Ruhrgebiet/Velbert. Schulen werden geschlossen. Eltern fordern Hilfe bei der Betreuung, Schulleiter überlegen, wie das gehen kann. Und könnte das Fernsehen helfen?
Die Corona-Krise legt das öffentliche Leben in NRW lahm: Die Landesregierung hat beschlossen, die Schulen bereits nächsten Montag zu schließen, drei Wochen vor den Osterferien (6. - 18. April). Auch Kitas schließen, Hochschulen verschieben den Semesterstart. Trotz aller damit verbundenen Verwerfungen begrüßt die Landeselternschaft der Gymnasien den Schritt.
„In einem demokratischen System liegt es nahe, eher zu vorsichtig zu sein.“ Sie fordert „besondere Solidarität“ mit denen, die Abschlussprüfungen schreiben müssen. Dafür seien allgemeine Nachprüfungstermine vorzusehen und weitere Abiturprüfungsaufgaben vorzuhalten. „Falls es zu wesentlichen zeitlichen Verzögerungen kommen sollte, wird auch eine Verschiebung der Aufnahmezeiten an den Universitäten, Fachhochschulen und in die Ausbildungsverhältnisse nötig werden.“
Sollen Lehrer Kleingruppen betreuen?
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Oberste Priorität habe es, schreiben die Elternvertreter, „berufstätige Eltern bei der Organisation ihrer Kinderbetreuung zu unterstützen. Hier sollte darüber nachgedacht werden, ob nicht Lehrer, die keiner Risikogruppe angehören, die Betreuung in Kleingruppen übernehmen könnten. Die Großelterngeneration, die es ja zu schützen gilt, mit einzubeziehen“, sei in jedem Fall zu vermeiden. Die Landesregierung solle eine Kontaktstelle für Eltern mit Betreuungsproblemen einrichten. Auch regen die Elternsprecher an, „unsere öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme zu Lernprogrammen am Vormittag zu motivieren und die Lehrer zu guten Vorschlägen für geistige Anregungen – die Notwendigkeit ist da!“
Bärbel Emersleben hat gerade die Schulpflegschaft und die Kollegen informiert, schon denkt die Leiterin der Grundschule Tönisheide in Velbert darüber nach, wie man Eltern in Betreuungsnot helfen könnte und wie man „nach Möglichkeit Arbeitsblätter und dergleichen mitgeben kann“. Denn „die Kinder sollen ja nicht weniger lernen als andere“. Die Entscheidung zur Schließung findet sie „insgesamt richtig. Es kann ja nicht sein, dass die Bundesländer es unterschiedlich handhaben.“
Aber „für die berufstätigen Eltern, insbesondere in Pflegeberufen, tut es mir leid“, sagt Emersleben. Wie man die Unterstützung, die auch das Ministerium unspezifisch einfordert, genau gestaltet, darüber muss sie noch nachdenken. „Aber es kann ja nicht sein, dass nun jeder sagt, ich habe Bedarf, und dann sitzen wieder alle Kinder hier. Wichtig ist, dass die Menschen nun Wir denken und nicht Ich.“
Für Eltern ist nun die „Vorübergehende Verhinderung“ interessant
Kinderarztpraxen wurden ab dem Freitagnachmittag belagert mit dem Anliegen, das Kind krank schreiben zu lassen, sagt Michael Achenbach, Sprecher der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe. Denn Eltern haben einen gesetzlichen Anspruch auf zehn zusätzliche freie Tage, Alleinerziehende bekommen zwanzig Tage, die Kosten trägt die Krankenkasse – sofern das Kind ein Attest hat. Allerdings könnten die Ärzte keines ausstellen in diesem Fall, so Achenbach. „Das Kind ist ja nicht krank.“
Er rät Eltern, wenn keine andere Regelung mit dem Arbeitgeber zu treffen ist, sich auf eine „vorübergehende Verhinderung“ (nach § 616 BGB) zu berufen. Normalerweise sehen Gerichte eine Abwesenheit von fünf Tagen als zulässig an. Wie das Gesetz in Corona-Zeiten ausgelegt wird, ist unklar.
Das sagen einfache Lehrer
Für die absolut richtige Entscheidung hält der Englischlehrer Robert M.* aus dem westlichen Ruhrgebiet die Schließung: „An Regentagen haben wir in der Pause immer eine Versammlung mit fast 1000 Schülern. Die Schüler sorgen sich kaum um sich selbst: Ich bin ja jung und nicht betroffen, sagen sie. Aber sie haben ja größtenteils eben doch noch Kontakt zu den Großeltern, die es zu schützen gilt. Das war ja keinem zu vermitteln, Konzerte abzusagen, aber die Schulen offen zu lassen.“
„Ich habe eine Mukoviszidose-Patientin mit transplantierter Leber in meiner Klasse“, sagt Englischlehrer Erik C.* aus dem Süden des Reviers. Ich hatte ihr zwar schon vorige Woche freigestellt, nicht zu kommen. Aber die Eltern entschieden sich für Normalität, was ich nicht ganz nachvollziehen konnte. Die Schülerin hat ja ein extrem hohes Risiko, auch zu sterben. Ich hatte auf diese Entscheidung gehofft, denn sie nimmt den Druck heraus für Eltern, Schüler und Eltern, individuelle Entscheidungen treffen zu müssen.“
Auch Deutschlehrerin Katja W.* sagt: „Als Lehrerin an einer größeren Schule habe ich jeden Tag eine Veranstaltung mit über 1000 Teilnehmern. Selbst bin ich eigentlich entspannt. Wobei ich weiß, dass es ältere Kollegen gibt, die Hamsterkäufe gemacht haben. Längere Osterferien sind wahrscheinlich sinnvoll, wobei die Schüler sich nun natürlich Sorgen um ihre Prüfungen machen. Sie benutzen zu einem riesigen Prozentsatz ja auch den öffentlichen Nahverkehr.“
„Ich hatte schon nach dem Auftauchen der ersten Fälle in Deutschland meine Schüler alle Hygieneregeln erklärt“, erklärt Sportlehrer Sebastian S.. In der Turnhalle hieß es bei ihm: „Wer sich ins Gesicht fasst, macht zehn Liegestütze. Allerdings hatte ich nicht den Eindruck, dass alle Kollegen und die Schulleitung es genauso ernst nahmen. Letztlich blieb es die Entscheidung eines jeden Lehrers, Händewaschen und Co. anzusprechen. Es war alles ziemlich planlos.“
*Die Namen der Lehrer sind geändert, teils weil sie über Kollegen und Schüler reden, teils weil sie sich als Beamte politisch äußern.