Kamen. Deutschlands U19-Fußballer spielen in Kroatien um die EM-Qualifikation. Guido Streichsbier vermisst Supertalente wie Dortmunds Engländer.
Deutschlands Fußball-Zukunft staunte nicht schlecht, als die Handball-Gegenwart plötzlich vor ihr stand. Es war am Ende des Abschluss-Trainingslagers im nordrhein-westfälischen Kamen, als die U19-Fußballer im Nationalmannschaftsdress neben ihren gepackten Koffern in der Lobby der Sportschule Kaiserau auf die Heimreise warteten und die Handball-Nationalmannschaft gerade ihre Zimmer bezog. Die U19-Fußballer tuschelten und deuteten mit den Fingern auf Silvio Heinevetter und Paul Drux. Spieler, die einen Monat zuvor eine erfolgreiche WM gespielt und ihren Bekanntheitsgrad gesteigert hatten. Nun sind die jungen Fußballer dran. Doch sie müssen erst einmal ein erfolgreiches Turnier spielen. Oder vielmehr: es überhaupt erreichen.
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In Kroatien geht es ab heute um die EM-Qualifikation. Nach den Spielen gegen den Gastgeber (15 Uhr), Norwegen am Samstag (11 Uhr) und Ungarn am Dienstag (14 Uhr/ran.de) muss Platz eins in der Gruppe stehen – sonst wird die EM in Armenien (14. bis 27. Juli) ohne Deutschland ausgetragen. „Der Druck ist da“, sagt U19-Bundestrainer Guido Streichsbier. „Doch die Jungs wissen, dass die EM eine Bühne ist, dass sie dort für sich werben können. Sie wollen im Titelkampf mitmischen.“
Hohe Erwartungen an die Talente
Der Jahrgang 2000 ist der, auf den geachtet wird. Nach den Diskussionen um die fehlende Qualität des deutschen Nachwuchs‘, dem unter anderem Nationalmannschafts-Direktor Oliver Bierhoff „mehr Bolzplatzmentalität“ verordnete, sind es die 18- und 19-Jährigen, die nun vor dem Sprung in den Seniorenbereich stehen. Es ist der Jahrgang, der künftig in der Bundesliga und der A-Nationalmannschaft für Furore sorgen soll. Doch der 49 Jahre alte Streichsbier betont: „Die U19 ist ein Übergangsbereich. Da ist Geduld gefragt.“
Es gibt die Überflieger. England hat einen in Borussia Dortmunds Jadon Sancho. „Gleicher Jahrgang, aber von dieser Qualität gibt es derzeit keinen deutschen Spieler“, sagt Streichsbier. Für die deutsche U19 spielen Jungs wie Dennis Jastrzembski (Hertha BSC), Yann-Aurel Bisseck (1. FC Köln), Patrick Osterhage (BVB) Namen, die nur Experten geläufig sind. Spieler mit wenigen bis gar keinen Bundesligaeinsätzen, also ohne regelmäßige Auftritte in der Eliteliga. Streichsbier: „Das scheint das Naturell deutscher Spieler zu sein – es dauert manchmal länger. Aber das ist keine Schande. Viele Talente entwickeln sich noch bis zur U21.“
Streichsbier sieht den Hype um Talente kritisch
Es gab sie auch in der deutschen U19, die Überflieger. Leroy Sané war einer, nach seinem Tor für Schalke im Champions-League-Achtelfinale gegen Real Madrid (4:3) im März 2015 galt er als das große Versprechen. Auf dem Weg zur U19-EM in Griechenland quälte sich der hochveranlagte 96er-Jahrgang um Sané und Timo Werner trotzdem durch die Qualifikation und schied im Turnier als Vorrundenletzter aus. „Beim 97er-Jahrgang hieß es dann ein Jahr später: Da ist nichts dabei“, erinnert sich Streichsbier. „Heute sind Benjamin Henrichs, Philipp Ochs, Suat Serdar, Maximilian Mittelstädt und Florian Müller etablierte Spieler.“
Streichsbier sieht den Hype um Talente kritisch: „Der kann auch blockieren. Wem hat das jemals gut getan?“, fragt der Bundestrainer rhetorisch. Wohlwissend, dass er in Jann-Fiete Arp einen solchen Spieler in seinen Reihen hat.
„So weit wie Sané ist derzeit keiner“
Arp, beim Hamburger SV einst als Wunderkind gefeiert und künftig beim FC Bayern unter Vertrag, kommt derzeit in Liga zwei nicht über sporadische Einsätze hinaus. „So weit wie Sané damals auf Schalke – das ist derzeit noch keiner“, sagt Streichsbier und wirkt dabei nicht niedergeschlagen. Er erklärt: „Dafür gibt es viele Gründe: körperliche Entwicklungen, Verletzungen. Andere Talente aus dem Ausland spielen mehr, weil sie für kleinere Klubs auflaufen. Es ist normal, dass die Entwicklung in dieser Altersklasse auch mal stagniert. Andererseits dürfen wir die Jungs auch nicht in Watte packen. Es ist auch ein Wettkampf.“ Das werden die deutschen U19-Spieler spätestens heute dann merken.