Ruhrgebiet. Umweltfreundlich und von guter Qualtität: Ein Verein setzt sich dafür ein, dass wir Leitungswasser trinken. Erste Trinkbrunnen entstehen dafür.
Der Altstadtmarkt in Gelsenkirchen ist eher lückenhaft besetzt an diesem Freitag, aber dafür gibt es neben Fleisch und Klamotten, Klamotten und Obst sowie Klamotten auch einmal alles über Wasser. Über Leitungswasser. Leitungswasser contra Mineralwasser, um genau zu sein.
Drei junge Leute in T-Shirts mit der Aufschrift „Leitungswassertrinker*in“ haben zwei Info-Stände aufgebaut, also eigentlich einen Stand sowie ein Lastenrad, auf dem ein Glücksrad steht. „Das Lastenrad ist unser Dienstwagen und unser Hingucker“, sagt Alexandra Jaik (33) und packt Broschüren aus dem Rad-Kasten. Was sie erwartet? Man nennt es: Überzeugungs-Arbeit.
Menschen geben Geld aus für Mineralwasser und schleppen es dann mühsam heim
Jaik ist Regionalkoordinatorin des bundesweiten Vereins „a tip: tap“, dessen Ziel sofort klarer wird, wenn man den Namen einmal übersetzt: „Ein Tipp: Leitungswasser.“ Er wendet sich gegen das absonderliche Verhalten vieler Frauen und Männer, die Wasser teuer kaufen und mühevoll nach Hause schleppen, statt das hundert- und tausendfach billigere Wasser aus dem in der Regel vorhandenen Wasserhahn zu zapfen.
Ihre Gründe sind häufig Misstrauen, ob Leitungswasser wirklich gut ist; und es sind ja auch ein paar Millionen Menschen hier, in deren Herkunftsland man es tatsächlich nicht trinken sollte, wenn man vorhaben sollte, noch etwas älter zu werden.
„Wir sollten uns glücklich schätzen über diese tollen Möglichkeiten“
David Krause (25), Aktionskraft aus Mülheim, argumentiert aber für Leitungswasser so: „Man spart Treibhausgase, Geld und Plastikmüll, es ist bequem und man bekommt ein Lebensmittel in Top-Qualität. Wir sollten uns glücklich schätzen über diese tollen Möglichkeiten.“
Nach den Zahlen des Vereins fallen in Deutschland jedes Jahr neun Milliarden leere Plastikflaschen an, in denen Wasser war; und durch Verpackung und Transport verursache ein Liter Mineralwasser 203 Gramm CO2 - in der Summe drei Millionen Tonnen, „anderthalb mal soviel wie der innerdeutsche Flugverkehr“.
13 oder 14 Geschäfte in der Stadt machen bisher mit
Zwei Sympathisanten treten hinzu: „Habt ihr heute schon Kundschaft gehabt?“ Ja, erzählt die Studentin Svenja Weichhold (26), eine ältere Dame habe sich interessiert gezeigt, und am Ende des kurzen Gesprächs stand die Verabredung zu einem Info-Nachmittag in einer evangelischen Gemeinde. Doch so ein lässiger Durchmarsch ist äußerst selten.
Ansonsten ist so ein Alltagsvormittag am Info-Stand: Leute anzusprechen. Broschüren zu verteilen. Durch die anliegenden Geschäfte zu ziehen, um Aufkleber zu verteilen, die darauf aufmerksam machen, dass man in ihnen Leitungswasser nachtanken kann. Falls man überhaupt Inhaber angetroffen, Inhaberinnen überzeugt hat. 13 oder 14 Geschäfte in der Stadt machen bisher mit.
Einheimische Wasserversorger zeigen Interesse an dem Projekt
Und am Glücksrad können Menschen eben solche Nachfüllflaschen gewinnen: Auf deren Manschette steht „Wasserwende“. Bis zum späteren Vormittag gibt es vier Gewinner. Das entspricht der Zahl der Teilnehmer. Puuuh!
Doch was gerade so mühsam klingt, zeigt ganz in der Nähe auch deutlichere Fortschritte. „A tip: tap“ ist im Ruhrgebiet in Gelsenkirchen und in Mülheim vertreten, weil die einheimischen Wasserversorger Gelsenwasser und RWW sich interessiert zeigten an dem Projekt. Aus Eigeninteresse natürlich, denn Leitungswasser ist ihr Geschäftsmodell. Aber man wolle auch „dessen Vorteile präsenter machen“, sagt Mareike Roszinsky von Gelsenwasser.
So kommt es dann, dass vielleicht 300 Meter entfernt mitten in der Fußgängerzone neuerdings eine ebenso unscheinbare wie intelligente Edelstahlsäule steht mit der Aufschrift: „Hier gibt’s demnächst Trinkwasser.“ Auf Knopfdruck können die Menschen dann hier Leitungswasser trinken; es wird nicht durchlaufen, um kein Wasser zu vergeuden; doch es wird sich manchmal selbst ausspülen, wenn allzu lange niemand zugegriffen hat.
Trinksäulen stehen bereits in Gelsenkirchen, Datteln und Castrop-Rauxel
Die Säule ist praktisch unkaputtbar und nicht die einzige: Vier verteilen sich bereits in Gelsenkirchen und stillen Durst, sobald der Winter vorüber ist. Weitere sind in Datteln und in Castrop-Rauxel entstanden, und auch Schulen, Kitas und Firmen sollen demnach zusehends mit ansprechenden Leitungswasserstationen versehen werden.
Wie viele Liter aus der Leitung Menschen trinken, weiß niemand. Bei Mineralwasser sind es 177 Liter pro Kopf und Jahr. Es waren schon einmal 187. Der Höhepunkt, hofft Jaik, ist überschritten.