Essen. Fabian verlor seine Unterarme und Beine. Das hielt ihn nicht vom Malen ab. Die Uniklinik Essen zeigt nun Bilder von mutigen Patienten.
Fabian hat sich eine silberne Casio-Uhr um die schwarze Prothese geschnallt. Stylisch sieht das aus, 80er-Jahre-Modell an futuristischer Roboterhand. „Ich habe bewusst keine lebensecht wirkende Prothese gewählt“, sagt der 15-Jährige. Unter dem anderen Mantelärmel ragt eine Greifzange hervor, sein „Arbeitswerkzeug“. Er lupft die Jogginghose an, auch die Unterschenkel hat Fabian durch eine Sepsis verloren. „Es war schlechtes Timing. Zu der Erkältung kamen Bakterien hinzu.“ Aber nun steht er hier im Uniklinikum Essen und präsentiert stolz seine Bilder. Das Malen hat ihm geholfen, mit seinem Verlust umzugehen.
„Klinikhelden“ heißt die Ausstellung auf den Korridoren der Kinderklinik: „Ein Held ist jemand, der viel Mut hat und in der Lage ist, etwas Besonderes zu schaffen“, sagt Nina Kaletta. Das erste Bild von Fabian Abels zeigt ein Haus am See. Eine Zeichnung aus dicken Strichen. „Krakelig“, findet er selbst, „auf dem Niveau eines Drittklässlers“. Aber man muss bedenken, dass die Kunsttherapeutinnen gar nicht ans Malen gedacht hatten, als sie ihn auf der Intensivstation besuchten. Wie sollte das auch gehen? Vielleicht mit dem Mund, hatten sie dann überlegt. Aber Fabian selbst hat dann gesagt: „Bindet mir den Pinsel um den Stumpf. Mit Klebeband.“
Das erzählt er nun vor dem Publikum der Ausstellungseröffnung. Ehemalige Patienten und ihre Eltern sind darunter, auch Eltern, die ihre Kinder verloren haben. Alles mitten im Klinikalltag, Patienten warten unter den Bildern sitzend auf ihre Behandlung, ein Kind wird im Bett vorbeigerollt. Und Fabian hebt seine Prothese und sagt: „Bindet mir den Pinsel um den ... Arm.“ Dann korrigiert er sich: „Um den Stumpf.“ Er will sein neues Leben auch nicht hinter Worten verstecken. Es ist ein Bild der Selbstermächtigung.
Das Haus am See
„Ich habe ein Haus und einen See gezeichnet, weil ich in dieser Phase einfach nach Hause wollte. Und weil ich immer gerne geschwommen bin. Das erste Bild hat mir geholfen, mich auszudrücken“, sagt Fabian. „Die nächsten habe ich gemalt, weil es Spaß gemacht hat. Weil ich etwas zu tun hatte. Es ist zu einem Hobby geworden. Ich habe sie alle verschenkt.“ Die Whisky-Flasche vor dem düsteren Hintergrund, der eine echte Fleißarbeit war: für den Vater. Das Herz vor der Lebenskurve: für die Mitpatienten. Fabian hat zwar gerade viel mit der Schule und mit der Umstellung zu tun, aber er will weiter malen. „Das geht sicher mit Prothese, aber ich werde sie wahrscheinlich dafür abnehmen und es so machen wie hier.“ Das fühlt sich leichter und direkter an.
Nina Kaletta und ihre vier Kolleginnen begleiten Kinder und Jugendliche, die „ihren inneren Helden aktivieren müssen, um durch eine schwierige Zeit zu kommen. Ihre Arbeit aber, die Kunsttherapie, wird nicht durch Fallpauschalen gedeckt. Sie wird gefördert durch Stiftungen und Elternvereine und muss für ihre Mittel werben. „Mit der Finanzierung tun sich noch alle schwer“, sagt Uniklinik-Chef Jochen Werner. Aber die Kunsttherapie ergänze sich mit der Spitzenmedizin, sie trage Menschlichkeit bei. Und dass sie den Menschen helfe, lasse sich wissenschaftlich belegen. „Das sind gute Argumente für Kostenträger.“
Rote Fratze, lustige Zähne
Nina Kaletta zeigt uns ein Monster. Rote Fratze vor blauen Klecksen grient es mit übergroßen Zähnen aus dem Rahmen. Oskar, 7 Jahre, steht darunter. Nina Kaletta hat ihn vier Jahre begleitet. Oskar hat Knochenmark und damit ein neues Immunsystem transplantiert bekommen, aber dafür muss zuvor das defekte alte System vollkommen zerstört werden. In dieser Zeit war Oskar wochenlang isoliert, durfte das Zimmer nicht verlassen, Besucher kamen durch eine Schleuse zu ihm. Die Therapie hat seine Lunge geschädigt, daran ist Oskar im März gestorben.
„Wut“ sieht Kaletta in dem Monster – und „Kraft“. Oskar hat es im Sitzen gemalt, das Sauerstoffgerät neben dem bunten Sessel im Holzhütten-Atelier der Kunsttherapeuten und Nina hat ihm das Papier gehalten. Aber wirkt es nicht auch lustig? „Ja. Ich finde“, antwortet eine Frau, „es ist ein fröhliches Monster, das mal eine Zahnspange vertragen könnte.“ Es ist die Mutter, sind die Eltern von Oskar, die ihrem Sohn die Ehre erweisen.
Esther hat nicht mehr gesprochen nach dem Autounfall. Die allernötigsten Worte nur zu den Eltern. Aber auf der Intensivstation und danach, gegenüber all den Ärztinnen und Ärzten, Helferinnen und Helfern blieb die Neunjährige stumm. Fast zweieinhalb Monate lang. „Wahrscheinlich wollte sie nicht verbal andocken an die Welt, in der sie sich wiederfand“, sagt Nina Kaletta. Organverletzungen, richtig schwer. „Sie wollte ihren Raum schützen, darüber hatte sie Kontrolle.“ Und dann begann Esther zu malen, ein paar Bilder wie zur Probe. Dann ganz gezielt. Mit leuchtender Farbe auf schwarzer Pappe. „Sie hatte ganz klar eine Idee, die sie umsetzen wollte.“ Ein Schaf, das die Zunge herausstreckt. Abstrakt, bunt, expressionistisch, und tatsächlich ist dieses Bild eher Kunst als Kinderbild. Dann sagte Esther drei Worte: „Jetzt Mama holen.“