ Also gegen auf dem Papier klar unterlegene Gegner und in jenem nationalen Alltag, der wohl auch wegen des Terminstresses manchmal nicht mehr als Motivation auszureichen scheint, um Höchstleistungen zu bringen.
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Es passte zu Flicks antizyklischem Vorgehen, dass er Coman ebenfalls einen Alltagsauftrag erteilte, nachdem der Franzose bald nach Tolissos Distanzschuss aus rund 25 Metern in den Winkel seine Glanzleistung mit einem Solo zum 4:0 gekrönt hatte. Auch für ihn sei das nun „die Messlatte“, habe er ihm gesagt, berichtete Flick. „In der Bundesliga gehört das auch dazu“, also diese konzentrierte Gier samt erzielter Tore. Es klang nach einer Mischung aus Druck ausüben und freudiger Erwartung, als Flick in Bezug auf den Flügelspieler ankündigte: „Da schauen wir in den nächsten Wochen mal, wie das wird.“ Gelegenheiten, seine Klasse im Alltag nachzuweisen, wird Coman genug bekommen. Serge Gnabry steht nach seinem positiven Corona-Befund vorerst nicht zur Verfügung. „Das ist schon ein Schock, auch wenn es klar war, dass es irgendwann passiert“, sagte Goretzka. Die vielen Fälle im Fußball und erweiterten Bekanntenkreis seien „wie eine Lawine“ gewesen, „die immer näher gekommen ist“. Der erste Fall beim FC Bayern sowie die weitere Absenz des noch nicht fitten Flügelkollegens Leroy Sané war den Münchnern aber nicht anzumerken gewesen, ebenso wenig wie Kimmichs kurze Nacht. Auch das erzählte viel über die besondere Motivation auf der großen Bühne.