Essen. Schon am Wochenende dürfen zwanzig Prozent der Zuschauerplätze belegt werden. Pharmakologe warnt vor einer Unterschätzung der Lage.

Es ist das Signal, auf das Bundesliga-Klubs und Fans gewartet haben. Die Chefs der Staatskanzleien haben sich auf eine einheitliche Lösung für die Rückkehr der Zuschauer geeinigt. Zu zwanzig Prozent dürfen die Arenen für die nächsten sechs Wochen ausgelastet werden, Gästefans, Alkohol und Stehplätze bleiben verboten, die Tickets müssen personalisiert werden. Schon am Freitag (20.30 Uhr) beim Bundesliga-Start darf der Revier-Klub Schalke 04 in der Münchener Arena also auf tausende Fans hoffen.

„Das ist der erste Hoffnungsschimmer, nicht nur für den Fußball“, sagte DFB-Präsident Fritz Keller. Die Richtlinien gelten auch für Sportarten wie Handball und Eishockey. „Wir werden versuchen, mit der Kraft und den Organisationsmöglichkeiten, die wir im Fußball haben, als Beispiel voranzugehen.“

16.000 Fans beim BVB möglich

Nach dem Wochenende stieg der Druck auf die Politik, einheitliche Regelungen zu schaffen. In Rostock wohnten 7500 Fans dem DFB-Pokalspiel bei, in Dresden waren es mehr als 10.000. In Duisburg sahen nur 300 Fans das 0:5 gegen Borussia Dortmund. BVB-Chef Hans-Joachim Watzke bedankte sich nach der Entscheidung bei der Politik und bezeichnete die Teil-Zulassung als „ganz wichtigen Schritt“ für die Fans: „Gleichzeitig fühle ich eine große Verpflichtung, dass wir als Klubs gemeinsam mit den beteiligten Fans mit dieser Probezeit in den kommenden Wochen äußerst verantwortungsvoll umgehen.“ Am Samstag (18.30 Uhr/Sky) empfängt der BVB Borussia Mönchengladbach. In Abstimmung mit dem Gesundheitsamt könnten 16.000 Fans im Stadion Platz nehmen.

Hilfe für die Regionalligisten

Nach mehr Zuschauern im Stadion sehnen sich vor allem die Regionalligisten. In der vierten Spielklasse nutzen TV-Einnahmen nichts, sondern nur zahlende Anhänger. Die NRW-Landesregierung greift den krisengeschüttelten Klubs deshalb unter die Arme. Zum Saisonstart dürfen mehr als 300 Zuschauer eingelassen werden. Liegt ein Hygienekonzept vor, dürfen ein Drittel der Sitzplätze angeboten werden.

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Auf die Klubs kommen organisatorische Herausforderungen zu: Einlasskontrollen müssen verstärkt, das Stadion „sicher“ gemacht werden: Wege werden zu Einbahnstraßen, An- und Abreisen streng bewacht. Fans dürfen den Mundschutz nur am Platz ausziehen. Andernfalls drohen Konsequenzen. Steigt die Zahl der Neuinfektionen in sieben Tagen auf mehr als 100.000 gehen die Stadion-Tore wieder zu.

Angesichts der unberechenbaren Entwicklung ist das Projekt Corona-Bundesliga 2.0 ein Wagnis. Aber aus Sicht der Deutschen Fußball-Liga ein notwendiges. Zwar hatte die DFL viel Lob für den Notbetrieb ohne Zuschauer erhalten. Den finanziellen Schaden konnte der leise Saisonabschluss aber nur gering abfedern. Gleichzeitig hat das Verhältnis zu den Fans gelitten. DFL-Chef Christian Seifert fürchtet mit Blick auf eine Studie schon, dass er die Jugend an Netflix verliert. Die Fans fürchten vor allem den Verlust der Fan-Kultur. Die Ultras von Borussia Mönchengladbach haben bereits angekündigt, den Saisonauftakt zu boykottieren. Das Fußball-Erleben der Fan-Kultur sei bei den geltenden Regeln nicht möglich, schrieb die Gruppe „Sottocultura“.

Warnung von Pharmakologen

Bedenken hat auch Fritz Sörgel. Der Nürnberger Pharmakologe nennt im Gespräch mit dieser Redaktion zwanzig Prozent zwar „verantwortbar“, warnt aber zugleich davor, die Lage zu unterschätzen: „Die DFL hat bis heute keine Ergebnisse aus den Geisterspielen veröffentlicht. Abstandhalten, Mundschutztragen, das sind klassische Maßnahmen. Aber dass der Effekt von Aerosolen im Stadion nicht wissenschaftlich untersucht wurde, ist nicht nachvollziehbar. Die DFL versteht es, klug im Umgang mit der Politik zu taktieren. Fußball ist in diesem Land eben sehr wichtig.“

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Schwierig ist für Sörgel auch der Begriff „Probezeit“, den Bayerns Ministerpräsident Markus Söder für die Zuschauer-Rückkehr bis Ende Oktober genannt hat. „Dass man daraus Rückschlüsse für die Winterzeit zieht, ist nicht hinnehmbar. Die Probezeit ist nicht relevant für die spätere Situation.“ Sörgel warnt, dass demnächst die Grippesaison beginnt, und sich das Infektionsgeschehen rasch wandeln kann. „ Zweitens, die Disziplin der Zuschauer wird abnehmen, je öfter ein Spiel erfolgreich abgeschlossen wird. Dass man dieses Risiko in Kauf nimmt, überrascht mich doch sehr. Zumal es schwierig sein dürfte, die Akzeptanz für im Winter definitiv zu verschärfende Maßnahmen zu gewinnen, wenn vorher alles ,gut gelaufen’ ist.“