Duisburg. Vor einem Jahr überfiel die Hamas Israel. Seitdem tobt ein Krieg, der auch auf das Leben in NRW wirkt. So ergeht es den Palästinensern.
„Entmachtet und unverstanden“ fühlt man sich als Palästinenser angesichts des seit einem Jahr tobenden Konflikts in und um Gaza, sagt Ribhi Yousef aus Duisburg. Einige Freunde nehmen Abstand, mit anderen meidet man das Thema – und auch Hassmails sind keine Seltenheit.
Yousef wurde 1956 im Westjordanland geboren und floh mit seiner Familie im Alter von elf Jahren während des Sechstagekrieges– zunächst nach Jordanien, wo er sein Abitur machte. In Duisburg promovierte der Chemiker und arbeitete drei Jahrzehnte im Umweltamt. Er engagiert sich als Schatzmeister der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft (DPG) und ist seit zehn Jahren Dozent des evangelischen Bildungswerkes. Dort trägt er regelmäßig gemeinsam mit einem Israelkenner die jeweilige Perspektive auf den Konflikt vor. Das tut er auch hier. Ribhi Yousef, erzählt, wie es ihm und den Palästinensern in NRW seit einem Jahr ergeht:
Unsere Trauer und Sorge wird nicht wahrgenommen
„Der 7. Oktober hat mich als Schock getroffen. Natürlich haben wir den Angriff auf Zivilisten sofort verurteilt, als Deutsch-Palästinensische Gesellschaft, aber auch privat. Doch dieser Konflikt hat nicht am 7. Oktober angefangen. Nun tobt ein Krieg, und seitdem fühlen wir Palästinenser uns entmachtet und unverstanden. Unsere Trauer und Sorge wird nicht wahrgenommen.
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Auf einmal stehen langjährige Kollegen vor einem und fragen: Wie stehst du zur Hamas? Sie glauben also, dich doch nicht zu kennen. Selbst der Bundespräsident hat gefordert, dass sich alle Palästinenser in Deutschland von der Hamas distanzieren sollten. Aber damit stellt man uns gleichzeitig unter Generalverdacht. Natürlich sind die allermeisten friedliebende Menschen und wollen auch Frieden mit Israelis oder Juden.
Man muss aufpassen, mit wem man demonstriert
Am Anfang haben auch die deutschen Medien einseitig über die Pro-Palästina-Demonstrationen berichtet, und das hat auf die Gespräche mit Mitmenschen abgefärbt. Es gibt ja immer Leute, die solche Demos ausnutzen mit ihren Parolen. Ich persönlich nehme darum nicht daran teil. Ich möchte nicht mit Menschen zusammenlaufen, die meine Meinung diskreditieren und mich so in eine Ecke stellen. Die Medien sind hier gefordert, diese Minderheit einzuordnen und nicht global zu verurteilen. Tatsächlich wird nun auch mehr Neutralität gewahrt – und das spiegelt sich auch in persönlichen Begegnungen.
Es gibt auch alte Freunde, die nicht mehr anrufen. Vielleicht haben sie nicht die Kraft, mich zu fragen, wie ich zu diesem Thema stehe. Aber das ist dann ein Problem, dass sie selbst haben. Wenn ich Freunde treffe, vermeide ich es, über Politik zu reden. Das ist für mich ein Schutzschild. Lass uns unseren Kaffee in Frieden trinken. Ihr kennt meine Meinung, ich weise keine Schuld zu.
Zu meinen israelischen Freunden hat sich das Verhältnis nicht verändert. Denn wir setzen uns alle für Frieden ein, schon vor diesem Konflikt.
Die Menschen sehen, dass ihre Schwester hungert
Ich habe auch enge Freunde hier, deren Eltern und Geschwister in Gaza leben. Diese Menschen haben in Deutschland ihre eigenen Probleme. Nun ist dieser Krieg dazugekommen. Davor haben sie vielleicht monatlich Geld an ihre Verwandten geschickt. Das können sie jetzt nicht mehr. Der Bankverkehr ist blockiert, Pakete kommen nicht an, die gesamte Infrastruktur in Gaza ist zerstört. Die Menschen sehen, dass ihr Bruder oder ihre Schwester hungert auf der Flucht, aber sie wissen nicht, wie sie helfen sollen. Darum sind so viele wütend und verzweifelt. Die Tage vergehen damit, in Sorge aufs Handy zu starren. Ein Freund sagte mir, er könne darum nicht mehr arbeiten, er würde nur noch an seine Eltern denken.
Auch persönlich habe ich Mails bekommen, in denen ich als Kindermörder oder Terrorist angefeindet wurde. In einigen Fällen haben wir bei der DPG überlegt, die Absender anzuzeigen. Aber das gibt nur Schlamassel und damit verschwinden ja nicht ihre Einstellungen. Veränderung schafft man nur mit Informationen. Ich bin für Frieden und Koexistenz und die Zwei-Staaten-Lösung. Wer meine Haltung anders interpretiert – das ist seine Sache.“