Essen. Die Alten haben Macht, die Jungen haben Macht, die einen treten ab, die anderen treten nach. Lasst uns ruhig so weitermachen . . .
Herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag, liebe Boomer – und tschö mit ö! Die Generation jener Menschen rund um den geburtenstärksten Jahrgang 1964, als rund 1,4 Millionen Kinder in Deutschland das Licht der Welt erblickten, verabschiedet sich jetzt rasant aus dem aktiven Erwerbsleben. Viel Freude, liebe Kolleginnen und Kollegen, im wohlverdienten Ruhestand! Obwohl durchaus umstritten ist, wie wohlverdient der wirklich ist. Die Jungen jedenfalls sehen die Alten sehr kritisch (dazu später mehr), und die Alten zeigen sich zunehmend genervt von den Jungen: ein Konflikt, der dem ohnehin schon angeschlagenen Wirtschaftsstandort Deutschland noch den Rest geben könnte.
Ich selbst, Jahrgang 1972, gehöre nicht mehr zu den Boomern, kann aber als inzwischen auch in Ehren Ergrauter den Frust nachvollziehen, den manche Angehörige der Generation Z erzeugen. Dass sich die zwischen 1995 und 2010 Geborenen aufgrund des Fachkräftemangels inzwischen die Jobs wie die besten Sahnestücke auf einer reich gedeckten Kaffeetafel aussuchen können, ist ja keine neue Erkenntnis. Ich selbst habe mich auch längst daran gewöhnt, dass ich in Bewerbungsgesprächen mit gut qualifizierten Kandidaten derjenige bin, der sich bei dem potenziellen Volontär oder Redakteur bewirbt – und nicht, wie früher, umgekehrt. Was ich aber nur schwer akzeptieren kann, ist eine immer wieder zu beobachtende Ich-Bezogenheit mancher Gen-Z-ler, die höchste Anforderungen an andere stellen, nur nicht an sich selbst.
Job-Ghosting trifft Unternehmen hart
Besonders schlimm ist das sogenannte Job-Ghosting, mit dem die meisten Arbeitgeber in Deutschland schon Erfahrung gemacht haben dürften. Einen typischen Fall musste ich dieser Tage wieder erleben. Schon vor Monaten hatten wir in einem aufwändigen Bewerbungsverfahren eine Kandidatin ausgesucht und mit ihr einen Vertrag zur Ausbildung als Redakteurin abgeschlossen. Kurz vor Dienstantritt sagte sie in einer lapidaren Zwei-Zeilen-Mail ab – ohne Begründung, ohne Entschuldigung, ohne persönlichen Kontakt. Ihr war offensichtlich egal, was ein solches Verhalten, eine solche Unzuverlässigkeit bei uns an Aufwand und Kosten erzeugt. Ich hätte mich das nicht getraut in dem Alter, derart respektlos verbrannte Erde zu hinterlassen; ich hätte es mir aufgrund der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt auch nicht leisten können. Und schließlich gab es früher ja noch so etwas wie die „gute Kinderstube“ – aber ich merke schon, dass ich jetzt klinge wie Opa, der vom Krieg erzählt. Also: Schwamm drüber!
Ich will auch nicht ungerecht sein. In jeder Generation gibt es die unterschiedlichsten Typen. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Wenn ich beispielsweise auf unsere WAZ-Volontäre schaue, auch auf unsere Jung-Redakteure, die zur Gen Z gehören, dann sind das durch die Bank tolle, junge, vom Journalismus begeisterte und begeisternde Kolleginnen und Kollegen, über die man sich nur freuen kann. Und auch die Boomer sind selbstverständlich nicht alle gleich. Trotzdem ergibt die Betrachtung unterschiedlicher Alterskohorten Sinn, weil gemeinsam erlebte gesellschaftliche Umstände und historische Ereignisse Trends ausbilden und die Menschen ein Leben lang prägen. Krisen tun dies in besonderer Weise. Die Gen Z etwa lässt sich nicht begreifen ohne die Corona-Krise, die gerade mit jungen Menschen etwas gemacht hat. Auch der Klimawandel und der Krieg in Europa mit seinem Eskalationspotenzial geht an ihnen nicht spurlos vorbei. Wie sieht ihre Zukunft aus? Haben sie überhaupt eine?
Gen Z ist besonders gestresst
Einer noch recht frischen Jugendstudie zufolge sind Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren so pessimistisch wie nie. Sie leiden unter Stress, Erschöpfung und Hilflosigkeit. Sie glauben nicht mehr daran, sich mit harter Arbeit ein gutes Leben leisten zu können. Darum wollen sie auch lieber jetzt leben und im Zweifel weniger arbeiten. Das ist nicht Ausdruck von Faulheit, sondern von fehlender Motivation, von Frust und auch von Verzweiflung. Das schwäbische „Schaffe, schaffe, Häuslebaue“ hat sich überholt, wenn sich eine Durchschnittsfamilie heute schon keine Immobilie mehr als Ergebnis eigener Arbeit leisten kann. Die Jungen fühlen sich latent ausgebeutet.
Von wem? Natürlich von den Boomern. Denn vor allem die sitzen ja noch in den Chefetagen. Und waren und sind es nicht die Boomer, die den Karren Bundesrepublik vor die Wand gefahren haben, die, wenn sie jetzt abtreten, einen Scherbenhaufen hinterlassen?
„Die Boomer haben es vergeigt“, formulierte es Henrik Müller, Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Universität Dortmund, in einem viel beachteten Essay. Seine Analyse lässt sich knapp zusammenfassen: Reformen? Verschleppt. Die Wirtschaft? Schrumpft. Technischer Fortschritt? Fehlanzeige. Der Wohlstand sei von den 13 Millionen Boomern, zu denen er, Müller, auch gehöre, nur verwaltet worden, mit dem Ergebnis, dass in diesem Land die Lichter ausgingen, wenn sie sich alle in Rente und Pension verabschieden. „Dann“, bringt es Müller auf den Punkt, „sind wir auf dem Weg in die kollektive Verarmung.“
Reichste Erben-Generation
Andererseits, und auch das gehört zu einer differenzierten Betrachtung, ist die Gen Z, wenn man sie danach fragt, nicht unzufrieden mit ihrer Kindheit. Im Gegenteil. Ihr gehören in der Regel Wohlstandskinder an, deren Eltern einen besseren Begriff davon hatten, was moderne Erziehung ausmacht. Außerdem werden diese Kinder, weil sie so wenige sind, eines Tages sehr, sehr viel erben. Die Gen Z wird zu den reichsten Erben-Generationen überhaupt gehören. Sie wird das Geld allerdings auch brauchen, um Rente und Pflege der noch lebenden Alten weiter zu finanzieren.
Vorurteile auf beiden Seiten führen zu Ungerechtigkeiten. Es ist nicht die Gen Z, die Begriffe wie Nachhaltigkeit und Diversität erfunden hat und das nun gegen den Widerstand aller „alten weißen Männer“ durchsetzen muss. Zuweilen führen solche Narrative dazu, dass ältere Männer pauschal in einer Weise diskriminiert werden, dass der – berechtigte – Ruf nach Gleichberechtigung einen allzu bitteren Beigeschmack bekommt. Nicht selten trifft es auch ausgerechnet jene, die privat und beruflich seit Jahrzehnten Gleichberechtigung aus Überzeugung leben. Ohnehin ist Altersdiskriminierung kein allzu schlaues Konzept, wenn einem die Arbeitskräfte ausgehen. Vielmehr sollte man die fitten Alten (und sie werden ja zum Glück immer fitter) so lange wie möglich voll einbeziehen. Wie klasse das ist, wenn man gelebte Erfahrung mit den Social-Media-Natives zusammenführt, sehe ich Tag für Tag in unseren Redaktionen.
Auch Boomer sind grün
Bemühungen, die Umwelt und das Klima besser zu schützen, gibt es auch nicht erst seit den ersten Fridays-for-Future-Demos im Jahre 2018. Es ist ein Klischee, dass die Boomer in ihren dicken SUVs die Ressourcen der Erde ausbeuten, während sich die Jungen im Kampf ums Klima auf den Straßen festkleben, um eben diese SUVs zu stoppen. Spätestens mit der Katastrophe von Tschernobyl 1986 bekam die schon aufkeimende Umweltbewegung einen enormen Schub. Sechs Jahre zuvor waren die Grünen gegründet worden.
Ja, manche Boomer sind rechts, manche links, und nicht wenige grün oder sogar dunkelgrün. Wer älter wird, wird oft konservativer. Und, wie immer, gibt es auch die Scheinheiligen, die mit den oben genannten SUVs zum Bioladen fahren und meinen, die Welt ohne Wohlstandsverlust gerettet zu haben. Ich habe aber auch schon Gen-Z-ler auf den SUV-Beifahrersitzen gesehen, wenn sie Papi in der Nacht zum Sonntag von der Disko abgeholt hat, Gen-Z-ler, die am Freitag zuvor demonstriert hatten, statt in die Schule zu gehen. Und dass ausgerechnet immer mehr junge Menschen Leute wählen, die zurück wollen in die dunkelste Vergangenheit, ist leider auch wahr. Die Welt, sie ist bunt.
Ein neuer Generationenvertrag?
Fest steht: Die Boomer werden aufgrund ihrer Anzahl noch lange ein politischer Machtfaktor in diesem Land sein. Die Gen-Z-ler wiederum können den Fachkräftemangel als Machtfaktor einsetzen, um sich die besten Jobs zu angeln und gute Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Wenn sich beide Seiten weniger beharken und mehr an einem Strang ziehen, könnte das allen helfen, auch jenen Generationen, die dazwischen stehen.
Auf bald.
Klartext als Newsletter
Wer die Klartext-Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ, nicht verpassen möchte, kann den kostenlosen Newsletter bestellen. Klartext: Hier werden politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen – um Klartext eben.
Klartext als kostenloser Newsletter? Hier anmelden!
Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.