An Rhein und Ruhr. Weil das Ausmaß der Sprengung von Geldautomaten immer heftiger wird, schließen Banken in NRW erste Standorte. Was über die Täter bekannt ist.

Ein tiefer, dumpfer Knall erschüttert den Oberhausener Stadtteil Schmachtendorf. Die Schaufensterscheibe der Lohberger Sparkasse fliegt in Dinslaken bis auf die Straße. In Essen ist sogar ein Haus unbewohnbar. Das Register der Polizei liest sich spektakulär – und das ist nur ein Auszug der vergangenen Woche.

Klar ist den Beamten des Landeskriminalamtes (LKA) in Düsseldorf: Die Fälle von gesprengten Geldautomaten mehren sich, allein in diesem Jahr waren es schon 19 in Nordrhein-Westfalen. Setzt sich dieser Schnitt fort, ist der bisherige Höchstwert von 176 Automaten in 2020 schnell erreicht. „Bei Mutmaßungen müssen wir uns natürlich zurückhalten“, sagt LKA-Sprecher Frank Scheulen. „Aber in den ersten Wochen dieses Jahres ist es schon heftig.“

Gesprengte Geldautomaten NRW: Täter kommen meist aus den Niederlanden

Massiv aufgetreten ist das Phänomen erstmals im Jahr 2015. Seitdem arbeitet die Polizei an Maßnahmen zur Prävention und fahndet in intensiver Zusammenarbeit mit der niederländischen Polizei nach den Tätern. Die kommen laut Scheulen nämlich in etwa 80 Prozent der Fälle aus dem Nachbarland, Nachahmer aus dem Inland gebe es nur vereinzelt: „Wir haben es mit einer Tätergruppierung von 500 bis 600 niederländischen Staatsbürgern mit marokkanischem Migrationshintergrund aus dem Bereich Utrecht/Amsterdam zu tun, die gezielt nach Nordrhein-Westfalen einreisen und die Sprengungen verüben. Mit der Beute flüchten sie dann mitten in der Nacht mit Höchstgeschwindigkeit zurück in die Niederlande.“

Dass dort zu Beginn des vergangenen Jahres strenge Corona-Maßnahmen geherrscht hatten, ist der einzige Grund, warum in 2020 „nur“ 150 gesprengte Geldautomaten registriert wurden und der Rekordwert von 176 weiter Bestand haben kann. „Im ersten Halbjahr 2021 waren die Zahlen wegen des Lockdowns in den Niederlanden mit nächtlichen Ausgangssperren sehr moderat. Das hat sich leider Mitte des Jahres wieder erledigt: Als die Niederlande wieder offener wurden, kamen die Täter zurück.“

Geldautomaten-Sprengung: LKA sieht Gefahr für die Menschen in NRW

Das taten sie nicht nur immer häufiger, sondern auch ausgestattet mit immer rabiateren Mitteln. Bis vor etwa zwei Jahren leiteten die Kriminellen meist ein Gas in die Bankfiliale, welches dann explodiert ist. Darauf haben die Automatenbetreiber reagiert. Etwa mit Vernebelungsanlagen, die den Tätern die Sicht nehmen. „Aber die bemerken das natürlich, lernen daraus und wechseln die Tatmittel“, erklärt Scheulen.

Durch einen schweren Sprengstoffanschlag am Montag ist dieses Bankgebäude in Essen mittlerweile stark einsturzgefährdet.
Durch einen schweren Sprengstoffanschlag am Montag ist dieses Bankgebäude in Essen mittlerweile stark einsturzgefährdet. © dpa | Michael Weber

Mittlerweile nutzen sie laut LKA hauptsächlich deutlich gefährlicheren, selbstgebauten Sprengstoff: „Häufig entstehen sehr große Schäden an umliegenden Gebäuden. Wir als Polizei haben große Sorge, dass irgendwann auch Bürgerinnen und Bürger bei den Sprengungen verletzt werden.“

Wegen Sprengungsgefahr: Erste Banken in NRW bauen Geldautomaten ab

Gerade bei frei stehenden Geldautomaten wird das Risiko, gesundheitlich wie finanziell, größer. Gegen die massive Sprengkraft helfen auch Präventions- und Abschreckungsmaßnahmen nicht mehr. Daher sei der einzige Weg, trotz des engen Verhältnisses der Deutschen zu ihrem Bargeld, Geldautomaten abzubauen. Zu groß sei der Tatanreiz für niederländische Banden. „Die Banken müssen prüfen, ob sie überall in Nordrhein-Westfalen zu jeder Tag- und Nachtzeit einen Geldausgabeautomaten betreiben müssen“, appelliert das LKA.

Dieser Empfehlung sind die ersten Banken in Nordrhein-Westfalen bereits gefolgt, wie eine erste Abfrage beweist. Die Sparkasse am Niederrhein, der die Sprengstoffanschläge „große Sorgen bereiten“, will zwei kürzlich gesprengte Geldautomaten gar nicht erst wieder in Betrieb nehmen.

Sicherheitsrisiko: Sparkassen-Automaten in Xanten, Moers und Duisburg geschlossen

Der erste, ein frei stehender Pavillon am Xantener Hafen, ist am Silvestertag explodiert. Dabei flogen Scheiben und Teile mitunter mehr als hundert Meter weit durch die Luft, verletzt wurde aber niemand. Ein im November bereits zum zweiten Mal gesprengter Automat in Moers-Eick wird nach Empfehlung des LKA ebenfalls abgebaut. Gleiches gilt für einen Automaten in Moers-Asberg, der sich unmittelbar neben einer Kita befindet.

Auch die Sparkasse Duisburg reagiert auf das erhöhte Risiko, dort ist ein Automat in einer Meidericher Hauswand ab sofort außer Betrieb. Die Volksbank Niederrhein, die im vergangenen Jahr von Angriffen verschont geblieben ist, will zunächst alle ihre Automaten weiter betreiben. Ob das so bleibt und welche Standorte als nächstes dicht machen, wird die Zeit zeigen.