Salzburg. . Weltmeister als Spieler und Teamchef und „Schaun mer mal“ als Lebensmotto. An seinem 70. Geburtstag jedoch ist er zuallererst ein trauernder Vater.
Der Mann scheint vom Glück geküsst. Schier unerschütterlich in seinem Optimismus und seiner Lebensfreude. Bis kurz vor seinem 70. Geburtstag. Da ereilt Franz Beckenbauer ein Schicksalsschlag, der die vermeintliche Lichtgestalt mit den ihm bis dato unbekannten Schattenseiten des Lebens konfrontiert. Der frühe Tod seines Sohnes Stephan (46) macht ihm, so ist zu vermuten, bewusst, dass auch sein Glück endlich und auch in seinem Leben nicht alles rund gelaufen ist.
Sicher, schon vor zehn Jahren räumt er in einer TV-Gala aus Anlass seines 60. Geburtstages ein: „Ich war ein schlechter Vater, weil ich nie da war.“ Aber er sagt es mit der gleichen Nonchalance, mit der er über Fehlpässe auf dem Platz zu reden pflegt. Diesmal allerdings ist alles anders. Hat er doch den Umgang mit Rückschlägen nie gelernt.
Wir mögen den Sieger oft schon am Start erkennen (was bei Beckenbauers Fußball-Begabung vergleichsweise leicht ist) – den phänomenalen Aufstieg des Sohnes eines Postbeamten aus dem Münchener Arbeiterviertel Giesing zu einer der schillerndsten Figuren der Zeitgeschichte hätte jedoch niemand vorhersehen können.
Beeinflusst vom früheren Bayern-Manager Robert Schwan
Der junge Beckenbauer gilt zwar von dem Tag an, an dem er 1965 mit dem Bundesliga-Aufstieg des FC Bayern die große Fußball-Bühne betritt, als begnadetes Talent. Aber eben auch als „schlampertes Genie“ mit einem Hang zur Überheblichkeit. Zum Publikumsliebling wie einst „Uns Uwe“ schafft es der Münchner während seiner Spieler-Laufbahn nie. Sein Umgang mit dem Ball wirkt, weil scheinbar spielerisch leicht, provozierend. Und die Fans nehmen ihm seine Wutausbrüche und abfälligen Gesten gegenüber weniger begabten Mitspielern übel, wenngleich diese wohl mehr dem Drang des Künstlers nach Perfektion entspringen als der Absicht, andere herabzusetzen.
Außerhalb des Platzes, der ihm Sicherheit gibt, tritt der Jüngling Beckenbauer unbeholfen und schüchtern auf und wird zunächst von seiner ersten, zwei Jahre älteren Ehefrau Brigitte dominiert. Entscheidend für seine Karriere jedoch ist der Einfluss von Robert Schwan. Erst der frühere Bayern-Manager, bis zu seinem Tod im Jahr 2002 Beckenbauers väterlicher Freund und Berater, macht aus dem grandiosen Fußballer die Marke, die sich auch in der Werbung („Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch“ - „Ja, ist denn heut’ schon Weihnachten?“) bis heute glänzend verkaufen lässt.
Seit 1968, als er anlässlich eines Testspiels in Wien neben einer Büste von Kaiser Franz Joseph posiert, ist Beckenbauer der „Fußball-Kaiser“, später nur noch „Kaiser Franz“. Aber das i-Tüpfelchen auf dem Weg zum Karriere-Gipfel fehlt noch. Es wird 1990 gesetzt.
Verbale Kurzschlüsse
In dem Moment, da Beckenbauer – nun als Spieler und Teamchef Weltmeister – nach dem 1:0-Finalsieg über Argentinien einsam über den Rasen des Olympiastadions in Rom schreitet, mit der im Mondlicht funkelnden WM-Medaille um den Hals, tritt er endgültig als deutsche Lichtgestalt in Erscheinung. Geboren ist die Legende von einem, der – König Midas gleich – alles, was er anpackt, zu Gold macht.
Als Anführer seines medialen Hofstaates baut die Bild-Zeitung dem „Kaiser“ im Juli 2000 ein Denkmal auf ihrer Titelseite. Und lässt die Menschen – wider besseren Wissens – glauben, er habe die WM 2006 quasi im Alleingang nach Deutschland geholt. Es ist der Dank für einen ihrer wichtigsten Mitarbeiter. Nicht einmal dem FC Bayern, mit dem er sämtliche Trophäen holt, erst recht keiner Frau, hält Beckenbauer so unverbrüchlich die Treue. Von seinem Hausblatt lässt er sich vor jeden Karren spannen – und fährt dafür reichlich Ernte ein. Ist er doch nicht zuletzt dank der Springer-Macht nahezu unangreifbar geworden.
Der letzte Kaiser
Die vielleicht bitterste Stunde für Franz Beckenbauer. Mit Torwart Hans Tilkowski, Wolfgang Weber (li.), Lothar Emmerich (2.v.li.) und Uwe Seeler (2.v.re.) schleicht Beckenbauer 1966 nach der Niederlage im Endspiel von Wembley bedröppelt vom Platz.
Vor dem EM-Qualifikationsspiel 1971 in Tirana gegen Albanien spricht Beckenbauer mit Günter Netzer. Deutschland gewinnt 1:0 durch ein Tor von Gerd Müller.
Sollen die anderen doch trainieren, Franz Beckenbauer (re.) und Günter Netzer schauen lässig dem Geschehen zu.
Franz Beckenbauer (li.) und Günter Netzer bei der EM 1972 im Halbfinale gegen Belgien. Später wird Deutschland durch einen 3:0-Sieg über Russland Europameister.
Franz Beckenbauer mit seiner Frau Brigitte.
Die Kapitäne Jupp Heynckes (li.) und Franz Beckenbauer begrüßen sich in der Saison 1972/73 zum Spiel Borussia Mönchengladbach gegen Bayern München. Ab 1969 wird die Bundesliga ein Jahrzehnt von diesem Duell geprägt.
Von 1972 bis 1974 werden die Bayern dreimal in Serie Deutscher Meister.
1974 ist Beckenbauers erfolgreichstes Jahr als Spieler. Nach dem 4:0 im Wiederholungsspiel über Atletico Madrid hebt der Kaiser triumphierend den Europapokal der Landesmeister gen Himmel.
Wenig später gibt es mit der Meisterschale die nächste Trophäe.
Unter Trainer Dettmar Cramer (li.) verteidigen Franz Beckenbauer und der FC Bayern gegen Leeds bzw. St. Etienne 1975 und 1976 den Europapokal der Landesmeister.
Immer wieder Beckenbauer und Netzer in der Nationalmannschaft zusammen. Netzers Fingerzeig: "Da muss er hin, Franz".
Die Nationalmannschaft in der "Nacht von Belgrad" 1976: (v.li.) Uli Hoeneß, Berti Vogts, Erich Beer, Bernard Dietz, Dieter Müller, Bernd Hölzenbein, Rainer Bonhof, Herbert Wimmer, Hans-Georg Schwarzenbeck, Torwart Sepp Maier, Franz Beckenbauer.
Ein trauriger Franz Beckenbauer verlässt den Platz. Es ist sein letztes großes Spiel für die Nationalmannschaft. Die damalige CSSR gewinnt wegen eines Fehlschusses von Uli Hoeneß mit 7:5 nach Elfmeterschießen und wird Europameister.
In der Saison 1976/77 geht Beckenbauers Spielerzeit bei den Bayern zu Ende. Nicht jedoch ohne ein denkwürdiges Spiel im Ruhrgebiet. Bayern liegt in Bochum nach 53 Minuten 0:4 zurück und gewinnt noch 6:5.
Nach seiner Zeit bei Cosmos New York kehrt Franz Beckenbauer noch einmal für zwei Spielzeiten auf die Bundesligabühne zurück.
Mit dem Hamburger SV holt der Kaiser 1982 seinen fünften nationalen Meistertitel und wird im Uefa-Cup Zweiter.
Die Ehrenspielführer Fritz Walter (li.) und Uwe Seeler verabschieden Franz Beckenbauer. Er wird am letzten Spieltag der Saison 1981/82 beim 3:3 gegen Karlsruhe in der 41. Minute ausgewechselt.
Teamchef Franz Beckenbauer und Englands Nationaltrainer Bobby Robson unterhalten sich während der WM 1986 im leeren Aztekenstadion in Mexiko-Stadt.
Beckenbauer und Torwart Toni Schumacher beim "Zweikampftraining". In der Torwartfrage hatte sich der Teamchef gegen Uli Stein entschieden - dieser wird später suspendiert.
Beckenbauer nachdenklich auf dem Rasen. Ein ähnliches Bild wird es vier Jahre später nach dem WM-Finale von Rom wieder geben - aber nach einem besseren Ausgang des Finals.
Franz Beckenbauer mit seiner neuen Lebensgefährtin Diana Sandmann.
Innenminister Friedrich Zimmermann verleiht Franz Beckenbauer 1986 das Silberne Lorbeerblatt.
Fast wie 1986 in Mexiko, nur dass sich Bobby Robson und Franz Beckenbauer dieses Mal beim Länderspiel treffen. 1987 schlägt Deutschland England mit 3:1 im Düsseldorfer Rheinstadion.
Vor der Fußball-EM 1988 in Deutschland hört Beckenbauer angestrengt zu. Für Englands Teamchef Bobby Robson (re.) und Irlands Coach Jack Charlton (li.) wird übersetzt.
Kaiserwetter im Gelsenkirchener Parkstadion bei der Europameisterschaft 1988. Deutschland schlägt Dänemark in der Vorrunde mit 2:0.
Die Vorrunde läuft für die Deutschen sehr erfolgreich. Zum Abschluss besiegt die DFB-Elf Spanien in München mit 2:0. Nach dem 1:1 gegen Italien und dem 2:0 über Spanien bedeutet das den Gruppensieg.
Im Halbfinale verfinstert sich aber die Miene Beckenbauers. Gegen den späteren Europameister Niederlande ist mit 1:2 Endstation.
Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben: das frischvermählte Ehepaar Sybille und Franz Beckenbauer.
Und wieder ein Aufeinandertreffen mit Bobby Robson. Im Halbfinale der WM in Italien 1990 beobachten die Teamchefs, wie sich Englands Nationalkeeper Peter Shilton auf das Elfmeterschießen vorbereitet. Deutschland gewinnt mit 5:4.
Franz Beckenbauer (Mitte), Paul Steiner (re.) und Mannschaftsarzt Prof. Heinz Liesen stürmen nach dem Finaleinzug den Rasen.
Franz Beckenbauer und sein Assistent Holger Osieck singen vor dem Finale von Rom die deutsche Nationalhymne mit.
Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) gratuliert Franz Beckenbauer zum Titelgewinn.
Empfang der deutschen Nationalmannschaft auf dem Frankfurter Römer. Beckenbauer flankiert von Günter Hermann und Pierre Littbarski.
Auch als Vereinstrainer ist Franz Beckenbauer erfolgreich. 1994 übernimmt er seinen Heimatverein Bayern München, nachdem er nach der WM für ein Jahr erste Erfahrungen bei Olympique Marseille gesammelt hatte.
Lothar Matthäus überreicht seinem Trainer den Meisterschaftswimpel der Saison 1993/94.
Die Schale darf natürlich nicht fehlen.
"Otto... find' ich gut" behauptet Beckenbauer 1995. Als Bayern-Präsident engagiert er Otto Rehhagel als Trainer.
Zwischendurch findet Beckenbauer die Zeit für Benefizspiele, wie hier mit Uwe Seeler.
Am 28. April 1996 findet Beckenbauer Otto Rehhagel nicht mehr ganz so gut und setzt ihn vor die Tür. Der Kaiser übernimmt selbst das Ruder als Interimstrainer beim deutschen Rekordmeister.
Im Hinspiel des Uefa-Cup-Finals zwischen Bayern und Girondins Bordeaux wechselt Beckenbauer Lothar Matthäus beim Stand von 1:0 aus. München gewinnt am Ende 2:0.
Mit Feuereifer bei der Sache. In der Meisterschaft reicht es trotzdem nur zu Rang zwei hinter Borussia Dortmund.
Die Zigarre schmeckt nach dem 3:1 im Rückspiel in Bordeaux umso besser. Die Bayern gewinnen den Uefa-Cup.
Mit Ministerpräsident Edmund Stoiber darf es nach dem Triumph auch ein Gläschen Champagner sein.
Die Bayern-Fans bedanken sich bei Franz für den Europapokalsieg 1996.
Franz Beckenbauer hat sich mal wieder den WM-Pokal geschnappt: Der Die Lichtgestalt des deutschen Fußballs hat es geschafft, die Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland zu holen.
Auch als Präsident schmecken Meisterschaften mit dem FC Bayern gut.
Nach dem Endspiel der WM 2002 schaut Beckenbauer amüsiert zu, wie Ronaldo und Brasiliens Fußbalidol Pelé nach dem Titelgewinn feixen.
Im Fernsehen ist Franz Beckenbauer ohnehin längst angekommen. Unter anderem als Experte für den Bezahlfernsehsender Premiere, wie hier im Jahr 2006. Doch die Medienpräsenz Beckenbauers ist nicht unumstritten.
Das Double: Die Bayern gewinnen 2005 und 2006 sowohl die Meisterschaft als auch den Pokal.
Allerdings gab es in den vergangenen Jahren auch Kritisches zum Kaiser zu berichten. So sorgte er mit Aussagen, er habe keine Sklaven in Katar gesehen, für Aufsehen. Auch sperrte ihn die FIFA für 90 Tage wegen mangelnder Kooperation bei einem Fragebogen der Ethikkommission.
Aber diese Rückendeckung allein erhellt nicht das Phänomen der Lichtgestalt, deren Strahlkraft selbst die schlimmsten verbalen Kurzschlüsse nichts anhaben können. So rutscht ihm in der Diskussion um ein neue Fußball-Arena in München die Bemerkung heraus, es werde sich doch wohl irgendein Terrorist finden lassen, der das alte Olympiastadion in die Luft sprenge. Und der weltweiten Empörung über die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen beim künftigen WM-Gastgeber Katar setzt er seine Erfahrung entgegen, noch keinen einzigen Sklaven in dem Emirat gesehen zu haben.
Portrait mit dem Titel "Der Firlefranz"
Ja, der Mann kann sagen, was er will. Weil er die Freiheit genießt, die am Hofe sonst nur einer Personengruppe vergönnt ist: den Narren. Dass er dabei seine Positionen mitunter im Stundentakt wechselt, animiert den „Spiegel“ 1998 zu einem Porträt mit dem Titel „Der Firlefranz“. Wie sehr es den Franz gewurmt hat? Wer weiß das schon? Schließlich wundert er sich ja selbst darüber, was für einen „Schmarrn“ er hin und wieder erzählt.
Eben diese Einstellung, sich nicht ganz ernst zu nehmen, und seine ansteckende Freundlichkeit machen ihn den meisten Menschen sympathisch. Es erklärt, warum einer, an dem das Etikett der Arroganz („Der Gockel von Giesing“) festgeklebt zu sein schien, später derart populär werden konnte. Hinzu kommt: Beckenbauer ist eine der wenigen Konstanten in unser aller Leben. Einer, der immer da ist und überall Erfolg hat. Mehr noch: dem keine menschliche Schwäche fremd ist (Stichwort: Seitensprung auf der Bayern-Weihnachtsfeier).
Ein weiteres Geheimnis seines anhaltenden Erfolges: Er weiß, mit wem er sich öffentlich anlegt, besser: nicht anlegt. Sich keinen Mächtigen (Sepp Blatter!) zum Feind zu machen – mit dieser hinreichend bewährten Strategie ist er wie viele andere, die es nach ganz oben geschafft haben, bis heute glänzend gefahren. Ob bei manchen Aktivitäten für diverse Scheichs oder gar Putin böse Dinge im Spiel sind? Ja, mei, wen interessiert das schon?
Der Mann ist fraglos ein Unikat. Beliebt gerade wegen der Beliebigkeit seiner Ansichten. Und wohl auch wegen seines scheinbar weltmännischen Auftretens, mit dem er eine gewisse Spießigkeit freilich nicht überspielen kann. „Schaun mer mal“ als Motto eines Lebenskünstlers, der sich – einem Chamäleon gleich – an seine Umgebung anpasst. Und damit wunderbar durch den Tag kam. Bis er wie jedes irdische Wesen leidvoll erfahren musste: Wo Licht ist, ist auch Schatten.
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