Essen. Verzweifelte Betroffene greifen nach jedem Strohhalm – und fallen auf Betrüger herein. Wie man seriöse Angebote von Scharlatanerie unterscheidet.
Operation, Bestrahlung, Chemo- und andere Therapien: Nach der Krebsdiagnose fühlen sich Patienten oft überrannt, hilflos. Viele wollen darum selbst aktiv werden. Doch wie? Und wie unterscheidet man seriöse Angebote von Scharlatanerie? Vor dem Krebstag Ruhr am Westdeutschen Tumorzentrum (WTZ) sprachen wir über diese Fragen mit Prof. Jutta Hübner und Katharina Kaminski. Hübner ist Professorin für Integrative Onkologie an der Uni Jena und Hauptrednerin der Veranstaltung am 18. Januar. Kaminski ist Referentin für Patientenbeteiligung und Selbsthilfe am WTZ.
Eine halbe Million Menschen in Deutschland trifft jährlich die Diagnose Krebs. Ist der erste Schock verdaut, krempeln Betroffene oft ihr Leben um. Sie verbannen Fleisch von ihrem Teller, melden sich für Yogakurse an, suchen im Internet nach alternativen Heilmethoden. Warum? Trauen diese Menschen der Schulmedizin nicht zu, sie heilen zu können?
Kaminski: Nein, das glaube ich nicht. Aber eine Krebsdiagnose ist ja keine Erkältung, das ist ein existenzielles Ereignis. Betroffene sind oft verzweifelt, fühlen sich der Krankheit und der Medizin zudem ausgeliefert – passiv. Man erhält eine Therapie, da wird etwas mit einem gemacht. Aber die meisten wollen aktiv werden, ihrem Körper selbst Gutes tun -- und wir finden es super, wenn sie dabei an Bewegung, Sport, ja, vielleicht Ernährungsberatung denken.
Prof. Hübner, Ihr wissenschaftlicher Fokus gilt dem Thema „Evidenzbasierte Komplementärmedizin“ in der Onkologie. Was unterscheidet sie von alternativer Medizin?
Hübner: Dass jemand vor einer belastenden Tumortherapie die Frage stellt: ‚Geht es auch anders?‘, das ist völlig natürlich. Wenn er dann stattdessen einschwenkt auf Edelsteine auf dem Bauchnabel – das ist ganz klar alternative Therapie. Und die hat keinen Wirksamkeitsnachweis. Wenn man sich die Edelsteine zusätzlich zur Chemo auf den Bauch legt, ist das aber noch immer keine Komplementärmedizin. Klassisch evidenzbasierte Komplementärmedizin, das sind begleitende, ergänzende Sachen, die nachweislich helfen. Nicht mit dem Ziel; den Krebs zu heilen. Sondern Betroffene zu unterstützen in dieser Zeit, in ihrem Bedürfnis, selbst Verantwortung für sich zu übernehmen.
„Superfood ist nicht besser als ein deutscher Apfel.“
Aber wie kann, sagen wir mal, Tai Chi, bei Krebs helfen?
Hübner: Zu behaupten, Schattenboxen könne den Tumor bekämpfen, ist blitzgefährlich. Aber Tai-Chi kann helfen. Es hat – genau wie Qigong oder Yoga – Bewegungs- und meditative Aspekte. Und wir wissen, Patienten, die sich in der Therapie-Zeit bewegen, die sportlich aktiv sind, die trainieren: die kommen besser durch die Therapie, erzielen auch bessere Therapieergebnisse. Es gibt nichts, was so evidenzbasiert ist. Meditatives wirkt, weil Entspannung in so einer angespannten Zeit hilfreich sein kann. Jeder muss aber für sich selbst entdecken, was ihm gut. Ein Allheilmittel gibt es nicht.
Von welchen anderen Optionen wissen Sie, dass sie wirken?
Hübner: Der für mich wichtigste Punkt ist wirklich, dass Patienten entdecken, sie sind dem Ganzen nicht hilflos ausgeliefert, sie können autonom entscheiden. Die besten Ansatzpunkte sind tatsächlich Sport – der ist enorm wirksam – und Ernährung. Viele Krebsberatungsstellen, Vereine, auch Kliniken und Krankenkassen haben da schöne Angebote. Wir können zudem ein bisschen bei der Symptomkontrolle, also im Nebenwirkungsmanagement, unterstützen, gezielt etwas gegen Mundtrockenheit, Schleimhautproblemen, Entzündungen oder Übelkeit unter der Tumormedikation tun. Dabei ist ärztliche oder pharmazeutische Expertise aber wichtig, um mögliche Wechselwirkungen zur Tumormedikation auszuschließen.
Um noch einmal aufs Thema Sport zurückzukommen: Was geht mit Krebs?
Kaminski: Im WTZ gucken wir uns bei jedem Patienten an, was kann der, wie ist sein körperlicher Zustand. Dann erstellen wir individuelle Trainingsprogramme – und wir bekommen super Rückmeldungen.
Hübner: Ein Mix aus Kraft- und Ausdauertraining dazu ein paar Beweglichkeits- und Geschicklichkeitsübungen wären optimal, aber wir sind froh über jeden, der überhaupt etwas tut. Ein Hund ist auch ein Sportgerät, sagen wir manchen Patienten. Die sportlich Ambitionierten müssen manchmal akzeptieren, dass sie es unter der Therapie langsamer angehen lassen sollten.
Stichwort Ernährung: Was kann ich in diesem Bereich für mich tun?
Hübner: Auf ausgewogene Kost achten. Dass es gegen Krebs helfen könnte, komplett auf Milch, Fleisch oder Kohlenhydrate zu verzichten, dafür gibt es keine Beweise. Wir empfehlen eine normale, ausgewogene Ernährung. Superfood ist nicht besser als ein deutscher Apfel. Wichtig ist, dass Krebspatienten kein Gewicht verlieren, das geht mit einer schlechteren Prognose einher und gilt als Alarmsignal, sogar für Übergewichtige. Dann müssen wir helfen.
Im Mai 2024 wurde die Neuauflage der ärztliche Leitlinie „Komplementärmedizin“ veröffentlicht. Sie, Prof. Hübner, waren die Koordinatorin. Galt es viele Widerstände zu überwinden?
Hübner: Wir hatten zehn Jahre Vorbereitungszeit, bis wir starten konnten. Heute ist die Leitlinie, glaube ich, akzeptiert. Sie enthält wichtige Kapitel zu Nahrungsergänzungsmitteln, Pflanzenheilkunde und vor allem zur Arzt-Patienten-Kommunikation. Bei den Empfehlungen stecken neben den wissenschaftlichen Daten auch immer Abstimmungen von Experten dahinter. Deshalb bin ich nicht mit allen Aussagen in der Leitlinie einverstanden. Die Empfehlung für Homöopathie etwa finde ich falsch,.
Was ist schlecht an Homöopathie?
Hübner: Es ist eine Placebo-Therapie, das steht sogar im Text zu der Empfehlung. Und Krebspatienten zu einer Placebo-Therapie zu raten, halte ich für nicht angemessen, denn damit bringt man indirekt zum Ausdruck, dass man die Beschwerden der Patienten nicht ernst nimmt oder nicht für wirklich behandlungsbedürftig hält.
Die Leitlinie benennt sehr klar auch andere Dinge, die nicht wirken…
Hübner: Lassen Sie die Finger von Vitamin B 17 und Methadon als angebliches Mittel gegen den Krebs und seien Sie vorsichtig mit Nahrungsergänzungsmitteln wie Anti-Oxidantien während der Tumortherapie.
„Wenn man glaubt, der Tod naht, ist man bereit, den Verstand über Bord zu werfen.“
Für Betroffene ist es oft schwierig, seriöse Therapien von unseriösen zu unterscheiden, viele fallen auf Betrüger herein...
Kaminski: Da steckt die pure Verzweiflung dahinter. Wenn man glaubt, der Tod naht, ist man bereit, den Verstand über Bord zu werfen, nach jedem Strohhalm zu greifen. Und wenn dann einer kommt und sagt, ich weiß, was dich heilen kann – dann glaubt man dem. Ich verurteile dafür niemanden. Ich sehe es als unsere Aufgabe, Betroffenen zu helfen, die Dinge zu unterscheiden.
Aber wie erkenne ich das Angebot eines Scharlatans?
Hübner: Eine der einfachsten Regeln lautet: Es kostet mehr als einen Euro pro Tag.
Kaminski: Gucken Sie genau hin: Wer ist der Anbieter? Preist er seine Therapie als die allein seligmachende an oder nennt er Vor- und Nachteile? Sind die Informationen in patientenfreundlicher Sprache?
Wo kann ich mich informieren?
Kaminski: Bei den Krebsberatungsstellen, bei Selbsthilfeorganisationen, bei Krankenkassen, beim Krebsinformationsdienst oder dem Infonetz Krebs – und bei Prof. Hübners „Stiftung Perspektiven“. Der erste Ansprechpartner für Betroffene sollte aber der Arzt sein.
Sind alle Ärzte inzwischen mit dem Thema vertraut?
Hübner: Nun, wir machen sehr viele Fortbildungen. Aber in der ärztlichen Ausbildung kommt es noch immer zu selten seriös vor.
>>> INFO: Krebstag Ruhr
Anlässlich des Weltkrebstages lädt das Westdeutsche Tumorzentrum Betroffene, Angehörige und Interessierte am 18. Januar zu einem Patiententag ein: 9:45 bis 16:15 Uhr, Lehr- und Lernzentrum der Uniklinik Essen, Virchowstraße 163a. Unter anderem Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen wird die Gäste begrüßen. Neben der Keynote von Prof. Jutta Hübner wird es einen weiteren Vortrag – zum Thema „Langzeitüberleben“ – geben, zudem 16 Experten-Workshops rund um Forschung und Behandlung verschiedener Krebsarten, Aktionsangebote vor Ort, Informations- und Selbsthilfestände. Weitere Informationen: krebstag-ruhr.de.