An Rhein und Ruhr. Rückläufige Spenden und steigende Bedürftigkeit führen zu Engpässen und Überfüllung. Erste Tafeln in NRW haben Aufnahmestopps verhängt.

In der Ecke sitzen und heulen, bringt nichts. Davon ist Rainer Hellfeier überzeugt. Der stellvertretende Vorsitzende der Moerser Tafel ist Pragmatiker. Als Bergmann im Ruhestand hat er Lösungen im Blick, wenn sich Probleme auftun. Untertage damals, übertage heute. Und Schwierigkeiten gibt’s reichlich. „Erst Corona, dann der Putin und jetzt die Inflation. Aber, wir machen weiter“, sagt er und trifft den Nerv der zurzeit 172 lokalen Tafeln in NRW.

Alle haben dieselben Probleme: Wegen rückläufiger Spenden und steigender Bedürftigkeit haben die Tafeln in NRW mit Lebensmittelengpässen und Überfüllung zu kämpfen. Erste Einrichtungen wie die Tafeln in Essen oder Duisburg haben deshalb schon Aufnahmestopps verhängt. Auch die Diakonie in Düsseldorf entschloss sich am Dienstag dazu.

Jung: Die Menschen verarmen zunehmend

„Wir haben eine dramatische Inflation, und die Menschen verarmen zunehmend“, sagt Petra Jung, Sprecherin der Tafeln NRW. Betroffen seien nicht nur Menschen im Ruhestand oder etwa Geflüchtete, sondern zunehmend auch Studierende. Gleichzeitig sei die Spendenbereitschaft gesunken, insbesondere bei den Supermärkten. Auch sie würden aktuell strenger haushalten und gäben weniger Lebensmittel zur Tafel ab, sagt Jung. Das Problem: „Unser Hauptgeschäft ist die Lebensmittelrettung, dabei lassen sich gerade nicht so viele Lebensmittel retten.“

Die Tafeln würden wie „eine staatliche Einrichtung“ behandelt, beklagt Jung. „Dabei sind wir ehrenamtlich. Es wird nicht mehr überdacht, wie wir das alles stemmen sollen.“ Die Tafeln würden zur sozialen Abfederung von Bedürftigen „einfach eingerechnet, weil es uns gibt. Das ist ein Automatismus“.

Die Zahl der armen Menschen, die bei den Tafeln in Nordrhein-Westfalen Hilfe suchen, hat sich nach Angaben der Tafeln NRW im Vergleich zu 2020 verdoppelt. Auch in anderen Bundesländern, zuletzt Niedersachsen und Bremen, kommen die Einrichtungen an ihre Grenzen und verhängen Aufnahmestopps für neue Gäste.

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Das Problem ärmerer Menschen wird aktuell durch kräftige Preissteigerungen für Energie und Lebensmittel befeuert – sie haben die Teuerungsrate in Deutschland auf den höchsten Stand seit fast 50 Jahren getrieben. Volkswirte machen Verbraucherinnen und Verbrauchern wenig Hoffnung, dass die Preise rasch wieder sinken werden.

Im Mai lagen die Verbraucherpreise um 7,9 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats, wie das Statistische Bundesamt errechnet hat. Damit verharrte die Inflationsrate in Europas größter Volkswirtschaft im dritten Monat in Folge über der Marke von 7 Prozent. Im März war die Teuerungsrate auf 7,3 Prozent gesprungen, im April lag sie bei 7,4 Prozent. Von April auf Mai zogen die Preise um 0,9 Prozent an.

Inflationsraten auf dem derzeitigen Niveau gab es im wiedervereinigten Deutschland noch nie. In den alten Bundesländern muss man bis in den Winter 1973/1974 zurückblicken, um ähnlich hohe Werte zu finden. Damals waren die Energiepreise infolge der ersten Ölkrise gestiegen. Höhere Inflationsraten schmälern die Kaufkraft. Verbraucherinnen und Verbraucher können sich für einen Euro dann weniger leisten.

Die Ehrenamtler fahren von Moers nach Wuppertal

Weil die Spendenbereitschaft sinkt, fahren die Ehrenamtlichen der Tafeln in Moers beispielsweise mit ihren drei Transportern bis nach Wuppertal, um an Lebensmittel zu kommen. Die Moerser Tafel ist der Verteiler für zwölf weitere Anlaufstellen in umliegenden Städten. Viele existieren schon seit über 20 Jahren. Seit 1999 gibt es sie in Moers und wird seit 2020 vom 1. Vorsitzenden Raffaele Corda und seinem Stellvertreter geleitet. Aber so geballt wie zurzeit sind die Probleme noch nie aufgetreten.

„Der Druck wird immer größer“, schildert Hellfeier. „Wir bekommen von den Geschäften immer weniger Lebensmittel. Gleichzeitig steigt die Zahl der Hilfsbedürftigen.“ Noch vor einigen Monaten stellten Discounter den Tafeln beispielsweise Yoghurt zur Verfügung, der nahe am Ablaufdatum war. „Heute hat fast jedes Geschäft eine eigene Ecke, in der diese Sachen, aber auch Obst und Gemüse, für kleinen Preis noch verkauft werden. Das fehlt uns natürlich.“

Spritpreise reisen Riesenloch in die Kasse

Das bedeutet: Diese Fahrten reißen ein riesiges Loch in die Kasse. „Noch im vergangenen Jahr haben wir circa 6.000 Euro für Kraftstoff ausgegeben. In diesem Jahr werden wir auf über 12.000 Euro kommen. Und die Lebensmittelpreise sind der absolute Wahnsinn“, weiß Hellfeier. Denn die Zahlen hat er ganz konkret im Kopf. Für ein Päckchen Butter 3,29 Euro zahlen zu müssen, sei doch unfassbar. Das könnten viele tatsächlich nicht mehr.

Schlimm findet er die Aussichtslosigkeit für Menschen in Armut. Manche leben seit zwanzig Jahren von und mit der Tafel. An den beiden Ausgabetagen mittwochs und freitags kommen die Älteren gleich morgens mit ihren Rollatoren. „Die sind 70 Jahre und älter, die können nicht mehr arbeiten, um ihre Rente aufzustocken. Wenn sie einmal in der Situation sind, kommen sie da nicht mehr raus.“

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Die Coronapandemie verschärfte die Lage noch. Die Moerser Tafel musste im Februar schließen, weil der ehemalige Standort gerade mal 50 qm hatte. „Die Leute haben sich geknubbelt, das war im Winter wegen Corona nicht mehr zu verantworten.“ Was natürlich für die hilfebedürftigen Menschen eine Katastrophe gewesen sei.

Zum Glück konnten neue Räume gefunden werden. Seit April stehen fast 400 qm zur Verfügung, die Stadt übernimmt die Miete. Aber der Druck ist weiterhin groß. Immer mehr Menschen suchen die Tafel auf. Außer den Stammkunden kommen jetzt sehr viele Ukrainer und Familien mit mehreren Kindern. Auch die Moeser Tafel hatte vor einigen Wochen einen Aufnahmestopp, weil der Ansturm von den zwanzig Ehrenamtlichen nicht mehr bewältigt werden konnte.

Das ging anderen Tafeln – in Essen und Duisburg zum Beispiel – genauso. Auch sie mussten die Reißleine ziehen. In Duisburg fehlt es an Platz, an Helfern und an Lebensmitteln. Als Anfang Juni die Essener Tafel wieder 108 Plätze anbieten konnte, wurden die Ehrenamtlichen regelrecht überrannt. 180 Menschen standen stundenlang in einer langen Schlange an, 70 mussten wieder nach Hause geschickt werden.

Kosten explodieren

Mittlerweile versorgt die Moerser Tafel 950 bis 1000 Menschen. „Immer kommt auch Unvorhergesehenes dazu“, schildert Rainer Hellfeier. „Vor kurzem gab eine große Kühltruhe den Geist auf. Das waren mal eben 1800 Euro, die so ein Gerät kostet. Und die Lebensmittel mussten wir noch für 24 Euro in der Müllverbrennungsanlage entsorgen lassen.“

Zu dem Batzen an Geld, der täglich gestemmt werden muss, kommen noch weitere Kosten. Alleine 5000 Euro kosten die drei Transporter im Jahr an Versicherung. Dazu kommen Reparaturen, die man auch nicht von vorneherein einkalkulieren kann. Dennoch ist der unermüdliche Einsatz für die Ehrenamtler eine Herzenssache, was auch das Bitten um Spenden einschließt.

Bei großen Events - wenn Politiker oder Unternehmer etwas zu feiern haben, sind sie am Start. „Dann kommen wir in geballter Ladung mit unseren Tafel-T-Shirts und mahnen charmant, dass den Armen geholfen werden muss“, sagt Hellfeier. Man könne nicht einfach die Situation nur Ehrenamtlern überlassen. Das Problem müsse auch politisch in Angriff genommen werden.