Essen. Kundenschlangen bis auf die Straße, Paketstapel wie ein Labyrinth: In den Paketshops ist die Hölle los. Trägt DHL daran eine Mitschuld?

„Wir sind im Paketwahnsinn. Übertrieben! Wir kommen hinten kaum noch durch. Am besten müssten wir über die Pakete fliegen“, sagt Rabia Gülenc. Sie arbeitet in einem Kiosk in Essen-Bergerhausen, der auch die Postfiliale 617 ist – oder besser andersherum. „Manchmal“, sagt Kollegin Sara Baumann, „stehen die Kunden bis zur Ampel. Also wirklich bis draußen auf die Kreuzung. Wir versuchen dann, so viel positive Energie zu versprühen wie möglich.“

Noch nie mussten die Paketshop-Mitarbeiter und Fahrer so viele Pakete bewältigen wie dieses Jahr. Der Bundesverband Paket- und Expresslogistik (BPEX) geht davon aus, dass das Weihnachtsgeschäft um bis zu drei Prozent zunimmt – auf rund 725 Millionen Pakete. Fast eine Dreiviertelmilliarde! Und neun Prozent davon – also rund 65 Millionen Sendungen – landen in Paketshops.

Die Hölle zu Weihnachten

„In diesen zwei, drei Wochen vor Weihnachten ist in der Paketwelt die Hölle los“, bestätigt Achim Gahr, Sprecher des Marktführers DHL. Der bewegt momentan bis zu doppelt so viele Pakete wie sonst: 12 Millionen am Tag. Solche Spitzen wurden bereits in Vorjahren erreicht. Aber das Volumen ist eben an allen Tagen leicht angestiegen. Und einige Shop-Betreiber kritisieren: Es verteile sich schlechter wegen der Shop-Politik von DHL.

„Wir versuchen unsere gute Laune nicht zu verlieren“: Sara Baumann (31) und Rabia Gülenc (33) vom Postshop Berghausen in Essen.
„Wir versuchen unsere gute Laune nicht zu verlieren“: Sara Baumann (31) und Rabia Gülenc (33) vom Postshop Berghausen in Essen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Sara und Rabia machen keine richtigen Pausen mehr, sie snacken nur noch, statt zu essen. Die Pakete stapeln sich bis in die Küche, verstellen Mikrowelle und Sofa. Wenn die Kunden Schlange stehen, verkneifen sie sich gar den Pipidrang. „Ich kündige, Sara“, sagt Rabia jetzt schon zum zweiten Mal. – „Wann biste wieder da, in einer Stunde?“, fragt Sara. Es ist ein Schauspiel für die Kunden, die auch gleich einsteigen. „Wir lassen dich nicht gehen. Blockier‘ mal einer die Tür.“

Die Situation im Paketshop Bergerhausen ist auch so angespannt, „weil wir derzeit für drei Paketshops arbeiten“, erklärt Sara Baumann. Ein Betreiber sei in Rente gegangen. Ein anderer habe das Postgeschäft abgegeben. Zu viel Stress, zu wenig Ertrag. 30 Cent verdienen die von uns befragten Shop-Betreiber an jedem Paket – erst vor wenigen Monaten soll DHL diese Provision in Einzelfällen gesenkt haben. Das Unternehmen äußert sich nicht zu Vertragsdetails. Aus Sicht von Baumann lohnt sich das Postgeschäft nun vor allem noch, eben weil man so viele Pakete bewegt.

Wahnsinn mit Methode?

Hat der Paketwahnsinn also Methode? Das glaubt ein Paket-Shop-Betreiber aus dem östlichen Ruhrgebiet, der nicht genannt werden möchte. „Seitdem die Post immer mehr Filialen geschlossen hat, ist mein Ladenlokal viel zu klein“. Vielen anderen Postshop-Betreibern, weiß er aus Gesprächen, „geht es ähnlich“. Die Folgen: „Meine normalen Kunden kommen gar nicht mehr an die Verkaufsregale, so viele Pakete stehen hier drin.“ Jeder Zentimeter Wand, jedes Fleckchen Boden ist belegt mit Päckchen und Paketen. „So schlimm war es noch nie“, sagt der Betreiber. Die Enge und der Andrang machten ihn zurzeit „fast wahnsinnig“.

Angelpunkt der Shop-Logistik sind die zwei „Rollbehälter“, die der Betreiber laut Vertrag bereithalten muss, sagt er. Sie nehmen 50 bis 100 Pakete auf, je nach Größe. „Aber im Augenblick könnte ich locker die doppelte Zahl Rollcontainer füllen und hätte immer noch nicht alle Pakete aus dem Weg.“ Ähnlich ist die Situation hinten im Lager. Da soll er Raum für zehn Pakete vorhalten, die die Fahrer nicht zustellen können. „Das war früher schon knapp.“ Und heute? „Bricht mir dahinten bald alles zusammen. Wir haben die Post schon mehrfach angerufen und angeschrieben. Bisher keine Antwort.“

So viele Paketshops gibt es

Das kann Post-Sprecher Achim Gahr nicht nachvollziehen (weil der Betreiber anonym bleiben möchte): „Grundsätzlich stehen unsere Berater für solche Fälle bereit.“ Zeige sich, dass ein Paketshop Probleme mit dem Volumen bekommt, „versuchen wir das auszugleichen, indem wir in der Nähe eine Packstation aufbauen oder versuchen einen weiteren Partner für einen Paketshop zu finden“. Die Zahl der Paketshops sei seit Jahren stabil. „Ihre Zahl nimmt eher zu als ab“, sagt Gahr. Fluktuationen entstünden, wenn zum Beispiel Einzelhändler oder Kioske aufgeben.

Tatsächlich gibt es, über alle Versandanbieter gesehen, mittlerweile etwa 70.000 Paketshops in Deutschland. Das sind rund 60 Prozent mehr als 2016, erklärt der Bundesverband BPEX. Ein dichtes Netz – so ist es kein Wunder, dass wir bei unserer Recherche auch auf Shops stoßen, wo Alltag herrscht: „Ja, wir haben heute nur diese zehn Pakete“, sagt die Mitarbeiterin eines Cafés in Essen-Huttrop. „Nein, es war die ganze Saison nicht voller.“

Umsatzeinbußen durch Paketstapel

Die Postfiliale von Rajesh Dass in Essen-Süd ist bei unserem Besuch nur moderat zugestellt. „Das sind nur zwanzig Prozent“, sagt der Inhaber. „Manchmal geht es bis zur Decke.“
Die Postfiliale von Rajesh Dass in Essen-Süd ist bei unserem Besuch nur moderat zugestellt. „Das sind nur zwanzig Prozent“, sagt der Inhaber. „Manchmal geht es bis zur Decke.“ © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Dagegen stapeln sich die Pakete im Schreibwarenladen von Rajesh Dass in Essen-Süd so heftig, dass die Kunden gar nicht mehr an die Hefte und Stifte kommen. Einige drehen auch ab wegen der Schlangen von Paketabholern und Retourenschickern. Diese Umsatzeinbussen und das Einkommen durch die zusätzlichen Paket-Provisionen hielten sich die Waage, sagt Dass. Besonders nerven den Inhaber die „kühlschrankgroßen“ Boxen, die manchmal tagelang auf Abholung warten. Denn die bekommt er gar nicht hinten ins Lager.

Der Paketwahnsinn zehrt bisweilen an den Nerven. „Neulich“, berichtet Sara Baumann in Bergerhausen, „haben wir um 18 Uhr das Rollo runtergelassen und ein Kunde hat noch seinen vielleicht dreijährigen Sohn unten durchgeschoben. Fast hätte das Kind das Rollo auf den Kopf bekommen. Das war so dreist, da hatten wir auch kein Mitleid.“ Eine andere Dame, die knapp zu spät kam, hat vor kurzem geweint. „Sie hatte Blumen bestellt, der haben wir natürlich noch geholfen.“ – Ein Kunde fasst zusammen: „Was wurde noch mal gestürmt bei der Französischen Revolution?“ – „Der Paket-Shop.“

Was Kunden tun können

„Man kann seine Pakete auch kostenlos einem Boten mitgeben“, rät DHL-Sprecher Achim Gahr. „Uber unseren Paketshop-Finder kann man auch die nächste Filiale finden, wenn eine mal zu voll sein sollte. Wir appellieren auch an die Kunden, die Pakete so schnell wie möglich abzuholen. Wenn man drei Tage wartet, nimmt das Paket auch so lange Platz ein.“