An Rhein und Ruhr. Im vergangenen Jahr gab es bundesweit pro Tag mehr als fünf Angriffe auf Zugpersonal. Bei 20 Prozent benutzten die Täter Waffen oder Gegenstände.

Ein Mitarbeiter der Bahn spricht vor dem Münsteraner Bahnhof einen 38-Jährigen an. Der Mann trägt seine Maske falsch. Als der Mitarbeiter den 38-Jährigen darauf aufmerksam macht, kommt es zum Streit. Laut Polizei schlägt der Mann dem Mitarbeiter daraufhin mit der Faust ins Gesicht und schubst ihn gegen ein Auto. Als das Opfer am Boden liegt, tritt ihm der 38-Jährige gegen den Kopf. Der Mitarbeiter kommt ins Krankenhaus. Kein Einzelfall: Auch an anderen NRW-Bahnhöfen sind Zugbegleiter und Sicherheitskräfte immer wieder Attacken ausgesetzt.

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„Mitarbeitende der DB sind im Jahr 2020 insgesamt 2083 Mal im Dienst angegriffen worden“, schreibt ein Sprecher der Deutschen Bahn. Bedeutet: Pro Tag verzeichnete die DB im vergangenen Jahr bundesweit mehr als fünf tätliche Übergriffe auf Zugpersonal. „Hinzu kommen gut 470 Fälle, bei denen es beim Versuch einer Körperverletzung blieb“, so Kristian Loroch, Vorstandsmitglied der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Trauriger Spitzenreiter laut EVG: Nordrhein-Westfalen. Bei 20 Prozent der Attacken seien Mitarbeiter zudem mit Waffen oder Gegenständen angegriffen worden.

Obwohl die Fahrgastzahlen deutlich zurückgingen, sei die Anzahl der Übergriffe laut DB NRW im Vergleich zu 2019 bundesweit auf einem konstanten Niveau geblieben. Einer der Gründe: eine erhöhte Gewaltbereitschaft von Maskenverweigerern. Jede zehnte Körperverletzung im Bahnbereich habe nach EVG-Angaben in Verbindung mit Corona gestanden.

Abellio NRW: Mehr Beleidigungen seit FFP2-Maskenpflicht

Hinzu kämen regelmäßige Beschimpfungen: „Unsere Kolleginnen und Kollegen beklagen sich insbesondere, dass viele Fahrgäste, die keine Maske tragen oder die Maske nicht richtig tragen, sehr aggressiv reagieren, wenn sie darauf angesprochen werden“, sagt EVG-Sprecher Uwe Reitz. „Die Zahl der Beleidigungen, die oft sehr persönlich oder sexistisch sind, haben seit der Maskenpflicht deutlich zugenommen und wirken sich auf die Psyche der Beschäftigten aus, die permanent mit solchen und körperlichen ‚Übergriffen‘ konfrontiert werden.“

Ende April 2021 sei die Zahl der Beleidigungen und Diskussionen nach Einführung der FFP2-Maskenpflicht laut Julia Limia y Campos, Sprecherin von Abellio NRW, erneut gestiegen, „da es für einige Fahrgäste unverständlich ist, warum das fahrende Personal weiterhin eine OP-Maske tragen darf.“ In Einzelfällen sei es auch zu tätlichen Übergriffen gekommen. „Alle Kundenbetreuer bei Abellio sind angehalten, jede Art von Vorfall in einer App einzutragen“, sagt y Campos. Jeder Übergriff werde konsequent zur Anzeige gebracht.

Auch die Kundenbetreuer der Deutschen Bahn können seit 2020 Übergriffe im Regionalverkehr über eine App melden. Zudem betreibe die DB deutschlandweit etwa 8000 Videokameras auf ihren Bahnhöfen. „33.000 Kameras haben die Innenräume von mehr als der Hälfte aller Nahverkehrs- und S-Bahnzüge im Blick“, so ein Bahnsprecher. Weitere Schritte seien regelmäßige Deeskalations- und Verhaltenstrainings sowie Bodycams, deren Einsatz derzeit in einem Pilotversuch getestet werde.

EVG: „Kollegen werden nach Übergriff häufig allein gelassen“

EVG-Sprecher Reitz gehen diese Maßnahmen nicht weit genug: „Die Kolleginnen und Kollegen werden mit ihren Sorgen nach einem Übergriff häufig allein gelassen. Zudem drängen Arbeitgeber immer wieder darauf, die Arbeit auch nach einem Übergriff fortzusetzen, damit es durch Unterbesetzung nicht zu Zugausfällen kommt“, kritisiert Reitz. Die EVG fordere Nachsorgekonzepte. „Wir haben deshalb vor Jahren schon das Unterstützungsprogramm ‚Ruf Robin‘ ins Leben gerufen.“ Dort würden betroffene Kollegen nach einem Übergriff betreut und beraten.

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Dass Abellio und DB ihren Mitarbeitern mittlerweile Apps zur Meldung von Angriffen anbieten, begrüße die EVG. Die Gewerkschaft plädiert jedoch dafür, eine App bereitzustellen, „die von allen Eisenbahnverkehrs- und Busunternehmen gleichermaßen eingesetzt wird“, so Reitz. „Damit wäre es möglich, die Übergriffe zu vergleichen, was derzeit noch nicht geht, weil unterschiedliche Kriterien angelegt werden – oder eine App noch fehlt.“

Aktuell könne noch nicht von einer gezielten Dokumentation gesprochen werden, kritisiert der EVG-Sprecher. „Was wir wirklich dringend benötigen, ist ein bundesweit standardisiertes Meldeverfahren, was in der Lage ist, ein genaues Lagebild auf unkomplizierte Weise abzubilden, aus dem gezielte Maßnahmen ableitbar sind.“ Dazu müssten sich alle Beteiligten auf eine einheitliche Sichtweise verständigen, fordert Reitz. „Oftmals gilt als Übergriff nur eine Tat, die bei der Polizei angezeigt wurde.“ Beleidigungen oder Spucken würden so nicht erfasst. „Für uns zählt auch das als Übergriff.“