Ruhrgebiet. Fachleute warnen vor einer Infektion, die sich über Barbershops gerade europaweit verbreiten soll. Was der Fußball damit zu tun hat.

Bislang kannten den „Trichophyton tonsurans“ wohl die wenigsten. Doch plötzlich diskutiert ganz Deutschland über diesen Pilz, der sich vor allem über Barbershops verbreiten soll. Auch im Ruhrgebiet beobachten junge Männer mit Trendfrisur ihre Köpfe mit großer Sorge. Der Tübinger Dermatologe Martin Schaller warnt bereits vor einer „europaweiten Epidemie“. Was ist dran, am Pilz – und der Diskussion?

Der Trichophyton tonsurans

Es handelt sich um einen hochansteckenden Fadenpilz, einen Hautpilz, „der Hornsubstanz und Haare liebt“, erklärt Dr. Ose Rademacher, Oberärztin der Klinik für Dermatologie am Bochumer St. Josef Hospital. Er kann eine „Ringelflechte“ verursachen und verbreitet sich von Mensch zu Mensch, aber auch über Gegenstände. Bürsten, Kämme, Scheren, Haarschneidemaschinen oder Rasiermesser etwa. Die ersten Symptome, die auffielen, seien Schuppen-ähnliche runde, rötlich-gräuliche Flecken im Nacken und auf dem Kopf. Dringe der Pilz tiefer ins Gewebe ein, fielen die Haare womöglich aus, im schlimmsten Fall am ganzen Körper. Dazu könnten Entzündungen, Narben und Abszesse kommen. „Man stirbt in der Regel nicht dran“, sagt Rademacher, „aber aus dem Haus gehen wollen sie dann auch nicht mehr.“

Verbreitung

Es gibt keine Meldepflicht für diese Pilzerkrankung – demzufolge auch keine belastbaren Zahlen. Eine Infektion mit dem Trichophyton tonsurans sei in Deutschland, so die Bochumer Dermatologin, aber „eigentlich nicht häufig, anders als in Afrika“. Sie beobachte aktuell „eine leichte Zunahme der Fälle“. Die Zahlen, die ihr Tübinger Kollege nennt, kann sie nicht bestätigen. Schaller sagte dem „Spiegel“ in dieser Woche, man weise den Pilz inzwischen drei- bis fünfmal so oft nach wie noch vor fünf Jahren, nach Fußpilz sei Trichophyton tonsurans „das Häufigste, was wir zurzeit sehen“.

Dr. Ose Rademacher am Montag den 21. Juni 2021 am St. Josef Hospital in Bochum. Thema hier ist die Vorsorge und Behandlung bei Hautkrebs. Foto: Ralf Rottmann/ Funke Foto Services

„Man stirbt in der Regel nicht dran. Aber aus dem Haus gehen wollen sie dann auch nicht mehr.“

Dr. Ose Rademacher
Oberärztin der Klinik für Dermatologie, St. Josef Hospital Bochum

Was hat die Frisur mit dem Pilz zu tun?

Joshua Kimmich, Kai Havertz, Jamal Musiala und andere Top-Fußballer liefen oder laufen bei der EM mit „Mid-Fade-Cuts“ in den verschiedensten Varianten auf. Ihr Haarschnitt, raspelkurz an den Seiten, oben länger, ist auch deshalb bei jungen Männern gerade verstärkt angesagt. Barbershops sind auf solche Schnitte spezialisiert. Über Läden, die nicht sauber arbeiten, soll sich der Pilz aktuell verbreiten, glauben Fachleute wie Schaller. Rademacher hält das für „eine logische Erklärung“; mangelnde Hygiene sei sicher ein Grund für den Anstieg der Fallzahlen. Kleine Verletzungen, wie sie bei dieser Art von Frisur, die mit dem Messer oder der Haarschneidemaschine geschnitten würden, häufig aufträten, machten es dem Pilz zudem „leichter“.

Andererseits: Haben die meisten Friseure im Ruhrgebiet den Pilz noch nie gesehen. Selbst in Duisburg, wo sich dem „Spiegel“-Bericht zufolge die Fälle bereits vor Jahren gehäuft haben, kennt man den Fadenpilz „nur aus den Medien“, wie der stellvertretende Obermeister der Innung, Markus Lotze, auf Anfrage erklärt. Markus Bredenbröker, Obermeister der Essener Innung sagt, das Thema sei „angekommen“ in der Branche – aber weit entfernt von einer europäischen Epidemie. „Ganze zwölf Fälle soll es in am ärgsten betroffenen Spanien gegeben haben. In Deutschland haben Friseure täglich eine Million Kundenkontakte.“

Dürfen Barbiere überhaupt Haare schneiden?

Die Zahl der Barbershops in Deutschland steigt seit Corona deutlich an, beliebt sind die Läden vor allem bei jungen Männern, weil sie oft günstiger sind als der klassische Herrenfriseur. Barbiere dürfen streng genommen nur Bärte schneiden. Sie können aber über die „Handwerksordnung“ eine Ausnahmeregelung auch für das Schneiden von Haaren erwirken, müssen dafür zusätzliche Qualifikationen nachweisen, so Bredenbröker. Rechtlich unterscheidet das deutsche Handwerk nicht zwischen Friseur und Barbier, die Kammern ordnen Barbershops bei den Friseursalons ein.

Die Hygienefrage

„Friseure kennen sich mit Hygiene aus, sie gehört zur Ausbildung und wird kontrolliert“, betont Bredenbröker. „In der Corona-Zeit haben wir das bewiesen, dass das funktioniert.“ Grundsätzlich müssten nach jedem Haarschnitt, ergänzt Irene Weigen, Obermeisterin der Vestischen Innung, alle benutzten Messer, Scheren, Maschinen oder Bürsten desinfiziert werden – in speziellen Geräten, Einwegklingen müssen entsorgt werden.“

Die Hertener Friseurin will „nichts unterstellen“, aber sie bezweifelt, „dass das in allen Barbershops immer so läuft“. Wer für einen Herrenschnitt nur 15 Euro (oder weniger) nehme, müssen seinen Umsatz über die Menge machen, also sehr viele Kunden bedienen. „Das ist wie mit Nagelstudios“, glaubt die Dermatologin Rademacher. „Manche von denen arbeiten nicht mit der nötigen Hygiene–, da holen Sie sich dann gern einen Nagelpilz ab.“

Die Therapie

Eine Trichophyton-tonsurans-Infektion lässt sich relativ einfach behandeln, sagt Rademacher. „Aber das sollte zeitnah passieren. Je früher man zum Arzt geht, desto besser. Und Cremes oder Lotionen werden allein nicht helfen.“ Zum Einsatz kämen meist Tabletten, sogenannte Antimykotika, etwa Itraconazol-Kapseln. Sie würden in der Regel gut vertragen, die Dauer der Therapie könne vier Wochen „und auch mehr!“ betragen. Entscheidend sei, dass Arzt oder Ärztin vor der Verordnung von Medikamenten eine Pilzkultur anlege, um genau bestimmen zu können, um welche Art von Pilz es sich genau handele. „Denn da gibt‘s noch eine ganze Menge mehr an schrecklichen Dingen.“

Wie kann ich mich schützen?

„Achten Sie auf Sauberkeit. Gehen Sie nur dahin, wo hygienisch gearbeitet wird“, rät die Ärztin. „Und fragen Sie ruhig danach, wie das in Ihrem Salon oder Shop mit der Desinfektion läuft.“