Duisburg. Michael Beckmann ist Geschäftsführer des Filmforums in Duisburg. Im Gespräch geht’s um die „Eine-Million-Dollar-Frage“ und die Zukunft des Kinos.
Natürlich stehen bei Michael Beckmann im Büro alte Filmkameras. Die eine ist aus den 1910er, die andere aus den 1930er Jahren, schätzt der Chef des Filmforums. Damit sind die historischen Schätzchen noch älter als das älteste Kommunale Kino Deutschlands. Denn das wurde 1970 gegründet – in einer Zeit, in der vor allem Schund-, Hosenjodler und Lümmelfilme über die Leinwände liefen.
Herr Beckmann, waren Sie als gebürtiger Duisburger selbst schon als Jugendlicher hier im Kino?
Nee, damals war das hier noch ein Sexkino, da durfte ich nicht rein (lacht). Das Filmforum ist ja erst 1980 in das Gebäude am Dellplatz eingezogen.
Die Geschichte des Filmforums beginnt aber schon 1959, als die VHS unter dem Programmtitel „Filmforum“ anspruchsvolle Filme zeigte. Aus welchem Grund?
Zum einen war die Vielfalt nicht so groß wie heute. Während es 2019 deutschlandweit über 800 Neustarts gab, waren es in den 1970er Jahren rund 150 Neustarts pro Jahr. Und wenn man einen Film verpasst hatte, konnte man ihn wahrscheinlich nie wieder sehen. Zum anderen gab es gerade in den 60er und 70er Jahren unglaublich viele Filme, die man seinerseits als Schund-, Hosenjodler- oder Lümmelfilme bezeichnet hat. Aber sie wurden eben produziert, kamen in die Kinos und man hat sie sich dann auch angeguckt. Ohne sie gäbe es die Kinos heute vielleicht nicht mehr, das war eine Art Überlebensstrategie.
Mit den Kommunalen Kinos wollte man Filmgeschichte transportieren, „andere Filme anders zeigen“ und hochwertige Filme vor dem Vergessen bewahren. Auch hier in Duisburg, deshalb wurde 1970 das Filmforum als erstes Kommunales Kino der Bundesrepublik gegründet.
Das hieß, wer in Duisburg gute Filme sehen wollte, ging zur VHS oder später eben ins Kommunale Kino.
Genau, und dieses Qualitätsversprechen versuchen wir bis heute zu halten. Also jeder Film, den wir hier zeigen, ist ein guter. Das muss nicht unbedingt heißen, dass er jedem gefällt. Aber in dem jeweiligen Genre hat er auf jeden Fall seine Daseinsberechtigung.
Welche Aufgaben hat das Filmforum sonst noch heute?
Das Filmforum hat drei Hauptaufgaben: Wir wollen Filme zeigen, die normalerweise nicht in den kommerziellen Kinos laufen. Sprich, mit Anspruch und vor allem deutsche, europäische Produktionen. Unsere zweite Aufgabe ist die Betreuung des filmhistorischen Bestands der Stadt Duisburg. Wir haben Filmmaterial von 1914 bis aus den 1980ern, das wir lagern, digitalisieren und restaurieren. Besonders ist dabei, dass wir die Filme auch thematisch aufbereiten und vorführen. Und drittens haben wir eine Filmwerkstatt, in der wir hauptsächlich in den Ferien Workshops anbieten. Kinder und Jugendliche lernen dort beispielsweise, wie man Filme macht oder auch schneidet.
Vom 30. August bis zum 16. September ist das Filmforum voraussichtlich geschlossen. Was passiert in der Zeit?
1983 wurde letztmalig hier renoviert, deshalb bauen wir jetzt den großen Saal und das Treppenhaus um. Zum Beispiel wird es komplett neue Sitze und kleine Tischchen geben, auf denen man einen Block oder abends auch mal den Rotwein abstellen kann.
Das Kino hat also trotz Netflix und Co. weiterhin Zukunft?
Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Es gibt ja nicht „das“ Kino. Es gibt Kinos wie das Filmforum, das eine eher untypische Mischform aus Programmkino und Kommunales Kino darstellt. Es gibt aber vor allem auch Multiplexe oder Kinocenter, die von Familienunternehmen betrieben werden. Und sie alle müsste man hinsichtlich ihrer Überlebensfähigkeit individuell bewerten, was für Außenstehende und selbst für mich sehr schwer ist. Ich denke aber, dass wir in einem Jahr schon schlauer sind.
Inwiefern?
Es kommen ja gerade mehrere Punkte zusammen, die sich wahrscheinlich bis dahin geklärt haben dürften: Da ist natürlich die Pandemie und die Frage, ob sie Gewohnheiten wie ins Kino zu gehen nachhaltig unterbrochen hat. Durch Streaming- und Mediathek-Angebote gibt es mittlerweile die Möglichkeit, sich Filme nach Hause zu holen. Ein riesiges Problem ist auch, dass viele Kreative zunehmend für Streaming-Anbieter drehen. Und dann ist da noch die sogenannte „Fensterdebatte“. Bislang hatten Kinos immer die exklusiven Auswertungsrechte für vier Monate. Wenn es gut läuft, haben sie die bald nur noch für 45 Tage, läuft es schlecht, ist die Exklusivität vielleicht bald auch ganz Geschichte.
Das klingt ernüchternd. Was spricht denn überhaupt noch fürs Kino?
Natürlich gibt es auch bei den Streaming-Diensten und in den Mediatheken richtig gute Sachen, aber vieles ist einfach auch nur qualitative Dutzendware. Und die schiere Masse erschlägt einen. Wie gesagt, bei uns kann man ins Kino gehen, hat die qualitative Vorauswahl und kann somit sicher sein, immer einen guten Film zu sehen. Außerdem ist Kino, unabhängig vom jeweiligen Film und der Kinoform, immer auch ein Wirkungsverstärker: das große Bild, der dunkle Saal – die ganze Konzentration liegt ausschließlich auf dem Film. Deswegen gibt es übrigens im Filmforum auch kein Popcorn oder Nachos, das würde nur stören.
Sitzen Sie selbst auch noch manchmal im Kinosaal?
Auf jeden Fall und auch mehrmals die Woche. Auf mich wirkt nur dort ein Kinofilm immer noch so, dass ich mich komplett darauf einlassen kann.
>>> Ein Haus mit Seele
Bereits im 19. Jahrhundert kamen Menschen am heutigen Dellplatz 16 als „Katholische Bürgergesellschaft Union“ zusammen. Im zweiten Weltkrieg diente das Haus zunächst als Unterkunft für eine Luftwaffeneinheit, später dann als Lager für Kriegsgefangene.
Nach dem Krieg zog das Kleine Theater Duisburg in den großen Saal. 1955 wurde das Haus renoviert und zum Kino ausgebaut. 1977 wurde es zum Erotikkino umgebaut, das die Stadt ein Jahr später per Ordnungsverfügung schließen ließ.
1980 zog das Filmforum an den Dellplatz, seit 1981 findet hier auch die Duisburger Filmwoche statt. Die ganze Geschichte des Gebäudes haben Kai Gottlob und Dirk Hausmann in dem Büchlein „Ein Haus mit Seele“ zusammengefasst.