Essen. . Der Torjubel ertönt nebenan, bevor der Stürmer überhaupt am Ball ist. Wer Schuld ist? Das Fernsehsignal. Für unsere Autorin eher Segen als Fluch.

Kaffee brauchte am Samstagabend niemand mehr. Der Puls raste auch so, als es nach 23.30 Uhr ins Elfmeterschießen zwischen Deutschland und Italien ging. Zittern und Fingernägelkauen inklusive.

Spulen wir kurz zurück in die zweite Halbzeit: Alle blicken gebannt auf das TV-Gerät, beobachten, wie sich Mario Gomez auf der linken Außenbahn durchsetzt. Pass auf Jonas Hector und Flanke in die Mitte – da wird es in der Wohnung nebenan schon laut. Erst dann kommt auf unserem Bildschirm Mesut Özil an den Ball und netzt ein. Der Jubel folgt, aber zeitversetzt.

Es ist halt doch nur Fernsehen, aus der Ferne zusehen. Live dabei, aber ein paar Augenblicke später. Das Fernsehsignal entscheidet, wer als Erster in der Nachbarschaft jubeln darf. Wer digital schaut, also hochmodern und hochauflösend, ist später dran als der Zuschauer mit dem schlechteren, dem analogen Bild. Gibt es einen größeren Stimmungskiller in so einem Spiel?

Nicht für die Nervenschwachen unter uns. Die Entscheidung will einfach nicht fallen: „Jetzt müssen die Deutschen verwandeln, sonst sind sie raus.“ – „Wenn Italien jetzt nicht trifft, dann...“

Auf das verzögerte Fernsehsignal ist weiterhin Verlass. Es ist mittlerweile 23.49 Uhr, als sich Jonas Hector dem Elfmeterpunkt nähert. Er legt sich den Ball zurecht und läuft an. Da wird nebenan schon wieder gejubelt. Der eben noch rasende Puls beruhigt sich, ein zaghaftes, siegesgewisses Lächeln zeichnet sich auf dem Gesicht ab – pünktlich, als der Ball ins Netz fliegt und Deutschland im Halbfinale steht. Noch kurz bevor alle zehn Fingernägel ganz abgekaut sind.