Essen. Vor dem Rennen in Ungarn: Ralf Schumacher - früher Formel-1-Pilot, heute TV-Experte - über Fehler und Chancen von Ferrari-Star Sebastian Vettel.

Ein spontanes Interview mit Ralf Schumacher am Telefon ist kein Problem. „Ich bin auf dem Stepper und kann im Moment sowieso nicht weg“, sagt der frühere Formel-1-Pilot und heutige Experte des Senders Sky, der ab der Saison 2021 das Geschehen aus der Königsklasse des Motorsports exklusiv überträgt. So nah wie Ralf Schumacher kommen während der Corona-Pandemie nur wenige an den Rennzirkus heran.

Der 45-Jährige begleitet mit dem Wohnmobil seinen Sohn David, der in der Formel 3 startet. An diesem Sonntag macht die Nachwuchsserie wie auch die Formel 1 in Budapest Station. Vor dem Großen Preis von Ungarn (15.10 Uhr/RTL und Sky) zieht Schumacher Bilanz: zu den beiden Geisterrennen in Österreich, dem katastrophalen Start für Ferrari und Sebastian Vettel (33) sowie den Aussichten des viermaligen Weltmeisters bei einem möglichen Wechsel zu Aston Martin.

Herr Schumacher, wie haben Sie die ersten beiden Rennen unter Corona-Maßnahmen erlebt?

Ralf Schumacher: Vor Ort ist gar nicht so viel anders als sonst. Klar, die Leute tragen ihre Masken. Die Hygienemaßnahmen sind in Spielberg sehr professionell umgesetzt worden, ich bin in den vergangenen zweieinhalb Wochen fünf Mal getestet worden. Die An- und Abreise war dazu etwas einfacher. Aber die Emotionen sind nicht so wie sonst.

Bekommen die Fahrer während des Rennens von den Fans an der Strecke überhaupt etwas mit?

Schumacher: Ja. Inzwischen sind die Motoren nicht mehr so laut wie früher. Damals habe ich die Fans nur gehört, wenn ich vor dem Rennen langsam durch das Motodrom am Hockenheimring gefahren bin. Aber auf den langen Geraden haben die Fahrer schon mal Zeit, nach links oder rechts zu schauen.

Sebastian Vettel blickt in eine unsichere Zukunft.
Sebastian Vettel blickt in eine unsichere Zukunft. © dpa | Zsolt Czegledi

Für Sebastian Vettel begann die Saison katastrophal: Platz zehn vor zwei Wochen, Unfall mit seinem Teamkollegen Charles Leclerc am vergangenen Sonntag. Was ist bei Ferrari los?

Schumacher: Ferrari hat ein Problem mit dem Auto. Der Motor, der im vergangenen Jahr noch der große Vorteil war, ist viel schwächer geworden. Ein Beispiel: Im ersten Sektor mit den beiden Geraden hat Ferrari in Spielberg vier Zehntel auf die Konkurrenz verloren. Nicht nur das, auch bei der Aerodynamik und Mechanik ist Ferrari weit weg. Ich bezweifele, dass sie es in Spielberg aus eigener Kraft in die Top 10 geschafft hätten. Leclerc hatte bei seinem zweiten Platz zum Auftakt viel Glück mit Safety-Car-Phasen und Ausfällen.

Kann Vettel mit Ferrari in dieser Saison noch mal um Siege oder zumindest Podestplätze fahren?

Schumacher: Im Moment sehe ich sie ehrlich gesagt auf einem Niveau mit Renault, die in Spielberg überraschend stark waren. Mercedes sowieso, aber auch Red Bull, Racing Point oder McLaren sind davor. Ich glaube, dass Mercedes ohnehin mit angezogener Handbremse fährt. Deren Potenzial ist noch viel größer. Das ist für die Roten ein bitteres Stück. Und der gesamten Formel 1 kann es nicht gefallen, wenn das Zugpferd so hinterherfährt. Mit dem Budget, das Ferrari zur Verfügung hat, wird es aber nur eine Frage der Zeit sein, bis sie wieder vorne sind. Dafür muss sich aber einiges ändern.

Was zum Beispiel?

Schumacher: Die Entlassung von Stefano Domenicali als Teamchef 2014 war der größte Fehler, den Ferrari gemacht hat. Er hatte keine Befürworter für seine internationale Strategie. Die Idee, ein rein italienisches Team zu sein, ist zwar romantisch und schön, bringt dich in der modernen Formel 1 aber nicht weiter. Die besten Ingenieure arbeiten auf dem ganzen Planeten verteilt. Das Team muss intern neu aufgestellt werden – egal ob Mattia Binotto der Chef bleibt oder ein neuer kommt. Die Formel 1 ist keine One-Man-Show. Das Beispiel Mercedes zeigt das.

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Sebastian Vettel ist für die neue Saison noch ohne Vertrag. Aber er ist im Gespräch bei Racing Point, das Team wird 2021 als Aston-Martin-Werksteam an den Start gehen und ist schon jetzt mit einer Kopie des Silberpfeils von 2019 unterwegs. Würde dieser Schritt für Vettel Sinn ergeben?

Schumacher: Ich halte das für sehr realistisch. Die Komponente Mercedes ist nicht zu unterschätzen: AMG-Chef Tobias Moers wird ab August Geschäftsführer bei Aston Martin, die Verbindung beider Marken noch enger. Alle Beteiligten haben Interesse daran, dass dieses Team gut dastehen wird. Es ist ein langfristiges Projekt. Und wer weiß: Mercedes hat in der Formel 1 alles gewonnen. Vielleicht zieht man da bald den Stecker und setzt auf das andere Team. Für Sebastian wäre das ein Super-Coup. Zuerst muss man allerdings noch abwarten, wie der Protest von Renault ausgeht, die ja die Nähe von Racing Point zu Mercedes kritisieren. Unabhängig davon wird Mercedes Aston Martin den Antrieb liefern. Für Sebastian wäre das ein gigantischer Schritt. Er müsste aber auch seine Fehler abstellen.

Gäbe es für ihn noch andere Optionen?

Schumacher: Er hat natürlich diese emotionale Verbundenheit zu Red Bull. Sollte sich Alexander Albon in seinem Renntempo nicht steigern, ist Vettel der richtige Ersatz für ihn an der Seite von Max Verstappen.

Oder Vettel beendet seine Karriere.

Schumacher: Finanziell könnte er es sich leisten. Aber im Ernst: Er ist erst 33 Jahre alt geworden. Lewis Hamilton ist noch zwei Jahre älter als Sebastian. Und Kimi Räikkönen hat selbst im Alfa Romeo gezeigt, was mit 40 Jahren noch möglich ist. Da braucht man sich also keine Sorgen zu machen.