Wien. Der deutschen Handball-Nationalmannschaft fehlt ein kreativer Spiellenker In der Bundesliga besetzen Ausländer diese Position. Ein Kommentar

Die große goldene Schale wurde am letzten Hauptrundenspieltag im Foyer der Wiener Stadthalle ausgestellt, Zuschauer konnten sich daneben stellen und Fotos machen, sie konnten diesem von 24 Nationen so begehrten Objekt ganz nah sein. Es ist die Trophäe, die der Handball-Europameister am Sonntag in Stockholm überreicht bekommen wird.

Deutschland wird es nicht sein, der Europameister von 2016 spielt 2020 um Platz fünf.

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Nur um Platz fünf? Hat sich Deutschland, die stolze Handball-Nation und Heimat des weltgrößten Handballverbands, wirklich so weit von der Weltspitze entfernt?

Das verpasste EM-Halbfinale spiegelt das Leistungsniveau wider

Es gibt keine einfachen Antworten auf diese Fragen, aber zumindest gibt es Gründe, warum es beim Dreiländerturnier in Österreich/Schweden und Norwegen nicht zum großen Wurf gereicht hat. Es gibt Gründe zu sagen: Platz fünf spiegelt das Leistungsniveau des derzeitigen deutschen Nationalteams bestens wider. Platz fünf ist kein Drama – Platz fünf ist okay.

Es war mutig vom Deutschen Handballbund, das Halbfinale als Ziel auszurufen. Aber so ist das mit Zielen: Sie sollten hoch gesteckt werden, um den Fokus in einem so intensiven Turnier zu behalten, in dem im Idealfall neun Spiele in knapp zweieinhalb Wochen zu absolvieren sind. Wirklich realistisch wirkte ein Halbfinaleinzug aber nur dank des Losglücks, das eine vermeintlich leichte Vorrunde und eine nur wenig fordernde Hauptrunde versprach.

Bundestrainer Christian Prokop hatte viele Verletzungen zubeklagen

Denn die Verletzungen zahlreicher Rückraumspieler wogen schwer, die Vorbereitungszeit war kurz. Ohne den gelernten Spielmacher Martin Strobel und den kreativen Fabian Wiede, bester Deutscher bei der WM vor einem Jahr, war gerade der Rückraum und speziell die Mittelposition ein Sorgenkind. Dass es international so nicht für die Spitze reichen würde, deutete sich an.

Was die Frage aufwirft, warum eine Handball-Nation wie Deutschland noch immer von einstigen Größen wie Daniel Stephan und Markus Baur schwärmt, derzeit auf dem Regiestuhl aber so große Nöte hat, dass Paul Drux aus dem angestammten linken Rückraum als Notlösung in die Mitte versetzt werden muss.

Ausländische Top-Spieler dominieren auf der Spielmacher-Position

Sicher hat es damit zu tun, dass bei den Spitzenklubs der Bundesliga ausländische Spitzenkräfte auf dem Feld dirigieren: Domagoj Duvnjak (Kroatien) beim THW Kiel, Andy Schmid (Schweiz) bei den Rhein Neckar Löwen, Jim Gottfridsson (Schweden) bei der SG Flensburg-Handewitt, Morten Olsen (Dänemark) beim derzeitigen Zweiten TSV Hannover-Burgdorf und Marko Bezjak (Slowenien) beim SC Magdeburg. Allerdings liegt es auch an der Nachwuchsarbeit. Selbst DHB-Präsident Andreas Michelmann ist besorgt, weil „wir ein Problem haben, Spielmacher zu entwickeln. Die Mitte ist unsere Problemposition.“

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Der Deutsche Handballbund ist aber auch gut darin, selbst Probleme zu schaffen. Die Trainerdiskussion um Christian Prokop in der Hauptrunde zum Beispiel. Sie keimte nach einer schlechten Vorrunde auf, weil die Erinnerungen an Prokops erstes Turnier, das EM-Debakel 2018, durch die mitunter verunsicherten Auftritte wieder hochkamen.

DHB-Vizepräsident Bob Hanning befeuert Trainerdiskussion

Richtiges Wachstum setzte aber erst ein, als DHB-Vizepräsident Bob Hanning verbalen Dünger mit der Aussage streute, dass die Mannschaft nun für den Trainer spielen müsse. Der gewünschten Effekt trat ein, der Sieg gegen Österreich schweißte Spieler und Trainer weiter zusammen. Allerdings: Nicht immer muss der Zweck die Mittel heiligen.

Christian Prokop öffentlich so unter Druck zu setzen schädigte den Bundestrainer weiter, wo er doch mit Platz vier bei der WM vor einem Jahr zum Befreiungsschlag angesetzt hatte, sich zunehmender Akzeptanz erfreute. Die Vorrunde dieser EM war nicht gut, keine Frage. Aber in der Hauptrunde ließ Prokop sein Team ein anderes Gesicht zeigen, die Verunsicherung war gewichen, Tempospiel vorhanden und Kämpferherz erkennbar. Dass es trotzdem immer wieder zu technischen Fehlern kam, dass die Entwicklung in der Offensive stagniert – zumindest teilweise ist das auch dem zur Verfügung stehenden Personal geschuldet.

Im April geht es für die deutschen Handballer um die Teilnahme an Olympia 2020 in Tokio

Ob das deutsche Team nun am Samstag das Spiel um Platz fünf gegen Portugal gewinnt, hat sportlich kaum Relevanz. Es geht nicht um die große goldene Schale, nur noch um die goldene Ananas. Trotzdem gilt es, sich positiv auf das Qualifikationsturnier für Olympia im April in Berlin einzustimmen. Für Tokio hat der DHB sein Ziel zwar schon von der Gold- zu „einer“ Medaille runtergeschraubt, aber die Reise nach Japan im Juli ist angesichts der wohl starken Qualifikations-Konkurrenz keineswegs sicher. Platz fünf bei der EM ist unter den gegeben Umständen okay. Erst gar nicht zu den Olympischen Spielen zu fahren wäre allerdings ein Desaster.