Essen/Dernau. Eigentlich wollte Ramona Richter nach der Flut „nur“ mit anpacken. Nun plant die Essenerin eine Weihnachtsfeier im Flutgebiet für 1700 Menschen.

Zehn Tage nach der Flut kauft Ramona Richter ein Paar Gummistiefel im Baumarkt, schnappt sich einen Eimer aus dem Keller und fährt los Richtung Erftstadt. Die Bilder im Fernsehen, in den Zeitungen und sozialen Netzwerken „haben mich nicht mehr losgelassen“, sagt die 33-jährige Essenerin. Bilder von zerstörten Häusern, fortgespülten Existenzen, Menschen, die alles verloren haben. „Das hat mich so sehr bewegt.“

Monatelang hilft Ramona Richter in den Flutgebieten beim Wiederaufbau. „Ich bin so ein Helfer-Typ“, sagt sie. In Erftstadt-Blessem schließt sie sich zunächst zwei jungen Frauen an. Mit einem Helfer-Shuttle fahren sie weiter ins Ahrtal. Gemeinsam stemmen sie in verdreckten Häusern Wände auf, hämmern Putz ab, tragen den Schlamm aus den Kellern, schrubben Terrassen, teilen Essen aus, pflanzen Beete, füllen Container mit Sperrmüll und stoßen dabei immer wieder auf Fotoalben, alte Dias, Briefe. „Es ist so traurig, dass all die Erinnerungen verloren sind“, sagt Ramona Richter. Sie beschließt, neue zu schaffen: Mit einem Weihnachtsfest in Dernau für 1700 Menschen.

Dernau an der Ahr: „Es ist, als ob man zu guten Freunden fährt“

Die kleine Ortschaft an der Ahr, eingeschlossen von prächtigen Weinbergen, ist seit der Flut am 14. Juli nahezu komplett zerstört. Einfamilienhäuser, Brücken, Sportplätze, Kindergärten und Schulen: Die gewaltigen Wassermassen haben nichts als Trümmer hinterlassen. Jeden freien Tag verbringt die Justizvollzugsbeamtin in Dernau. „Ich bin dort irgendwie hängengeblieben.“ Es ist das Miteinander, das die junge Essenerin begeistert. „Es ist, als ob man zu guten Freunden fährt“, sagt Richter. „Da wird nicht gefragt, wo man helfen kann. Man macht einfach.“

Eingeschlossen von prächtigen Weinbergen: Das Dorf Dernau im Ahrtal ist nach der Flutkatastrophe nahezu komplett zerstört.
Eingeschlossen von prächtigen Weinbergen: Das Dorf Dernau im Ahrtal ist nach der Flutkatastrophe nahezu komplett zerstört. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Doch Anpacken ist die eine Sache. „Genauso wichtig“, sagt Ramona Richter, sei das Zuhören. „Ich habe mit vielen Anwohnern gesprochen.“ Die Angst vor dem, was kommt, die Sorge, in Vergessenheit zu geraten, sei groß. „Viele haben Angst vor der dunklen Jahreszeit“, sagt die 33-Jährige. Mit einer kleinen Aufmerksamkeit möchte sie ihnen die Wintermonate versüßen. „Ich dachte, ich backe vielleicht ein paar Plätzchen und verteile sie im Ort.“

Weihnachtsfest im Ahrtal: „Es soll ein Winterwunderland entstehen“

Doch das Projekt soll noch viel größer werden. Gemeinsam mit Gaby, einer Helferin vom Bodensee, wächst die Idee, eine Weihnachtsfeier für die Einwohnerinnen und Einwohner zu organisieren. Unter dem Namen „WintAHRzauber“ vernetzen sie sich auf Facebook mit anderen Helferinnen und Helfern. Die Resonanz? „Überwältigend“, sagt Ramona Richter. Menschen aus ganz Deutschland bieten ihre Unterstützung an, schicken Päckchen für Kinder und Senioren, backen Kuchen, wollen Lichterketten und Baumschmuck bringen oder Geschenkkörbe für die Tombola packen. Mehr als 750 Mitglieder hat die Facebook-Gruppe bereits. „Ein Selbstläufer“, wie Ramona Richter sagt.

Terrassen schrubben, Essen austeilen, Beete pflanzen: Jeden freien Tag hilft Essenerin Ramona Richter im Flutgebiet Dernau an der Ahr beim Wiederaufbau.
Terrassen schrubben, Essen austeilen, Beete pflanzen: Jeden freien Tag hilft Essenerin Ramona Richter im Flutgebiet Dernau an der Ahr beim Wiederaufbau. © Privat | Ramona Richter

Bastelaktionen für Kinder, einen Sänger, Klavierkünstler und Trompetenspieler, Clowns, eine Zaubershow und einen Weihnachtsmann, der die Geschenke verteilt, haben die beiden Frauen für das Fest organisiert. Zwischen Glühwein- und Plätzchenbuden sollen hunderte geschmückte Tannen leuchten. „Es soll ein Winterwunderland entstehen“, sagt Ramona Richter. Ihre Augen strahlen. Die Anwohnerinnen und Anwohner sollen die Katastrophe ausblenden, die sich wie „ein braun-grauer Schleier“ über das Weindorf gelegt hat, „auch wenn es nur für ein paar Stunden ist“.

Nach der Flut: „Wir wollen die Menschen wieder zusammenbringen“

Wer täglich im Katastrophengebiet mit anpackt, „merkt, wie gut es einem eigentlich geht“, sagt die Essenerin, die mit ihrem Mann und den Hunden gerade selbst auf einer Baustelle lebt. „Aber wir haben es warm und es kommt fließendes Wasser aus dem Hahn.“ Im Ahrtal längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Viele der Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner leben seit der Flut außerhalb, in Notunterkünften oder sind bei Familien und Freunden untergekommen. „Wir wollen die Menschen wieder zusammenbringen“, sagt die 33-Jährige. „Eingeladen sind alle.“

Gemeinsam mit Helferin Gaby (l.) organisiert Ramona Richter aus Essen ein Weihnachtsfest für die Flutopfer in Dernau an der Ahr.
Gemeinsam mit Helferin Gaby (l.) organisiert Ramona Richter aus Essen ein Weihnachtsfest für die Flutopfer in Dernau an der Ahr. © Privat | Ramona Richter

Und die neu geschaffenen Erinnerungen will Ramona Richter festhalten: „Wir haben zwei Fotografinnen, die die Weihnachtsfeier begleiten“, erzählt sie. Schnappschüsse mit Weihnachtsmützen und Glühweintassen, Fotos für das Familienalbum, Bilder mit Nachbarn, Helfern und dazugewonnenen Freunden – am besten einen ganzen Container voll…

Weihnachtsbaum-Paten gesucht

■ Zahlreiche geschmückte Tannen sollen bei der Weihnachtsfeier am 11. Dezember (ab 14 Uhr) Weihnachtsstimmung aufkommen lassen. Mit jeder Spende in Höhe von 20 beziehungsweise 25 Euro leuchtet ein kleiner beziehungsweise großer Weihnachtsbaum mehr in Dernau an der Ahr. Die Bäume werden von den Helferinnen und Helfern vor Ort geschmückt und im Anschluss an die Flutopfer verschenkt.

■ Wer eine Baumpatenschaft übernehmen möchte, richtet seine Spende an Jost Hilberath, IBAN: DE06 3705 0299 1045 0283 50, Verwendungszweck: „Spende Helferfest Dernau Weihnachtsbäume“.

■ Ramona und Gaby freuen sich außerdem über Geschenke-Päckchen für Kinder und Senioren sowie Preise für die Tombola. Alle Informationen unter www.facebook.com/groups/286770872879437.