Ruhrgebiet. Ein italienischer Restaurantbetreiber aus dem Ruhrgebiet soll geholfen haben, Briefwählerstimmen zu beschaffen. Er wurde gefilmt.
Mit ihren Briefwahlunterlagen unterm Arm spazieren Gäste in ein italienisches Restaurant, eine verdeckte Kamera filmt sie dabei. Gegen eine Einladung zum Gratis-Essen sollen sie ihre Wahlstimme abgegeben haben – und ein Gastronom aus dem Ruhrgebiet soll daran aktiv mitgewirkt haben. Das ist der Vorwurf, den die Journalisten einer investigativen Sendung im italienischen Fernsehen erheben. Verdeckt filmen sie, wie der Gastronom die Wahlbriefe für den Kandidaten Massimo Romagnoli (Movimento delle Libertà) einsammelt und fortträgt.
In dem Beitrag, der zur Europawahl die Runde macht unter Italienern im Ruhrgebiet, geht es um die Wahl zur Abgeordnetenkammer 2022 im Wahlkreis Europa und um die generelle Frage, wie leicht Stimmen im Ausland zu beschaffen sind. Romagnoli ist aktuell Spitzenkandidat seiner Partei bei der Europawahl. Die Vorwürfe, die darin gegen den Gastronomen erhoben werden, waren außerhalb dieses Kreises bislang nicht bekannt. Der Restaurantbetreiber streitet sie im Beitrag selbst ab und äußert sich auf Anfrage dieser Redaktion nicht dazu. Da die Recherche nicht unabhängig nachprüfbar sind, müssen wir den Fall anonymisiert schildern.
Wie einfach lassen sich Stimmen kaufen?
Die Frage, wie einfach es ist, Wahlstimmen von Briefwählern im Ausland zu beschaffen, ist zur Europawahl wieder akut. Die Recherche in Deutschland führt nach München und Köln, wo es den Journalisten gelingt, auf dem Schwarzmarkt Blanko-Wahlunterlagen zu kaufen, 100 Umschläge für 700 Euro. Weiter geht es über Wuppertal, wo es über eine Anfrage in einer Bar gelingt, fünf persönliche Wahlunterlagen zu kaufen für 20 Euro pro Stück. Im Ruhrgebiet schließlich scheinen sie einer besonderen Trickserei auf die Spur zu kommen.
Zu einer Begegnung mit dem Kandidaten Massimo Romagnoli lädt besagtes Restaurant ein zu einem Gratis-Büffet. Anmeldung erbeten, steht auf dem Flyer, den der Film-Beitrag zeigt. Der Gastronom wird verdeckt gefilmt, wie er auf Italienisch erklärt, offenbar ohne zu wissen, dass er mit einem Reporter spricht: „Er hat alles bezahlt, das Essen, die Getränke und die Musik.“ Und: „Nur die, die den Umschlag hatten, sind gekommen. Die anderen sind nicht gekommen.“ Gemeint sind offenbar Briefwahlunterlagen.
Tatsächlich werden die Gäste gefilmt, wie sie mit den Umschlägen ins Restaurant kommen. Diese liegen schließlich offen auf den Tischen. Offenbar handelt es sich bei ihnen um Unterstützer des Kandidaten Romagnoli, womöglich hätten sie ohnehin für ihn gewählt, auch wenn es das Gratis-Buffet nicht gegeben hätte. Dennoch handelt es sich um keine übliche Veranstaltung zur Unterstützung eines Politikers. Auf solchen zahlen die Gäste zum Teil hohe Summen, die als Spende verstanden werden – nicht umgekehrt.
Der Gastronom stellt die Dinge anders dar
Ein Reporter konfrontiert den Gastronomen schließlich offen. Dieser antwortet auf Italienisch, dass „wir“, also das Restaurant, für die Kosten des Abends aufgekommen sei. Nicht der Politiker. Auf die Frage, ob die Gäste aufgefordert worden seien, die Wahlunterlagen mitzubringen, sagt er, dies sei nicht der Fall. Es habe sich um eine für alle offene Diskussionsveranstaltung gehandelt. Als der Reporter erklärt, es seien doch Gäste mit den Wahlunterlagen in der Hand beim Betreten des Restaurants gefilmt worden, sagt der Gastronom: „Unmöglich.“ Auf den Hinweis, dass auch er mit den Unterlagen in der Hand gefilmt wurde, erwidert er, dass der Reporter die Dinge verdrehen oder verfälschen würde. Auch Massimo Romagnoli wird konfrontiert und streitet die Vorwürfe ab.
Die Vorwürfe der italienischen Journalisten sind nicht unabhängig prüfbar. Auf unsere telefonische Nachfrage, erklärt der Gastronom nach wiederholter Nennung des Namens der Fernsehsendung, dass er nicht verstehen würde, worum es geht. Er legt dann auf und nimmt keine weiteren Anrufe entgegen. Auch eine schriftliche Anfrage bleibt unbeantwortet. Ob dem Restaurant-Chef rechtlich etwas vorzuhalten ist, ist unklar. Die deutsche Staatsanwaltschaft prüft das Video daraufhin.