Essen. Der Extrembergsteiger und Armin Laschet sprechen in Essen über Widerstände. Über einen Abend, an dem Markus Söder zum Nanga Parbat wird.
Was haben Reinhold Messner und Armin Laschet gemein? Wie haben sie zeitgleich auf dieses Podium gefunden? Sie werden uns angekündigt als zwei Menschen, die von Gipfeln angezogen werden. Zwei, die den „Gegenwind“ kennengelernt haben?
Der Extrembergsteiger ganz wörtlich und weil sein neues Buch so heißt. Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Laschet, weil er sich als Kanzlerkandidat der Union „an der medialen Steilwand“ wiederfand, „im Eiswind digital sezierender Debatten“, „unter dem Lawinenabgang journalistischer Treibjagd“. So leitet es Bodo Hombach her, Vorstand der Essener Brost-Stiftung, die zu diesem Dienstagabend auf Zollverein geladen hat unter dem Motto: „An Widerständen wachsen“. Der Vergleich ist schmeichelhaft für Laschet, der den Wahlkampf 2021 auch mit seinem „Lachen in der Flut“ verstolperte. Und Markus Söder, damals wie heute verantwortlich für den Gegenwind aus Süden, würde in diesem Bild anwachsen zur Größe des Nanga Parbat.
In der höchsten Steilwand der Welt
Aber Messner selbst nimmt die Vergleicherei staatsmännisch hin. In der Tat kann man die Kombination Laschet/Messner auch experimentell und mutig finden. Vielleicht sogar einleuchtend: Gemeinsam haben sie immerhin, dass sie beide zur gleichen Zeit im Europaparlament saßen – auch wenn Moderatorin Dagmar Rosenfeld von „The Pioneer“ sie daran erinnern muss. Also, was haben Bergsteiger und Politiker uns zu berichten vom Kampf gegen Widerstände?
Die Schneefelder vor der viertausendfünfhundert Meter hohen Rupalwand nehmen mit wenigen Strichen Form an. Darüber stapft der junge Reinhold Messner seinem Schicksalsmoment entgegen. Sein Bruder wird ihm folgen, wird ihn einholen beim Aufstieg zum Nanga Parbat. Und beim Abstieg wird die Erschöpfung dem Bruder zum Verhängnis werden.
In fast jedem seiner unzähligen Vorträge erzählt Reinhold Messner von diesem Drama, muss es erzählen. Denn die Vorwürfe seines damaligen Teamleiters, er haben den Bruder seinem Ehrgeiz geopfert, verfolgten ihn über Jahrzehnte. Längst ist zwar belegt, dass Messner den Bruder hatte retten wollen, aber der Konflikt, der sich hier entspann, machte Messner zur Bergsteigerlegende, die er ist. Und das leitet er an diesem Abend ungewöhnlich her.
Der Kampf um das Narrativ
Der Expeditionsleiter und ein mit ihm befreundeter Schriftsteller hätten „versucht, mir meine Möglichkeit des Erzählens zu nehmen“, sagt Messner. Sie hätten versucht, das Narrativ zu setzen, ihn zum Schuldigen zu machen. „Und damit funktionierte mein Traum nicht. Mein Traum hieß, ich mache eine Expedition und erzähle die Geschichte auf der Bühne oder in einem Buch. Und mit den Mitteln daraus finanziere ich die nächste Expedition. Aber ich wollte selbstmächtig sein. Und ich habe mich entschieden, trotzdem weiterzumachen. Das habe ich mit einer Radikalität gemacht, dass sofort die nächste Kritik kam: Jetzt opfert er sich selber auch.“
Dieser Satz wurde zum Narrativ. Und vielleicht ist das tatsächlich eine überraschende Gemeinsamkeit zwischen Bergsteigerei und Politik: dass beide nur mit Erzählungen funktionieren.
Aber auch Messners minimalistischer Ansatz, die schwierigsten Berge der Welt zu besteigen, war geboren aus dieser Zwangslage, in der er sich wiederfand. Messner hätte gar nicht das Geld gehabt für eine klassische Expedition mit viel Ausrüstung. Er zog alleine los und ohne Sauerstoffflasche. „Eben weil meine Expeditionen minimalistisch waren, haben sie viel mehr Aufmerksamkeit gekriegt als die anderen. Und sie wurden wirtschaftlich. Ich konnte also mehr Expeditionen machen als die anderen, konnte mehr Erfahrung sammeln. Und so konnte ich sie alle überflügeln.“ Messner sagt: „Den Erfolg habe ich letztlich meinen Gegnern zu verdanken.“
Das Projekt „Ruhr Natur“
Bergsteigerlegende Reinhold Messner hat als erster Mensch den Mount Everest ohne Flaschensauerstoff erklommen – und vor eineinhalb Jahren auch seine erste Ruhrgebietshalde. Mit drei Schulklassen diskutierte er am Tetraeder in Bottrop über die globale Erwärmung und Umweltschutz.
Denn das Paar Reinhold und Diane Messner engagiert sich für das Projekt „Ruhr Natur“ der Essener Brost-Stiftung. Im Kern steht ein Schüleraustausch zwischen dem Ruhrgebiet und Südtirol. Die Kinder aus dem Revier sollen Natur erleben, die „jungen Menschen aus Messners Heimat die vielfältigen Herausforderungen einer dichtbesiedelten Industrieregion“, so die Brost-Stiftung.
Auch 2025 sollen Schülerinnen und Schüler aus Essen, Duisburg und Dortmund Reinhold Messner in Südtirol treffen.
Laschets Erleben seiner Kanzlerkandidatur sei „nicht so existentiell, wie das, was Reinhold Messner gemacht hat“, sagt er selbst. „Aber für das eigene Leben ist es von großer Bedeutung.“ Aus Laschets Sicht wurde über die Kanzlerkandidatur zu spät entschieden. „Dann war es schon April und die Wahl war im September. Alles viel zu spät. Die Kampagne war schlecht, war nicht ... Und dann stellte sich die Frage: Ist der, der nach diesen vielen Mühen nun Vorsitzender der CDU Deutschlands geworden ist, der Kandidat oder Markus Söder?“
Laschets Lachen
Auf Laschets Lachen im Angesicht der Flutkatastrophe kommt die Moderatorin natürlich: Wollte er da aufgeben? „Aufgeben gibt es ja de facto nicht in so einem Wahlkampf“, sagt Laschet. „Ein Kandidatenwechsel vier Wochen vor der Wahl macht das Desaster ja noch größer. Also, das war keine Option. Man versucht dann in den Fernsehduellen und bei anderen Themen wieder auf die Sachebene zurückzukommen. Aber das ist natürlich nicht einfach, wenn jeder dieses Bild im Kopf hat. Und die Story ist, glaube ich, noch länger.“
Da ist es wieder, das Narrativ. Aber damit erschöpfen sich die an diesem Abend herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten auch fast. Interessant wird er noch einmal dort, wo sich beide aus dem Korsett des Bergsteigervergleichs befreien und Gegensätze finden. Messner erzählt gerade, dass er dorthin gegangen sei, wo man sterben kann, um nicht zu sterben. Dass „der Alpinismus sich aus der Prämisse nährt: möglich oder unmöglich“. Dass es darum gehe, das Unmögliche zu versuchen. – „Was macht das mit Ihnen, Herr Laschet?“ – Da muss er lachen: „Ich habe andere Antriebe.“
Wo Messner die Selbstmächtigkeit anstrebt, da geht es dem Politiker um „Gemeinschaftsmächtigkeit“, erklärt Laschet. Und Messner stimmt ein: „Die Politik ist eine Notwendigkeit, sie muss gemacht werden. Der Alpinismus muss nicht sein. Er ist dekadent. Ich gebe zu: Es ist die Eroberung des Nutzlosen.“