Essen. . Nigel Owens wollte sich wegen seiner Homosexualität das Leben nehmen. Heute zählt er zu den bekanntesten Rugby-Schiedsrichtern der Welt.
Rugby-Schiedsrichter sind einiges gewohnt, aber Nigel Owens hatte nun wirklich genug gesehen. Es war Zeit für eine Ansage. Er pfiff die schweren Jungs zu sich, nicht nur ein paar, sondern alle sollten sich die Schelte für die Rauferei anhören, und deshalb wartete Nigel Owens so lange, bis auch der letzte über das Feld zur Gruppe der Sünder getrabt war. Er werde auf eine Strafe für die verzichten, sagte Owens gut hörbar über das Mikrophon an seiner Brust, und ließ seine Bedingung folgen: „Es hört hier auf, ist das klar? Ihr seid Erwachsene. Ihr werdet so lange so behandelt, wie ihr euch wie diese aufführt.“ Abtanzen. Weiterspielen.
Es ist einer von vielen Highlight-Clips, die im Internet über den walisischen Schiedsrichter zu finden sind. Normalerweise sind solche Videos Spielern vorbestimmt, vornehmlich Fußballern. Schiedsrichtern fällt der digitale Ruhm selten zu, außer sie haben katastrophale Fehlentscheidungen getroffen.
Owens bekanntester Spruch: "This is not Soccer!"
Nigel Owens macht wenige Fehler, er gilt als einer der besten und bekanntesten Schiedsrichter der Welt. Wer will, kann sich im Internet für neun Pfund eine Nigel-Owens-Tasse bestellen, versehen mit seinem berühmtesten Spruch: „This is not Soccer!“ Das ist kein Fußball. Gesagt hat er dies in einem Spiel in Wales vor vielen Jahren, zu hören ist dieser Spruch heute auf der ganzen Welt, auch in Japan, wo der 48-Jährige seine letzte WM pfeifen will. Nach dem Eröffnungsspiel des Gastgebers gegen Russland leitet er an diesem Donnerstag das Spiel Italien gegen Kanada (9.45 Uhr).
Selbstmordversuch mit 26
Doch lange bevor Nigel Owens auf den Rugby-Plätzen für Ordnung sorgte, war seine Welt in Chaos zerbrochen. Owens, aufgewachsen in einer konservativen Gemeinde im Westen von Wales, war etwa zwanzig Jahre alt, als er eine Freundin hatte und merkte, dass es nicht passte. Grundlegend nicht. Er fühlte sich zu Männern hingezogen, „aber ich wollte nicht schwul sein“, schilderte Owens in einem Interview. Owens suchte Antworten im Sport, trainierte in Fitnessstudios und pumpte sich mit Steroiden auf. Er erkrankte an Depression und Bulimie. Er war 26, als er sich mit Medikamenten das Leben nehmen wollte. Als die Polizei ihn in der Nähe seines Wohnortes fand, bewusstlos, mit einer Waffe neben sich.
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Im Krankenhaus habe der Arzt ihm gesagt, „20 bis 30 Minuten länger, und es wäre zu spät gewesen“. Ans Herz ging ihm jedoch, was seine Mutter sagte: „Wenn du so etwas noch mal tust, musst du mich und deinen Vater mitnehmen, denn ohne dich wollen wir nicht mehr leben.“ Er tat es nicht noch mal.
Owens fasste neuen Mut. Rugby-Schiedsrichter war er vorher schon, nun aber machte er Karriere. Im Jahr 2000 gab er sein internationales Schiedsrichter-Debüt. 2007 gelang ihm ein doppelter Durchbruch: Zum einen hatte er seinen ersten WM-Einsatz, zum anderen machte er seine Homosexualität öffentlich – und erhielt positive Reaktionen.
Einsatz im WM-Endspiel
„Die größte Herausforderung im Leben ist zu akzeptieren, wer man ist“, sagt Owens heute. Er ist einer der wenigen, die sich im „Gentleman-Sport für Rowdys“ outeten. 2009 zog der walisische Nationalspieler Gareth Thomas als erster prominenter Spieler nach. Dem Gegenüber: Profi Israel Folau (30), der 2019 Homosexuellen auf Instagram mit der „Hölle“ drohte. Dafür wurde er vom australischen Verband suspendiert.
Wo immer diese Hölle sein mag, Nigel Owens fürchtet sie nicht. In seiner Heimat ist er eine bekannte TV-Persönlichkeit und schreibt Kolumnen über Rugby-ferne Themen wie Veganismus. Im Rugby-Sport zählt er zu den anerkanntesten Persönlichkeiten. 2015 leitete er das Endspiel in London zwischen dem späteren Gewinner Neuseeland und Australien. Nach dem Schlusspfiff ging Verlierer David Pollock zuerst zu ihm: „Danke, Nigel, dass du dieses großartige Spiel gepfiffen hast.“