Ruhrgebiet. In Zeiten von Kirchenaustritten haben Trauerredner Konjunktur. Aber wer spricht dann am Grab? In Dortmund lehrt ein Kurs das Abschiednehmen.
Sie lachen unter Tränen auf dieser Beerdigung, der Verstorbene war ein heiterer Mensch. Beate Schwedler erzählt aus seinem Leben, lauter kleine Geschichten. Gott kommt darin nicht vor. Deshalb betet, wie an immer mehr Gräbern in Deutschland, auch an diesem kein Pfarrer mehr: Die Familie hat eine Trauerrednerin gebeten, mit ihr Abschied zu nehmen.
Schwarz ist ihre Arbeitskleidung, aber für diesen eiskalten, windigen Tag hat Beate Schwedler eine bunte Kette umgelegt. Den sie heute hier bestatten, der hätte sich Farben gewünscht, haben die Hinterbliebenen ihr gesagt, und „wie Perlen an einer Kette“, sagt die Rednerin dann auch, seien die Erinnerungen: „Daran können Sie sich festhalten.“ Es werde nicht einfach sein, einen Weg zu finden ohne den Mann, Vater, Bruder, Freund, „aber erinnern Sie sich daran, wie das Leben mit ihm war“. Auch in der Natur gebe es den Wechsel von Geburt und Tod, „wer über den Tod nachdenkt, wird immer zum Leben geleitet“. Um ein Leben nach dem Tod geht es in der Ansprache nicht.
„Wenn nicht mehr die Kirche, wer spricht dann über den Tod?“
Beate Schwedler hat selbst vor vielen Jahren erfahren, wie sich das anfühlt auf einem Friedhof, ohne tröstende Worte eines Pastors. Damals verlor sie kurz hintereinander Schwester und Lebensgefährten. In der Kirche war sie nie: Sie fühlte sich „nicht gut aufgehoben. Wo bleibe ich da“? Tatsächlich geht es immer mehr Menschen so: Mit der steigenden Zahl der Kirchenaustritte schrumpfte die kirchlicher Bestattungen binnen 20 Jahren von knapp 600.000 auf nicht einmal mehr 490.000. Kirchliche Rituale sind zunehmend weniger gefragt. Aber: „Wenn nicht mehr die Kirche, wer spricht dann über den Tod?“, fragt Elke Herrnberger. Nicht nur die Sprecherin des Bundesverbandes Deutscher Bestatter (BDB) weiß ja um den Wandel: „Die Lücke muss gefüllt werden.“
Gezählt hat die freien Trauerredner noch keiner, sicher ist, dass sie stets mehr werden. Bei etwa der Hälfte aller Beerdigungen, schätzt Alexander Helbach von „Aeternitas“, einer Verbraucherinitiative für Bestattungskultur, sei mittlerweile ein konfessionsloser Sprecher gewünscht. Unter denen, die sich damit selbstständig gemacht haben, sind viele gelernte Journalisten – wie auch Beate Schwedler. Die heute 60-Jährige fing damit nach den Trauerfällen in der eigenen Familie etwas ganz Neues an, sie bereute es nie: „Das gut zu machen, ist eine sehr erfüllende Aufgabe.“
An vier Wochenenden lernen, wie man eine gute Rede schreibt und hält
Nur, wie macht man es gut? Wer schreiben kann, kann noch lange nicht reden und umgekehrt. Und das ist es nicht allein. „Zuhören, sich einlassen, Zeit nehmen“, müsse ein Trauerredner, tolerant sein auch: Nicht jede trauernde sei auch „eine Musterfamilie, wer hat die schon“? Versöhnliche, respektvolle Formulierungen müsse ein Redner finden für alles, was ein Toter auch manchmal hinterlässt. „Nichts aufdecken, aber ansprechen“, findet die 60-Jährige: „Sagen, was ist!“ Oder, was war.
Das sollte man auch lernen, findet Schwedler, die deshalb mit ihrem Dortmunder Verein „Dunkelbunt“ alsbald einen Wochenend-Kurs für Trauerredner anbietet. Grundlagenwissen zu Trauer und dem Umgang damit, zu Ritualen und Gesprächsführung will sie dort vermitteln. Wie man eine Trauerfeier gestaltet, wird geübt, wie man eine Rede schreibt und hält. Und wie man dafür an Aufträge kommt: Viele Bestatter, weiß Elke Herrnberger vom DBD, beschäftigen inzwischen „eigene“ Trauerredner“, andere übernehmen die Aufgabe auch selbst. Überhaupt habe sich das Berufsprofil extrem gewandelt. Die „Choreographie der Trauerfeier“, die Rede, die Seelsorge gehörten längst dazu – auch ein Grund, warum mehr als die Hälfte der Auszubildenden zur Bestattungsfachkraft inzwischen Frauen seien.
Charakterzüge, Stärken und Schwächen sichtbar werden lassen
Ziel des Dortmunder Kurses ist es zu lernen, „den Lebensweg eines verstorbenen Menschen lebendig, wertschätzend und individuell darzustellen und mit seinen Charakterzügen, Stärken und Schwächen sichtbar werden zu lassen“. Und die Trauer auch selbst auszuhalten, sagt Beate Schwedler: „Man steht da und muss das tragen.“ Tröstliche Sätze gelte es zu finden für die Menschen, denen Rituale ja auch außerhalb einer Konfession wichtig seien: „Alle, die zusammengehören, müssen zusammenkommen und gemeinsam trauern.“
An diesem Tag im Osten des Ruhrgebiets sind das viele Freunde, aber auch viele Kinder. Sie spielen vor der Trauerhalle und hören vielleicht gar nicht, wie Beate Schwedler sagt, was für „ein begeisterter Opa“ der Verstorbene war. In seinem Leben, das hören die Erwachsenen, sei „vieles richtig gut“ gewesen: wert, sich fröhlich zu erinnern. Nicht leicht, nur wenige Tage nach seinem Tod. Nach der Trauerfeier kommen mehrere, sich zu bedanken.
>>INFO: AUSBILDUNG ZUM TRAUERREDNER
An vier Wochenenden von Mai bis Juli bietet der Dortmunder Verein „Forum Dunkelbunt“ einen Kurs für werdende Trauerredner an. Die Ausbildung schließt mit der Präsentation einer selbst erarbeiteten Rede und einem Zertifikat. Infos auch zum Verein, der überkonfessionell auch Sterbe- und Trauerbegleitung anbietet: forum-dunkelbunt-verein.de
Auch bei anderen Anbietern ist ein Zertifikat als Trauerredner zu erlangen. Unter https://freieredner-ausbildung.com/ gibt es ein reines Online-Seminar mit IHK-Zertifikat. Weitere Angebote etwa bei der Bestatter-Akademie, beim Bundesverband Deutscher Bestatter, Trauer-Akademie (Berlin) und anderen.
Auch wenn Trauerredner in eine größer werdende Marktlücke vorstoßen: Reich werden kann man damit eher nicht. Davon zu leben, ist aber möglich, sagt Beate Schwedler. Je nach Aufwand könne man mit einer Bestattung rund 250 Euro und auch mehr verdienen.