Düsseldorf. Die Polizei in NRW setzt von Anfang Mai an VR-Brillen ein, um Unfällen vorzubeugen. In 360-Grad-Filmen gerät der Zuschauer in Gefahr - virtuell.
Innenminister leben ja manchmal in einer anderen Welt. „Jetzt fahre ich gerade im Lkw . . . relativ selten“, sagt Herbert Reul, während er doch in Wahrheit auf einem Stuhl vor dem Düsseldorfer Polizeipräsidium sitzt, „. . . ich habe den Fahrradfahrer überholt . . . biege langsam rechts ab . . . peng, ist’s passiert.“
Gar nichts ist passiert, Gott sei Dank! Reul, der CDU-Innenminister von Nordrhein-Westfalen, hat nur beschrieben, was er mit der VR-Brille gesehen hat, die auf seinem Kopf sitzt. VR, „virtuelle Realität“, also das Gegenteil von Realität: nichts Wirkliches, sondern einfach einen 360-Grad-Film über einen Unfall im toten Winkel des Lastwagens. An einer komplizierten Kreuzung: Der gerade überholte Radfahrer war bereits vergessen.
„Die Sinne für den toten Winkel und seine Gefahren schärfen“
Solche Brillen soll die Polizei in NRW vom nächsten Montag an in der Unfallvorbeugung einsetzen. Nach dem Prinzip: Ein Bild warnt mehr als 1000 Worte. Wer in die Brille guckt, wird zunächst virtuell auf ein Fahrrad gesetzt. Dann sieht man, wie man von einem Lkw-Fahrer übersehen und überfahren wird. Das sei „schon im Film schockierend, aber immer noch besser, als es in Wirklichkeit zu erleben“, sagt Reul.
In der zweiten Einstellung wechselt man die Perspektive und sieht die Abläufe aus der Sicht des Kraftfahrers. Speziell dieser Blick aus dem Führerhaus, heißt es aus dem Innenministerium, „dürfte den meisten Radlern fremd sein und ihre Sinne für den toten Winkel und seine Gefahren schärfen“.
Zahl der Unfälle mit Pedelecs wächst in einem fort
Im letzten Jahr gab es in NRW mehr als 15000 Unfälle mit Fahrrädern, die Zahl will, über die Jahre betrachtet, nicht wirklich sinken. 46 Radfahrer kamen dabei um (2015: 59). Der andere Trend ist noch schlimmer: Unfälle mit Pedelecs nehmen ständig zu, zuletzt waren es fast 4000 mit 30 Toten (2015: 9). Die Hälfte von ihnen war mindestens 65 Jahre alt.
Von dem neuen Medium verspricht sich die Polizei, dass ihre Informationen besser ankommen als durch Karten oder Vorträge. Denn Zuschauer und Zuschauerinnen würden „beinah lebensecht Verkehrssituationen in der Ich-Perspektive erleben“, sagt Carsten Gesthüsen vom „Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in Duisburg: „Je attraktiver das Medium, desto beliebter ist es bei den Nutzern.“
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Da gehören die Brillen in die Gruppe anderer bewährter Hilfsmittel der Polizei, die „Gefahrenmomente erlebbar machen“. Wie den Gurtschlitten, der einen fühlen lässt, was für Kräfte bei einem frontalen Zusammenstoß wirken; oder die beliebte „Torkelbrille“, die einen lehrt, was man nach zu viel Alkohol noch kann - oder auch nicht.
Brillen werden zunächst eingesetzt in Dortmund, Duisburg und dem Kreis Unna
Zehn Polizeibehörden sollen von Anfang Mai je eine dieser Brillen einsetzen können, darunter in Dortmund, Duisburg und im Kreis Unna. Sie sollen auf Veranstaltungen zur Unfallvorbeugung genutzt, aber auch Verkehrsteilnehmern an Unfallschwerpunkten angeboten werden. In Frage kommen alle Menschen, die älter sind als elf; kleinere Kinder könnten die Filme noch nicht verarbeiten, heißt es.
Sind die Erfahrungen bis Ende des Jahres positiv, werden sie flächendeckend verbreitet. Die Kosten bisher: 17000 Euro. In Arbeit sind bereits „Ablenkung im Straßenverkehr“ und „Der Straßenverkehrsraum aus Kindersicht“, zwei weitere 360-Grad-Filme. Reul wird berichten.