Essen. Die Polizei in NRW hat die Wirkung von Bodycams bereits getestet. Studienleiter Stefan Kersting erklärt, worauf Schiedsrichter achten müssten.
Bodycams wirken abschreckend, senken das Aggressionspotenzial und reduzieren somit die Zahl der tätlichen Übergriffe. Das zumindest sagt Martin Cassidy, Geschäftsführer der britischen Organisation „Ref Support UK“, die sich seit drei Jahren für die Einführung der Körperkameras im Amateurfußball stark macht. Aber stimmt das auch?
Wissenschaftlich begleitete Testversuche, die Aufschluss darüber geben, ob Bodycams für Schiedsrichter die Gewalt auf dem Fußballplatz tatsächlich reduzieren, gab es bislang keine. Eine großangelegte Studie der Polizei in NRW zur Wirksamkeit der Körperkameras im Streifendienst zeigt jedoch: Falsch eingesetzt, können Bodycams die Gewaltbereitschaft aufgebrachter Personen sogar noch erhöhen.
„Dass es in den Schichten, in denen Bodycams zum Einsatz kamen, mehr Angriffe auf Polizisten gab als in den Schichten ohne Kamera, hat uns natürlich überrascht“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Stefan Kersting von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Gelsenkirchen (FHöV NRW). „Aber ein signifikanter Anteil der Beamten hat angegeben, dass der Gebrauch der Bodycam auch das eigene Verhalten beeinflusst hat.“
Bodycams für Schiedsrichter: Der Einsatz muss gelernt sein
Einige Polizisten seien zurückhaltender geworden und ins Amtsdeutsch abgedriftet: „Ihnen ging es in erster Linie darum, sich formal richtig zu verhalten“, so Kersting. „Der Rückfall ins Bürokratische ist im Einsatz jedoch kontraproduktiv.“ Er berge die Gefahr, dass sich der Grundkonflikt verlagert und die gefilmten Personen auf einmal nur noch darüber diskutieren, warum der Polizist die Bodycam eingeschaltet hat.
„Dieser negative Effekt lässt sich sehr gut auf den Fußball übertragen“, meint der Studienleiter. Man könne die Amateurschiedsrichter nicht einfach nur mit Kameras ausstatten, sondern müsse sie auch darin schulen, in welchen Situationen sie die Geräte einschalten können und wie sie den Spielern den Gebrauch der Bodycam am besten erklären. „Der Einsatz muss kommunikativ begleitet werden“, so Kersting.
Im Falle einer Rudelbildung dürfe ein Unparteiischer beispielsweise nicht einfach die Bodycam einschalten und sich ansonsten wortlos aus der Situation zurückziehen: „Das verursacht nur noch mehr Stress“, erklärt Kersting. „Wenn Schiedsrichter aber lernen, wann und wie sie die Kameras einsetzen müssen, glaube ich schon, dass die Geräte ihre Wirkung entfalten können.“ Schließlich habe auch die Polizei-Studie das deeskalative Wirkpotenzial der Körperkameras nachgewiesen.
Körperkameras könnten zu einem Vertrauensverlust führen
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Andreas Thiemann, Schiedsrichterbeauftragter des Westdeutschen Fußballverbandes (WDFV), sieht den Einsatz von Bodycams im Amateurfußball dennoch kritisch. Zwar könne er die Argumentation von „Ref Support UK“ verstehen, „aber im Grunde genommen wäre das schon ein Armutszeugnis, wenn wir zu solchen Mitteln greifen müssten“, so der Schiedsrichterbeauftragte.
Lediglich bei besonders brisanten Spielen seien Körperkameras für Schiedsrichter womöglich eine sinnvolle Maßnahme: „Aus meiner Sicht wäre es aber falsch, wenn Bodycams zukünftig bei jedem Amateurspiel eingesetzt würden“, meint Thiemann. „Das wäre auch ein gewisser Vertrauensverlust gegenüber den Spielern.“
Der DFB hält sich bedeckt
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wollte sich auf Anfrage dieser Redaktion nicht zu einem möglichen Einsatz von Bodycams im Amateurfußball äußern. Das Thema sei „aktuell leider keines, zu dem wir fundiert Stellung beziehen können“, heißt es in einer schriftlichen Antwort.
Auch Thaya Vester, die seit acht Jahren zu Gewalt im Amateurfußball forscht und Mitglied der DFB-Arbeitsgruppe „Fairplay und Gewaltprävention“ ist, hat Zweifel: „Die Argumente hören sich plausibel an, ich bin allerdings zwiegespalten“, so Vester. „Meine erste Reaktion war: Wow, so weit ist es also schon gekommen, dass über solche Maßnahmen diskutiert wird.“
Studienleiter Stefan Kersting plädiert für einen Pilotversuch
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Die 37-Jährige sieht die „Gefahr des Hochrüstens“. Wenn jetzt schon über die Einführung von Bodycams nachgedacht werde – wo führt diese Entwicklung dann in zehn, 20 oder 30 Jahren hin? Außerdem sei völlig unklar, ob die Gewalt mithilfe der Körperkameras tatsächlich eingedämmt oder lediglich vom Fußballfeld auf den Parkplatz verlagert wird.
Auch deshalb plädieren Studienleiter Stefan Kersting und Martin Cassidy von „Ref Support UK“ dafür, die Wirkung von Bodycams im Amateurfußball zu untersuchen. „Ich bin auf jeden Fall für einen Pilotversuch“, so Kersting. Ein solcher Testlauf müsse aber wissenschaftlich begleitet werden. Es bringe nichts, den Schiedsrichtern eine Bodycam in die Hand zu drücken und dann ohne Einweisung auf den Platz zu schicken.
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