Stuttgart. Der ehemalige Leipzig-Profi Timo Werner sieht die Nationalmannschaft vor dem Länderspiel gegen Spanien in der Offensive gut aufgestellt.

Auf einmal weht Applaus über den Platz. Eigentlich trainiert die Nationalmannschaft in Stuttgart ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nur einige wenige Journalisten sind zugelassen. Aber am Zaun der Anlage haben sich dennoch rund 50 Fans versammelt, Corona hin oder her, um einen Blick zu erhaschen auf die deutsche Elite-Auswahl und die Vorbereitung auf die Nations-League-Spiele an diesem Donnerstag gegen Spanien und am Sonntag gegen die Schweiz (beide 20.45 Uhr/ZDF). Und was sie gerade gesehen haben, hat sie besonders verzückt: Mit dem Rücken zum Tor hat Timo Werner einen langen Ball von der Brust abtropfen lassen, sich gedreht und ihn in einer fließenden Bewegung über Kevin Trapp hinweg ins Tor gehoben. Da johlen selbst die Teamkollegen.

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Dass Timo Werner Tore schießen kann, ist unbestritten, auch wenn dieses eher eine Ausnahme darstellt. Das typische Timo-Werner-Tor sieht nämlich so aus, dass der Stürmer den Verteidigern davonsprintet, von den Mitspielern bedient wird und dann eiskalt vollstreckt. 34 Treffer hat er so oder so ähnlich in der vergangenen Saison in 45 Pflichtspielen für RB Leipzig erzielt.

Timo Werner gilt beim DFB als Stürmer der Zukunft

Dem FC Chelsea war er daher in diesem Sommer 53 Millionen Euro wert und natürlich gilt der torgefährlichste deutsche Spieler der Bundesliga auch beim DFB als Stürmer der Zukunft – und das schon seit dreieinhalb Jahren und inzwischen 29 Länderspielen. Wenn aber jemand so lange das Etikett Zukunftshoffnung mit sich herumträgt, heißt das freilich auch: In der Gegenwart holpert es noch. „Es ist bei der Nationalmannschaft nicht immer so rund gelaufen wie bei RB“, räumt Werner ein.

Stuttgart könnte ein gutes Pflaster sein, das zu ändern: Hier ist Werner geboren, hier reifte er zum Profi. Und: Hier gelang ihm bei der ersten Rückkehr mit der Nationalmannschaft im September 2017 ein Doppelpack beim 6:0-Sieg gegen Norwegen. „Wenn ich das annähernd so wiederholen könnte, hätte sicher keiner etwas dagegen“, sagt er schmunzelnd. „Aber der Gegner war natürlich nicht annähernd so stark wie jetzt Spanien.“

Angenehmer Start in der neuen Heimat für Timo Werner

Angenehme Erinnerungen; die Rückkehr dahin, wo alles anfing; dazu die neue Herausforderung beim FC Chelsea: Es gibt gerade viel zu bewältigen für Timo Werner. Den ersten Monat in der neuen Heimat beschreibt er als sehr angenehm – auch weil derzeit wegen der Corona-Pandemie viel weniger Autos als sonst in London unterwegs sind, was die Umstellung auf den gefürchteten Linksverkehr erleichtert.

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Die fußballerische Umstellung aber kann ihm niemand ersparen: „In England sind die Verteidiger noch einmal robuster als in der Bundesliga, es geht sehr, sehr, sehr viel körperlicher zu“, berichtet der Torjäger, der zuletzt im Testspiel gegen Brighton & Hove Albion (1:1) gleich den einzigen Treffer für die Chelsea erzielt. Ein gutes Zeichen, und nicht nur deshalb ist Werner sicher: Er wird von der neuen Herausforderung profitieren. Und nicht nur er: „Natürlich tut das der Nationalmannschaft gut, wenn viele unterschiedliche Typen dabei sind, die in ihren Karrieren schon einiges durchgemacht haben, die nicht bei jedem kleinsten Widerstand umkippen oder sich aus der Verantwortung stehlen.“

Sané fehlt noch Spielpraxis

Davon könnte auch Leroy Sané erzählen, der in diesem Sommer den umgekehrten Weg geht, vom englischen Spitzenklub Manchester City zurück in die Bundesliga zum FC Bayern München – und der nach einem Kreuzbandriss und 15-monatiger Abwesenheit erstmals wieder bei der Nationalmannschaft dabei ist. Ein „toughes Jahr“ sei es gewesen, sagt er. Aber auch eins, in dem er viel gelernt habe. Im Training fordert er direkt wieder die Bälle, will sich zeigen – auch wenn die letzte Durchschlagskraft, die letzte Spritzigkeit noch fehlt. „Ich denke, ich bin ungefähr bei 80 Prozent“, schätzt der 24-Jährige. „Natürlich fehlt mir noch Spielpraxis, um die fehlenden Prozentpunkte dazuzubekommen.“

Spieler der goldenen Generation 1995/96

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Dass ein gesunder Sané der Nationalmannschaft guttut, ist unbestritten. Es gilt gemeinhin als einer der größeren Fehler in der Amtszeit des Bundestrainers Joachim Löw, dass dieser den Ex-Schalker kurz vor der Weltmeisterschaft 2018 noch aussortierte. Denn der Tempodribbler gehört dank seiner Geschwindigkeit und seiner Technik zu jener seltenen und deswegen so begehrten Sorte Fußballer, die mit Einzelaktionen ganze Abwehrketten aufreißen können. Und er gehört zur goldenen Generation 1995/96, jenen Jahrgängen, die schon in den Juniorennationalmannschaften Erfolge feierten und nun das Gerüst der Elite-Auswahl bilden sollen – wie Werner, wie Julian Brandt, wie Thilo Kehrer und wie die Bayern Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Serge Gnabry, die dieses Mal nach dem Champions-League-Sieg eine Pause bekommen.

Sané, Werner und Gnabry – das ist nicht nur in Löws Vorstellungen die Traumkonstellation im deutschen Angriff. „Wenn wir einigermaßen unverletzt durch das Jahr kommen und uns einspielen können, haben wir eine sehr, sehr starke Offensive“, findet Werner. „Denn wir haben so viel Qualität, dass jeder jederzeit das Spiel mit einem Tor entscheiden kann.“ Das ist auch Werners Ziel: „Ich will regelmäßig Tore machen“, sagt er. „Das erwartet auch der Bundestrainer von mir, ich bin ja schließlich Stürmer.“

Und sollten diese weniger schön ausfallen als im Training, wäre ihm das herzlich egal.