Essen. Der Bochumer Autor und Filmemacher Ben Redelings veranstaltet Quiz-Abende: Warum an seiner Fußballfakten-Leidenschaft kein Weg vorbeiführte
Wenn man mich heute fragt, wie alles so gekommen ist, dann sage ich immer: Es gibt keine Zufälle. Vor 60 Jahren ist Westfalia Herne Meister der Oberliga West geworden. Am 30. Spieltag schlug Herne meinen VfL Bochum mit 2:1 und zog in die Endrunde zur Deutschen Meisterschaft ein. Und mein Vater war ganz dicht dabei.
Sein Idol hieß Hans Tilkowski. So oft es ging, stand mein Vater beim Training hinter dessen Tor und schaute gebannt zu.
Quizrunde am Frühstückstisch
Auch mich hat seine Leidenschaft geprägt. Als ich klein war, hatten wir bei uns zu Hause ein Ritual. Am Sonntagmorgen saß die Familie gemeinsam am Frühstückstisch, und noch bevor ein Bissen gegessen werden durfte, wurde gequizzt.
Um kurz nach 10 Uhr intonierte mein Vater mit großer Geste und gespieltem Pathos das Prélude von Marc-Antoine Charpentier. Das kannten wir aus dem Fernsehen, weil es als Eurovisions-Hymne immer direkt vor „Wetten, dass…?“ lief. Mein Vater richtete den Blick auf meinen Bruder und mich: „Alle Mann bereit?“ Mein Bruder und ich schauten in einer seltsamen Kombination aus Nervosität und Ehrgeiz auf unseren Vater, hielten die Plastiktröten in feuchten Händen vor unsere Münder und nickten. „Dann aufgepasst! Wer schoss am ersten Spieltag der ersten Saison der Fußball-Bundesliga das allererste Tor?“
Mein Bruder blies wie ein Verrückter in seine Tröte. „Timo Konietzka“, sagte er stolz und klappte auf der selbstgebauten Holzanzeigetafel die „1“ nach vorne. Vielleicht war er in dem Augenblick für eine Sekunde etwas zu sehr abgelenkt, denn als mein Vater spontan eine Zusatzfrage anschloss, reagierte ich als Erster und Einziger. Das Besondere an diesem Treffer war natürlich, dass keine Fernsehkamera das Dortmunder Tor im Bild festgehalten hatte. Punkt für mich. Ausgleich. Diesmal bediente der Bruder die Tafel wütend.
Erbittertes Trötenduell am Sonntagmorgen
Die erste Quizrunde beim sonntäglichen Frühstück war immer ein „Best of Five“. Und so stand es nach zwei weiteren, mehr oder weniger leichten Fragen und erbitterten Trötenduellen schiedlich-friedlich 2 zu 2. Eine dramatische Ausgangslage vor der letzten Runde, wie sie mein Vater immer so sehr liebte. „Um es kurz zu machen“, fuhr er fort, „nennt mir bitte abwechselnd alle elf Spieler der Mannschaft von Westfalia Herne, die 1959 Meister der Oberliga West wurde. Ben, du darfst beginnen. Und solltest du abschließend den elften Namen nennen, dann geht der Punkt an dich.“
Ein fataler Entscheidungsmodus. Wie konnte unser Quizmaster nur so gemein sein? Meinem Bruder liefen die Tränen die Wangen hinunter. Durch zusammengedrückte Lippen presste er jeden zweiten Namen heraus. Tilkowski – ich, Overdieck – er, Kellermann – ich, Losch – er. Und so ging das munter weiter mit Pyka, Benthaus, Kraskewitz, Clement, Burkhardt und Sopart.
Es fehlte nur noch ein Spieler der großen Herner Mannschaft von 1959. Ich öffnete den Mund, und dann war da auf einmal eine tiefe, dunkle Leere in meinem Kopf. Der letzte, alles entscheidende Name war weg. Einfach weg! Ich gab auf, mein Bruder durfte antworten. Er kostete den Moment aus. „Wandolek“, sagte er und grinste.
Seit drei Jahren leite ich nun schon Quiz-Abende im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. Ich hatte mich dazu überreden lassen. Im Nachhinein denke ich: Ich hatte ohnehin keine Chance. Der Grundstein für diese Veranstaltung wurde vor ziemlich genau 60 Jahren im Stadion am Schloss Strünkede in Herne gelegt. Als mein Vater seiner Westfalia zujubelte.
Der Bochumer Autor und Filmemacher Ben Redelings (43) ist ein Kulturschaffender in Sachen Fußball. Der bekennende VfL-Fan hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und veranstaltet mit Erfolg Anekdoten- und Quiz-Abende.