Düsseldorf. Nach dem Interview mit Tischtennis-Star Timo Boll ging es in die Trainingshalle. Lesen Sie mal, wie Sportchef Pit Gottschalk sein Match erlebte.

Als ich vor zwei Jahren meinen alten Wiener Freund, einen bekannten Fernsehmann, in dessen Ferienhaus auf dem Land besuchte, wartete im Schuppen eine kleine Überraschung auf mich. Eine nagelneue Tischtennisplatte. 20 Jahre hatte ich nicht mehr gespielt. Und ich wusste nur: Meine Rückhand war nicht schlecht, die Vorhand praktisch nicht vorhanden, mein Ehrgeiz ungebrochen. Ich fegte die Gäste des Hauses reihenweise aus dem Schuppen. Einen einzigen Satz gab ich übers Wochenende ab. Und das nur, weil ich noch nicht eingespielt war. Ich kostete meinen Triumph unangemessen aus.

Dummerweise weckte ich damit den Ehrgeiz meines Wiener Freundes. Im Jahr darauf wollte ich ihn überrumpeln und legte mir einen Semiprofischläger zu, um meine Defensivkunst mit noch mehr Schnitt in den Bällen zu verfeinern. Leider bekam ich zu spät mit, dass sich mein Freund Trainingsstunden in der Tischtennis-Akademie gegönnt hatte. Seine Revanche endete in meinem Desaster: Nicht einen Satzgewinn konnte ich an jenem Sommerwochenende verbuchen. Mein Nimbus der Unbesiegbarkeit war dahin, meine Laune am Tiefpunkt.

Erst eine Stunde Interview - dann in die Trainingshalle

Wer mich auch nur ein bisschen kennt, ahnt schon, was kam. Ich suchte nach einer Konterchance. In meiner Wohnung: kein Platz für eine Tischtennisplatte. Unterricht in Hamburg: nur unterklassiges Personal. Meine Retourkutsche wurde erst möglich, als ich nach Düsseldorf zog. Dort beheimatet: Borussia Düsseldorf, das Bayern München des Tischtennis. Der Lewandowski heißt dort Timo Boll. Ich brauchte Nachhilfe bei ihm.

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Vergangenen Samstag war es endlich so weit. Timo Boll war gerade aus Rio zurückgekehrt. Mit Bronze und ein paar Originalbällen im Gepäck. Ich ließ also die Verbindungen spielen: Termin bestätigt, hingefahren ins DTTZ. Ins Deutsche Tischtennis-Zentrum. Nun, ich komme ja eher vom Fußball. Also fragte ich meine liebe Kollegin Melanie Meyer, eine ausgewiesene Tischtennis-Expertin in unserer Redaktion bei FUNKE Sport in Essen, ob sie nicht mit zum Termin kommen und mitspielen wolle.

Ein verhängnisvoller Fehler. Sie sagte ja.

Wir waren also pünktlich in der Halle. Timo Boll kam, lächelte freundlich, keine Spur von Jetlag. Das Interview dauerte knapp eine gute Stunde. Dann ging es in die Trainingshalle. Mal sehen, was er so drauf hat, dachte ich. Er war ja am Nacken verletzt.

Frau Meyer ging zuerst zu ihm an den Tisch. Und es dauerte so ungefähr vier Ballwechsel, dass ich dachte: Wieso kommst immer du in so bescheuerte Situationen? Die zwei schlugen sich mit der Vorhand so gekonnt und rücksichtslos schnell die Bälle um die Ohren, dass ich kurz davor war, heimlich die Halle zu verlassen. Es stellte sich nämlich heraus, dass Frau Meyer mal in der Verbandsliga gespielt hat. Timo Boll zu ihr: "Du hast Talent." Ganz ehrlich: Was soll dieser Weltstar von mir denken, wenn ich anschließend im Vergleich zu den beiden Cracks Ping Pong spiele? Wie kann ich jetzt den Schaden begrenzen?

Tja, ich machte mich nützlich. Ich sammelte die Bälle ein. Befeuerte die beiden, dass sie möglichst lange spielen, damit die Zeit verstrich. Überlegte, ob ich nicht eine Verletzung vortäuschen könnte. Leider ist der Timo Boll so nett, dass er jedes Zeitgefühl für seinen nächsten Termin missachtete und irgendwann zu mir sagte: "Jetzt sind Sie dran."

Er drückte mir seinen Original-Schläger in die Hand, mit dem er in Rio im Halbfinale gegen den Japaner Mitzutani verloren hatte. Wer noch nie einen Profischläger in der Hand hatte, sollte Folgendes wissen: Im Tischtennis sind das Waffen. In der Hand eines Amateurspielers fliegen die Bälle mit diesen Schlägern nicht mehr übers Netz - die Bälle schießen. Bei mir: übers Ziel hinaus. Das Ergebnis: Timo Boll ist ziemlich gut beim Fangen zu lang geratener Returns. Irgendwann schaltete er ebenfalls auf Ping Pong um.

Jetzt kam meine Rückhand zum Einsatz. Er schmetterte die Bälle in mein linkes Feld, so dass ich mit einiger Konzentration und heftigen Schweißausbrüchen die Bälle erstens erwischte und zweitens zielsicher auf seine Tischseite brachte. Ja, im hohen Bogen - aber immerhin.

Timo Boll sagte wohlwollend: "Sie haben einen gewissen Touch." Das Kompliment ist ähnlich vergiftet wie die Bemerkung nach dem ersten Date: "Du bist nett." Ich setzte meinen Tunnelblick auf und täuschte Ernsthaftigkeit bei meinem Tun vor. Ich nenne es: offensive Schadensbegrenzung. Timo Boll nennt es wohl: ganz nett. Jedenfalls passierte etwas, das ich nicht für möglich hielt.

Eine meiner endlos hohen Bogenlampen fand exakt diese eine Kante, gegen die jeder noch so große Weltklasse-Spieler wehrlos ist. Der Ball sprang von der Kante ins Nirgendwo, unerreichbar für diese Krake mit dem Deutschland-Adler auf der Brust.

Punkt für Gottschalk - ich konnte es nicht fassen!

Ich riss die Arme hoch, setzte zur Ehrenrunde an, als mir gerade noch rechtzeitig die Peinlichkeit des Augenblicks bewusst wurde und ich die Chance zum Abgang erkannte. "Wunderbar so!", sagte ich Timo Boll, "besser kann es nicht mehr werden. Hören wir auf!" Er lächelte gnädig. Hätte er zum Weitermachen animiert, hätte ich Monty Python bemühen müssen und geantwortet: "Okay, sagen wir: Unentschieden!" Wir gaben uns die Hand.

Jetzt im Ernst: Was für ein angenehmer und liebenswerter Sportsmann ist dieser Timo Boll! Deutschland konnte bei Olympia keinen besseren Fahnenträger als ihn finden. Ich danke ihm sehr, dass er sich für uns die Zeit genommen hat.