Ruhrgebiet. Alles unter einem Dach und alles zugleich: Wer jetzt zuhause arbeitet und Schulkinder hat, hat Stress. “Kinder tun mir nur noch Leid.“
Der Kleine kriegt häufiger einen Wutanfall, weil er schlichtweg keinen Bock mehr hat. "Scheiß Corona", sagt er gerne. Fragt, ob er die Videokonferenz nicht im Bett machen kann. Die Große verbarrikadiert sich zunehmend in ihrem Zimmer. Weint häufiger. Vermisst ihre Freunde. "Die beiden tun uns einfach nur noch Leid", mailt - ihre Mutter.
2,5 Millionen Schüler sind in NRW im Distanzunterricht. Distanz zu Lehrern und Unterricht, Distanz zu Sport und Freunden, Distanz von den Politikern: Die Kinder sind ja Luft, sind Nichtwähler. Mit den Mädchen und Jungen sind, wo es denn geht, Mutter oder Vater oder beide zuhause. Haushalt, Schularbeit, Heimarbeit, Hausarbeit: Alles unter einem Dach. Es nervt.
"Man hat oft ein schlechtes Gewissen in alle Richtungen"
"Tatsächlich ist die Doppelbelastung für uns alle extrem schlauchend, man hat oft ein schlechtes Gewissen in alle Richtungen, vor allem dem Jungen gegenüber. Abends nicken mein Mann und ich verhältnismäßig oft einfach ein", so eine dreifache Mutter aus Bochum. Ein Kind Kita, ein Kind 3. Klasse, ein Kind 5. Klasse. Alle daheim. Viele Eltern sind im Schichtdienst: Er arbeitet ab 6 Uhr und sie ist bei den Kindern, danach ist er bei den Kindern und sie arbeitet bis 23 Uhr. Geht doch?
Rein schulisch scheint der Distanzunterricht besser zu laufen als im Frühjahr. Videokonferenzen in Kleingruppen laufen, Lernplattformen sind stabil, Tests und Zeugnisse gehen hin und zurück (und manchmal muss man doch noch etwas auf Papier abholen). Aber es gibt auch diese Mail eines Ehepaares aus einer anderen Stadt, das lieber anonym bleiben möchte: "Einige Lehrer haben Online-Unterricht angeleiert, stehen per Video oder E-Mail für Fragen der Schüler zur Verfügung . . . Aber manche verteilen Anfang der Woche ein Paket mit Aufgaben und - das war es."
Kinderärzte diagnostizieren mehr Angst- und Schlafstörungen
Doch zurück nach Bochum. Aus den eigenen vier Wänden dringt oft wenig nach draußen. "Den Kollegen versucht man natürlich den Eindruck zu vermitteln, dass es gut läuft", so eine Mutter zweier Kinder. "Fakt ist aber, man bekommt nichts geschafft. Wird ständig unterbrochen. Ich bin schlichtweg gehetzt, genervt, dünnhäutig, die Kinder nerven teilweise, können aber ja so gar nichts dafür. Wir sind zur Zeit ihr einziger Input. Und der hat nie Zeit. Dann folgt das schlechte Gewissen und man stemmt wieder ein neues Familienprojekt."
Manche sehen es doch. Kinderärzte, Jugendpsychologen: Bei ihnen ist viel los in diesen Wochen. Sie melden verstärkt Angststörungen, Schlafstörungen, ja Depressionen. Viele Kinder machen sich Sorgen. Ihnen altersgerecht zu erklären, was los ist, warum es so ist und das es vorbei geht, wäre ihr Rat: "Wenn die Kinder begreifen, was passiert, ist der Stress geringer." Und: Wenn die Eltern den Eindruck haben, das etwas nicht stimmt - jemanden aufsuchen, der sich auskennt.
"Hör sofort auf, auf den Teppich zu spucken"
Jeden Tag nur Vater, Mutter, die Geschwister. Und der Erstklässler ist in der Regel eher fertig mit der Hausarbeit als der Viertklässler. Der will dann aber auch nicht mehr. "Mama, das ist voll unfair." Noch eine Stimme: "Alle drei Kinder würden liebend gerne wieder los. Wir haben das Glück, dass sie sich haben, den Garten und Platz, aber das kann den Kontakt zu Gleichaltrigen nicht ersetzen . . . Wir versuchen wenigstens jeden Tag, auch etwas Positives zu machen, was uns leider nicht immer glückt."
Natürlich gibt es die Momente, die zwischendurch komisch sind. Wenn der Gesprächspartner am Telefon unvermittelt zu irgendjemandem bei sich sagt: "Hör sofort auf, auf den Teppich zu spucken." Wenn die Katze in den Bildschirm guckt. Wenn der Hund der Lehrerin immer bellt, sobald sie etwas sagt. Und andere Momente, die man sonst gar nicht wahrnimmt, wachsen sich plötzlich aus: Eins der Kinder hat offenbar vergessen, die Tür zum Bad zu schließen. Laut rauscht die Klospülung. Natürlich in die Videokonferenz.