Wolfsburg. Lange lief die deutsche Nationalmannschaft gegen Serbien einem Rückstand hinterher - in der zweiten Halbzeit vergab sie dann sogar den Sieg.
Es liefen die letzten Sekunden im Testspiel zwischen Deutschland und Serbien in Wolfsburg, als Joachim Löw noch einmal aufsprang. Der Bundestrainer, wie immer adrett im schicken schwarzen Mantel gekleidet, klatschte in die Hände und signalisierte seiner Rasselbande, dass sie es doch noch einmal versuchen sollte. Der Versuch war natürlich aller Ehren wert - wenige Minuten später endete Löws Mission Neustart allerdings trotzdem 1:1.
Bereits einige Stunden vor dem Spiel hatte Joachim Löw eine heikle Mission zu überstehen. Ausgerechnet an dem Tag, an dem in Wolfsburg – vorsichtig formuliert – die verbalen Fetzen flogen, sollte der Bundestrainer bei einer VW-Betriebsversammlung für gute Laune sorgen. Während die Belegschaft über eine Beschäftigungssicherung bis 2028 und einen befürchteten Stellenabbau in der Größenordnung von 5000 bis 7000 debattierte, ergriff Deutschlands erster Fußballlehrer in Halle elf des VW-Werks das Wort, um die Wogen beim neuen Premiumpartner des Deutschen Fußball-Bundes ein wenig zu glätten.
Gleiches hatte der 59-Jährige dann auch am späten Abend in seinem Kernbereich vor, als neben den 26.101 Zuschauern in der ausverkauften Volkswagen Arena auch noch Millionen Fans am Fernseher den erneut ausgerufenen Neustart des deutschen Fußballs mit Spannung erwarteten. Gegen Serbien, der 31. der Weltrangliste, setzte Löw mit Debütant Lukas Klostermann (22), Marcel Halstenberg (27/ein Länderspiel) und Kai Havertz (19/2) auf den personifizierten Umbruch.
Kroos und Reus nur auf der Bank
Überraschend blieb für die 29 Jahre alten „Opas“ Toni Kroos und Marco Reus, vor dem Spiel noch zum Nationalspieler des Jahres 2018 gekürt, zunächst nur ein Platz auf der Bank. Noch überraschender: Auch die aussortierten Mats Hummels, Thomas Müller und Jerome Boateng waren im Stadion dabei – zumindest in Gedanken. Quer über die Nordkurve hatten die Fans als Anerkennung ein riesiges Transparent mit den Vornamen „Mats, Thomas und Jerome“ ausgerollt, dazu über die ganze Tribüne ein Wort: „Danke“.
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Im Spiel war es dann allerdings nach nur handgestoppten elf Minuten und 45 Sekunden der Frankfurter Luka Jovic, der nur noch „Danke“ sagen musste. Nach der ersten Ecke des Spiels hatte Joshua Kimmich Gegenspieler Nemanja Maksimovic den Ball an den Hinterkopf geköpft, so dass Jovic aus fünf Metern unbedrängt einnicken konnte. Dabei hatte VW-Beruhiger Löw noch am Vortag eindringlich gewarnt, dass seine mit im Schnitt 24,2 Jahren extrem verjüngte Mannschaft zukünftig besser bei Standards aufzupassen habe. Ein klassischer Fall von Pustekuchen.
Auffällig anfällige Hintermannschaft
Die Hummels-Boateng-lose Hintermannschaft zeigte sich allerdings nicht nur bei Standards auffällig anfällig. Eintracht-Überflieger Jovic hätte bereits nach 25 Minuten erhöhen können, genauso wie Adem Ljajic (41.) und Nikola Milenovic (44.). Auf der Gegenseite war es dagegen lediglich Timo Werner, der sich eine gute (22.) und eine sehr gute (25.) Chance erspielen konnte, beide Mal aber scheiterte. Die Konsequenz: ein lautstarkes Pfeifkonzert der ohnehin leidgeprüften Wolfsburger zur Pause.
Der neue RTL-Chefkritiker Jürgen Klinsmann, der noch vor wenigen Tagen von einem Pulverfass in Bezug auf die Nationalmannschaft gesprochen hatte, war in der Halbzeit bemüht, seinem neuen Image als DFB-Haudrauf entgegenzuwirken. „Wir haben gut angefangen“, lobte Löws Vorgänger sogar, sagte aber auch: „Dann kommt dieses dumme Tor, eigentlich die erste Aktion von Serbien. Dann schluckt eine junge Mannschaft erst einmal, sie muss sich finden. Dann wird es ein bisschen zäh.“ Sein Wunsch für Halbzeit zwei: „Es ist wichtig, dass sich die Mannschaft nicht zu viele Sorgen macht.“
Mit Reus kam ein wenig Spielkultur
Weil sich aber offenbar vor allem Löw ein paar Sorgen um das Projekt Neustart zu machen schien, durfte nach dem Wiederbeginn Oldie Reus für den genau zehn Jahre jüngeren Youngster Havertz ran. Im Tor rotierte Löw dagegen umgekehrt: Der letztverbliebene Weltmeister von 2014 Manuel Neuer (32) raus, Marc-André ter Stegen (26) rein.
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Und siehe da: besonders mit dem formstarken Reus kam beim DFB-Team – auf bescheidenem Niveau – wieder ein wenig Spielkultur auf. Der Dortmunder höchstpersönlich war es auch, der sich nach einer knappen Stunde die beste deutsche Chance selbst vorlegte, diese aber dummerweise genauso unglücklich vergab wie kurze Zeit später Leroy Sané (64.) und Ilkay Gündogan (65.).
Leon Goretzka trifft mit Seelenruhe
Besser machte es der ebenfalls in der zweiten Halbzeit eingewechselte Leon Goretzka. Einen überlegten Pass von – natürlich – Reus nahm der Bajuware in aller Seelenruhe im serbischen Strafraum an, um dann nicht wenig gelassen zum mittlerweile hochverdienten 1:1 zu vollstrecken (69.). Und es hätte kurze Zeit noch besser kommen können, als Sané nach einem weiteren Reus-Pass sogar die Führung auf dem Fuß hatte, allerdings an Serbiens starkem Schlussmann Marko Dmitrovic scheiterte.
Ein paar hübsche Spielstafetten und ein hässliches Foul mit folgerichtigen Platzverweis (Milan Pavkov gegen Leroy Sané) später pfiff dann Schiedsrichter Bobby Madden das Einerseists-Andererseits-Spiel ab. Einerseits hatte die erste Halbzeit offen gelegt, wie viel Arbeit noch auf Bundestrainer Löw wartet. Andererseits bewies die zweite Halbzeit, dass die Hoffnung zurück ist. Belohnen wollen sich die Deutschen dann an Sonntag. Der Gegner dann: die Niederlande.