Dortmund. Nach Gewitterwarnung bleiben am Dienstag alle Fanzonen in NRW geschlossen. Trotzdem sieht die Stadt rund um das Westfalenstadion Rot.
Es ist Türkei gegen Georgien, auf den Fahnen Halbmond gegen Kreuz, aber beide Fangruppen gehen in denselben Farben. Dortmund sieht nach dem Albanien-Spiel zum zweiten Mal innerhalb einer Woche Rot. Aber um das Fanfest Nummer Zwei machen die Wetterdienste am Dienstag viel Wind: Sogar Orkanböen sind angesagt, alle Public Viewings bleiben geschlossen. Trotzdem schafft es auch strömender Regen nicht, die Stimmung zu verwässern.
Wegen der Wetterwarnungen alles gestrichen, kein Public Viewing im Westfalenpark, keines in der Innenstadt. Nicht wegen etwas Niederschlag, man fürchtet Hagel und Sturm, im Ernstfall könne man nicht schnell genug räumen. „Es ist nie ein guter Rat, Naturkräfte zu unterschätzen“, sagt ein betrübter Oberbürgermeister Thomas Westphal am Morgen. Da gibt die Stadt die Nachricht bekannt, am Mittag lässt sie Schilder aufhängen an den Gittern vor den öffentlichen Fußballguckplätzen: „Fan Zone bugün şiddetli fırtına uyarısı nedeniyle kapalı kalacaktır.“ Was so viel heißt wie „Fanzone heute aufgrund Unwetterwarnung geschlossen“. Dieses Unwetter hat sich angekündigt mit roten und gelben Flecken auf dem Radar, überall in NRW bleiben die Fantreffen und Treffpunkte dicht, auch in Gelsenkirchen und Köln, wo es die größte türkische Gemeinde gibt im ganzen Land.
„Fans werden gebeten, zu Hause zu bleiben“
Fast so viele Türkeistämmige leben in Dortmund und überhaupt fast eine halbe Million türkische Staatsangehörige in NRW, bald die Hälfte von ihnen im Ruhrgebiet. Mehr als 20.000 haben allein in Dortmund einen türkischen Pass und etwa noch einmal so viele nach Jahren oder qua Geburt den deutschen. Diese Dortmunder mit Migrationshintergrund würden allein die Stadt füllen und mit etwas Unterstützung der Nachbarn auch das Stadion, und nun wird gebeten: „Fans ohne Ticket für das Spiel im Stadion werden gebeten, zu Hause zu bleiben.“ Aber das Erlebnis lässt sich doch von einem lausigen Gewitter keiner nehmen!
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Was da schließlich kommt vom Himmel, ist erst etwas Regen am Mittag, da reichen die Fahnen als Regenmantel und die rot-weißen Sonnenhüte noch als Kappe. Und ohnehin hält die Fans niemand mehr auf, sie sind längst unterwegs und wollen in der Nähe ihrer Mannschaft sein. Sie kommen in roten und weißen Trikots, Regenzeug hat keiner dabei. Sie rotten sich an der Kleppingstraße zusammen, eben können Hundertschaften sie noch stoppen, dass sie nicht die Kreuzung blockieren. Sie singen, schreien „Türkiye“, schwenken Fahnen und zünden Feuerwerk natürlich in Rot. Zigfach muss die Polizei daran erinnern, dass Pyrotechnik „in Deutschland“ strafbar ist – es nutzt nichts.
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Das Schaf „Määähmet“ soll dem türkischen Team Glück bringen
Buse und ihr Bruder Anil aus Dortmund haben eines der Nashörner erklommen, Dortmund-Wahrzeichen, seit es das Konzerthaus gibt. Das gelbe Tier wird in Rot gehüllt, oben stehen die Geschwister, Anil hat aber auch eine Deutschlandfahne um. „Wir haben auch deutsche Trikots“ und in ihrem Büro beide Flaggen, aber die schwarz-rot-goldene brauchen sie erst wieder morgen. Ugur, Gökhan und Gökmen sind aus Frankfurt angereist, mit Karten für alle Vorrundenspiele und einem Begegnungsschal mit einem Stück Deutschland dran. Und einem aufblasbaren Schaf. Es ist ein Glücksbringer, sagt Ugur, „wir haben es vor dem Opferfest gerettet“. Vor der Kamera taufen sie es spontan und spöttisch: „Määähmet“.
Der eigentlich ebenfalls abgesagte Fanmarsch setzt sich schon am Mittag trotzdem in Bewegung, die Polizei muss die Fußball-Anhänger ja irgendwie zum Stadion kriegen. Es wiederholen sich die Bilder, die Europa jetzt schon aus Hamburg kennt, da war die wogende Menge orange, oder aus Düsseldorf, wo die Österreicher die Stadt ebenfalls rot färbten. Auch die Georgier spazieren gemeinsam aus dem Westpark Richtung Stadtkrone, halten sich aber sonst am Rand: Männer gesetzteren Alters oft, die in Straßencafés in den Nebenstraßen auf den Anpfiff gewartet haben.
Angesagtes „Unwetter“ kommt erst nach den Fans
Das „Unwetter“ kommt erst nach den Fans: Die mit Karten sind schon am Stadion und mit einem Bein darin, als der Starkregen durchbricht, die Wetterkarten zeigen Gewitter, aber es donnert nicht. „Beste Stimmung“ meldet ein Fan trotz allem, da läuft das Wasser schon die Straßen hinunter und fällt im Stadion vom Dach auf die unteren Ränge. Schirme helfen jetzt nicht mehr, Trikots sollen ja angeblich schnell trocknen, ist schließlich Funktionskleidung. Das allgemeine Rot versteckt sich als Rosa unter weißen Ponchos. Und trotzdem hupen die Vuvuzelas und die Autos auch, „Volksfeststimmung“, meldet ein Fan aus dem Stadion. In einer Kneipe in der Innenstadt aber singen vor allem die Schotten im Rock.
Dort erleben die letzten Versprengten auch das Spiel. Einen Moment nur war die Stimmung etwas grau vom Regen, von den Pfützen, in denen sie stehen, von der Enttäuschung, jetzt nicht auf dem Friedensplatz sein zu können. Die Türkeifans drängen sich vor den kleinen Fernsehern der Cafés am Alten Markt, filmen mit den Handys hoch über dem Kopf das Spielgeschehen ab. „Schade“, sagt einer. „Der Regen hat alles kaputt gemacht.“ Aber dann fällt das erste Tor, die Menge steigt hoch, „die Türkei gewinnt auf jeden Fall“, sagt Selin, der die Kleppingstraße in diesem Glücksmoment doch genug ist.
Am Ende wird sie Recht behalten, 3:1. Und es regnet immer noch wie aus Eimern. Die im Stadion waren, ziehen danach zu Fuß und im Korso über den Wall, pudelnass, aber glücklich. Die Polizei lässt sie eine Weile gewähren. Für das Fanfest „Alla turca“ gibt es am Samstag übrigens eine zweite Chance. Dann spielt die türkische Mannschaft gegen die aus Portugal, wieder in Dortmund. Und wieder in Rot.